Chancen und Grenzen der Nutzung von New Approach Methods bei der Bewertung von Arbeitsstoffen / Insgesamt 88 neue Veröffentlichungen im Jahr 2022
Der DFG-Senat hat im Dezember 2022 der Mandatsverlängerung der Kommission für weitere sechs Jahre zugestimmt.
Am 30. März 2023 fand die Plenarsitzung der Ständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) in Berlin statt.
Wie bereits im letzten Jahr berichtet, sind die sogenannten New Approach Methods (NAMs) ein Thema, das die Kommissionsarbeit zunehmend beeinflussen wird. Mit diesen Methoden werden unter anderem datenbasierte bzw. Simulationsansätze verfolgt, aber auch verstärkt zellbasierte Hochdurchsatz-Testsysteme entwickelt, um dort, wo es machbar ist, tierexperimentelle Ansätze zu ersetzen. Die Chancen und die Bedeutung dieser Methoden wurden in einer Stellungnahme zusammengefasst und unmittelbar nach der Plenarsitzung veröffentlicht. Die Kommission führt darin aus, dass mit der zunehmenden Nutzung von NAMs ein wichtiger Beitrag zum 3R-Prinzip geleistet wird und die Risikobewertung in Kombination mit klassischen toxikologischen Ansätzen erheblich und sinnvoll erweitert werden kann. Bevor jedoch auf tierexperimentelle Forschungsansätze zur quantitativen Risikobewertung als Voraussetzung für die Ableitung von Grenzwerten verzichtet werden kann, muss die Validierung sowie die wissenschaftliche Bewertung der methodischen Möglichkeiten und Limitierungen von NAMs weiter erforscht werden.
In den Berichten der Arbeitsgruppen der Kommission wurde erneut deutlich, wie wichtig die spezifischen Perspektiven der unterschiedlichen Arbeitsgruppen für eine umfassende Risikobewertung von Stoffen und die Beschreibung von zugehörigen Messmethoden sind. Durch die systematische Befassung mit Fragen der Hautresorption, Sensibilisierung, inhalativer oder krebserzeugender Aspekte oder Effekte auf die Keimbahn können sehr häufig die Wirkmechanismen von Substanzen offengelegt werden. Das Verständnis des Wirkmechanismus ist in der Regel die Voraussetzung für die Empfehlung von Grenzwerten. Eine weitere Voraussetzung ist das Vorhandensein von ausreichend Studien, die für eine Bewertung genutzt werden können. Auch auf der Ebene der Europäischen Union gibt es starke Bestrebungen, vorhandene toxikologische Daten besser verfügbar zu machen. Von besonderer Tragweite ist dabei, dass die Weiterentwicklung und Validierung der NAMs auch von experimentellen Erkenntnissen abhängig ist, die in Tiermodellen und am Menschen gewonnen wurden.
Alle Arbeitsgruppen konnten überdies mit Diskussionen und fachlichen Einschätzungen zur Erarbeitung der Begründungen und Methoden oder zu den konzeptionellen Arbeiten der Kommission beitragen: Mit dem Beginn der neuen Mandatsperiode ging die Leitung der Arbeitsgruppe „Kanzerogenese“ von Herrn Professor Dr. Michael Schwarz auf Herrn Dr. Edgar Leibold über. Die Kommission bedankte sich herzlich bei Herrn Schwarz für die mehrjährige Leitung der Arbeitsgruppe. Diese Arbeitsgruppe thematisiert auch die Relevanz von NAMs. Insbesondere geht es darum, sich mit Extrapolationsverfahren und KI-Ansätzen zu befassen, um in vitro-Erkenntnisse auf in vivo-Situationen anwenden zu können. Die Arbeitsgruppe „Stäube“ befasst sich mit der Ableitung eines MAK-Wertes für Cerdioxid unter Einbeziehung von Nanopartikeln. Die Arbeitsgruppe „Allergie“ nutzt die parallele Verfügbarkeit von NAMs und Daten aus humanen und Tiermodellen, um die Integration der Erkenntnisse aus beiden Systemen weiterzuentwickeln. Zudem wurde begonnen, die Kriterien für Atemwegsallergene zu überarbeiten. Die Arbeitsgruppe „Hautresorption“ hat sich dem Thema Penetrationsförderung gewidmet. Penetrationsförderung ist nicht nur durch eine unbeabsichtigte Kontamination der Haut mit entsprechend wirksamen Substanzen möglich, sondern auch als Folge gezielt aufgetragener Hautmittel (Desinfektionsmittel, Schutz- und/oder Pflegeprodukte) oder anderer Substanzen (z.B. Reinigungsmittel, Wasser).
Die Herleitung aller Erkenntnisse der Kommission wurde wie üblich umfassend dokumentiert und für die Wissenschaft und Öffentlichkeit nach Abschluss der Kommentierungsphasen auf der mit der Unterstützung von ZB MED neu etablierten Plattform (MAK Collection, Link siehe unten) offen zugänglich publiziert. Nutzungsanalysen zeigen, dass die Ergebnisse national, aber auch in erheblichem Umfang international genutzt werden. Damit diese Plattform nicht nur der Dokumentation, sondern auch der Nachnutzbarkeit und Anschlussfähigkeit der Ergebnisse dient, werden die Publikationen so aufbereitet, dass nutzerorientierte Suchfunktionen greifen können und die Interoperabilität mit anderen relevanten Datenbanken gewährleistet ist.
Im letzten Jahr konnten insgesamt 88 Veröffentlichungen, 62 Begründungen, die Ableitung von 16 MAK- und BAT-Werten und die Beschreibung von 26 Methoden erarbeitet werden. Dies verdeutlicht einmal mehr das hohe ehrenamtliche Engagement der Mitglieder und Gäste der Kommission. Diese Leistungsfähigkeit wäre allerdings ohne die Unterstützung durch das wissenschaftliche Sekretariat der Kommission nicht möglich. Nur auf der Basis der dort mit hoher Kompetenz durchgeführten Recherchen und formulierten Textentwürfe ist diese qualitativ hochwertige Arbeit überhaupt möglich. Erwähnenswert ist unter anderem die Ableitung eines MAK-Wertes für (Ethylendioxy)dimethanol, ein Biozid, das in Kühlschmiermitteln eingesetzt wird. Weiterhin wurde der MAK-Wert des Lösungsmittels Tetrahydrofuran überprüft und aufgrund verfeinerter Erkenntnisse bezüglich der Humanrelevanz von Tumorbefunden in Tierstudien dessen Kanzerogenitätseinstufung neu bewertet. Angesichts der immer einfacher werdenden Nachweismethoden für die Bestimmung von Fremdstoffen und deren Verfügbarkeit in vielen Laboratorien hat sich die Arbeitsgruppe „Beurteilungswerte in biologischem Material“ mit den Anforderungen an geeignete Humanbiomonitoring-Parameter, mit denen die Gefährdung der Arbeitnehmer beim Umgang mit gesundheitsschädlichen Arbeitsstoffen am Arbeitsplatz abgeschätzt werden kann, wissenschaftlich fundiert beschäftigt. Die entstandene Publikation wird in diesem Jahr erscheinen.
Die Kommission gedachte in einer Schweigeminute der Kollegen Diplom-Ingenieur Karl-Heinz Schaller, Professor Dr. Ralf Stahlmann und Professor Dr. Thomas Gebel, die kürzlich verstorben sind. Gewürdigt wurden nicht nur ihre Expertise und ihr Engagement für den Arbeitsschutz, sondern auch ihre herausragenden Persönlichkeiten, die sehr fehlen werden. Sie haben über viele Jahre hinweg die Arbeit der Kommission in beeindruckender Weise unterstützt.
Im kommenden Jahr wird sich die Kommission weiter dafür einsetzen, dass die risikobasierte Bewertung von Stoffen auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen die zentrale Grundlage für regulatorische Entscheidungen im Arbeitsschutz bleibt. Hierbei sind sowohl die Mitarbeit der Vorsitzenden der Kommission, Frau Professorin Dr. Andrea Hartwig, im High Level Roundtable on the Chemicals Strategy for Sustainability der Europäischen Union und im Risk Assessment Committee (RAC) der European Chemicals Agency (ECHA), als auch die Zusammenarbeit der Kommission mit der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von besonders hoher Bedeutung.