Die diesjährigen Träger*innen des wichtigsten Preises für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland stehen fest. Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingesetzte Auswahlausschuss bestimmte jetzt in Bonn fünf junge Wissenschaftlerinnen und fünf junge Wissenschaftler für die Heinz Maier-Leibnitz-Preise 2016. Sie erhielten die mit je 20 000 Euro dotierte Auszeichnung am 18. Mai in Berlin.
Während ihrer Forschungstätigkeiten hat Aline Bozec frühzeitig erkannt, dass Knochen eine Reihe von integrierenden Schnittstellen zu anderen Gewebe- und Organsystemen aufweist. In ihren in Frankreich, Österreich, Spanien und Deutschland durchgeführten Arbeiten hat sie zentrale Transkriptionsfaktoren und Signalwege beschrieben, die in Osteoklasten, Osteoblasten und Fettzellen als Schaltstellen für die Differenzierung und die Aktivität der Zellen relevant sind. Damit konnte Frau Bozec grundlegende Phänomene bezüglich der Regulation des Knochenaufbaus und -abbaus, der Modulation regenerativer Mechanismen in den Stammzellnischen des Knochenmarks sowie deren Bedeutung in Gesundheit und Krankheit beleuchten. Die in Frankreich geborene Biochemikerin ist Emmy Noether-Nachwuchsgruppenleiterin und Juniorprofessorin am Universitätsklinikum Erlangen. Sie leitet zudem ein Teilprojekt im DFG-Schwerpunktprogramm „Osteoimmunology“.
Tobias Erb leitet eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg, die an der Aufklärung und Optimierung von Kohlenstoffdioxid-Fixierungswegen und anderen Stoffwechselwegen des Kohlenstoffzyklus arbeitet. Bereits in seiner Doktorarbeit hatte Erb einen neuen Weg entdeckt zur Assimilation von Kohlenstoffdioxid, den sogenannten Ethylmanolyl-CoA-Weg. Seine unter anderem durch einen ERC Starting Grant geförderte Forschung brachte in Bezug auf die Stoffwechselwege der Acetat- und der Kohlenstofffixierung einen hohen Erkenntnisgewinn hinsichtlich des Kohlenstoffkreislaufs in der Biologie. Vor seiner Tätigkeit am MPI forschte Erb unter anderem als Junior-Arbeitsgruppenleiter an der ETH Zürich, seit 2013 ist er zudem Mitglied der Jungen Akademie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Bei der sprachwissenschaftlichen Modellierung der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke wird traditionell zwischen einer semantischen, vom Äußerungskontext weitgehend unabhängigen, und einer pragmatischen, vom Äußerungskontext vergleichsweise stark abhängigen Ebene, unterschieden. Dieser Unterscheidung entsprechend haben sich in der Bedeutungstheorie und der Linguistik ein systemorientierter und ein gebrauchsorientierter Ansatz etabliert. In seinen an den Universitäten in Mainz und Frankfurt/Main entstandenen Arbeiten überwindet Daniel Gutzmann diese Zweiteilung, indem er ein zweidimensionales Modell sprachlicher Bedeutungen entwickelt, das sowohl eine situationsbeschreibende wie auch eine sprecherbezogene Dimension vorsieht. Das Modell lässt sich auf eine sehr breite Palette bisher nur unzureichend beschriebener Phänomene anwenden, wie zum Beispiel Modalpartikeln, Satzmodus oder auch expressive Ausdrücke. Seit April 2015 ist Gutzmann Vertretungsprofessor für Linguistik an der Universität zu Köln.
Wissensrepräsentation ist die maschinenlesbare Darstellung menschlichen Wissens, die eine intelligente automatische Verarbeitung dieses Wissens durch den Computer ermöglicht. Diese Basistechnologie ermöglicht daher die intelligente Handhabung großer und/oder komplexer Daten in vielfältigen Anwendungsgebieten. Die Forschung in der Wissensrepräsentation befasst sich mit den drei Bereichen formale Grundlagen, Entwicklung und Optimierung von Softwaresystemen sowie Anwendung dieser Systeme. Markus Krötzsch hat seit seiner Promotion am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), während seiner Forschungsarbeit an der Universität Oxford wie auch als Emmy Noether-Nachwuchsgruppenleiter an der Technischen Universität Dresden wichtige Beiträge zu allen drei Bereichen geliefert. Unter anderem hat er Wikidata geschaffen, ein „Wikipedia der Daten“, das Wikipedia-Ausgaben in allen Sprachen mit Daten versorgt, die bereits in Millionen von Artikeln sichtbar waren. So lässt sich mithilfe des von Krötzsch entwickelten „semantischen“ Wikis beispielsweise nun die Frage beantworten, in welchen der zehn größten Städte der Welt gerade eine Bürgermeisterin regiert.
Bereits in seinem Studium bildete Christoph Lundgreen sich in zwei Fachrichtungen aus, in der Geschichte wie in den Rechtswissenschaften. Dies schlägt sich in seiner Forschung maßgeblich nieder. In seiner im Rahmen eines doppelten Promotionsstudiums in Dresden und Paris eingereichten Dissertation zu den „Regelkonflikten in der Römischen Republik“ integrierte Lundgreen rechtsgeschichtliche Betrachtungen wie auch politikwissenschaftliche und soziologische Theorien. So vermochte er auf dem Forschungsfeld der politischen Kultur der Römischen Republik innovative Aspekte herauszuarbeiten. Die Kategorie der Regel, erweitert um ihre Inversion, den Regelkonflikt, erfährt hier nicht nur eine konzeptionelle Neubestimmung, sondern die Regel/Verletzung wird selbst zum historischen Kaleidoskop, durch das Lundgreen die Ordnung der Republik und die Kommunikation zwischen den politisch-sozialen Institutionen in den Blick nimmt.
Isabell Otto verfolgt einen innovativen Ansatz in der kulturwissenschaftlichen Medienwissenschaft. So stellt sie die sehr temporeichen Entwicklungen digitaler Medien fundiert in theoretische Kontexte und liest sie zugleich paradigmatisch am konkreten Objekt. Ein Beispiel dafür sind ihre diskursanalytischen Arbeiten über Mediengewalt und Aggressivität in Filmen, Serien oder Computerspielen. 2010 erhielt Otto eine Juniorprofessur für Medienwissenschaft an der Universität Konstanz und ein Stipendium im Fast-Track-Förderprogramm der Robert Bosch Stiftung. Als Leiterin des DFG-Netzwerks „Medien der kollektiven Intelligenz“ sowie aktuell als stellvertretende Sprecherin der DFG-Forschergruppe „Mediale Teilhabe. Partizipation zwischen Anspruch und Inanspruchnahme“, bei der sie eine Forschergruppen-Professur innehat, profiliert sie sich insbesondere zu Fragen nach Gemeinschaft und Teilhabe. In ihrer Habilitationsschrift widmete sich Isabell Otto mit „Zeitordnungen unter der Bedingung digitaler Medien“ auch der Temporalität im Digitalen.
Auf dem Gebiet der relativistischen Schwerionenkollisionen arbeitet Professor Hannah Petersen an neuen theoretischen Beschreibungen des sogenannten „Little Bang“. Bei Schwerionenstößen entsteht ein Quark-Gluon-Plasma mit extrem hohen Druck, unter dem das Plasma sich explosionsartig ausdehnt. Hierbei herrschen Bedingungen, die denen beim Urknall („Big Bang“) ähneln. Petersen erkannte und untersuchte als eine der Ersten, dass und wie der Verlauf dieser Explosion von Dichte- und Temperaturschwankungen als Folge von Quanteneffekten beeinflusst wird. Über den Vergleich von Theorie und experimentellen Daten stellte Hannah Petersen ein vielzitiertes Hybrid-Modell auf, das die Dynamik des Plasmas und seine Viskosität in Abhängigkeit vom jeweiligen Anfangszustand der Quantenfluktuation abbildet. Seit 2012 leitet Petersen eine Helmholtz-Nachwuchsgruppe, 2013 erreichte sie der Ruf auf eine W2-Professur. Mit ihrer „event-by-event“-Analysemethode liefert die Frankfurterin neue Grundlagen für experimentelle Messungen zum Beispiel am Relativistic Heavy Ion Collider (Brookhaven, USA) und an der zukünftigen Facility for Antiproton and Ion Research (Darmstadt).
Wie man einem Roboter das Laufen beibringt, erforscht der Informatiker Ludovic Righetti. Vorbild für ihn sind dabei Bewegungsmuster aus der Natur wie etwa die Kletterkünste von Tieren, deren Prinzipien er in Regelungskonzepte des Roboters zu übertragen versucht. Dabei ist es Righetti gelungen, in einem Regelungskonzept mehrere überzählige Freiheitsgrade des Roboters mit dem Kontaktproblem beim Gehen zu kombinieren – ein anspruchsvolles Unterfangen, da es keine präzisen Modelle zur Bodenbeschaffenheiten gibt, weshalb Roboter bisher nicht mit jedem Untergrund zurechtkommen. Für seine Arbeiten zur diesem Thema erhielt Righetti 2014 einen ERC Starting Grant. Mit seinen Methoden ist es Ludovic Righetti ebenso gelungen, Roboter mit mehreren Fingern Objekte besser greifen zu lassen, was insbesondere für Mensch-Roboter-Interaktionen ein großes Potenzial birgt. Nach dem Studium in der Schweiz und seiner Postdoc-Tätigkeit in den Staaten baute Righetti sich eine Nachwuchsgruppe am MPI für Intelligente Systeme in Tübingen auf, die er bis heute leitet.
Die in der Hirnforschung untersuchten neuronalen Prozesse sind nur sehr indirekt messbar. Sie verhalten sich hochgradig nicht linear und unterliegen einer hohen Variabilität auf unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Skalen. Die Entwicklung aussagekräftiger theoretischer Modelle zur Unterstützung einer sinnvollen quantitativen Auswertung und Vergleichbarkeit neuronaler Daten ist daher eine Herausforderung. Mit der von ihr geleiteten Arbeitsgruppe „Theorie der neuronalen Netzwerkdynamik“ am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt/Main forscht Tatjana Tchumatchenko über die Dynamik und Informationsverarbeitung neuronaler Systeme, von einzelnen Nervenzellen bis zu neuronalen Netzwerken. Sie hat mathematische Modelle zur Beschreibung der dynamischen und statistischen Eigenschaften biologischer neuronaler Netzwerke entwickelt, theoretisch analysiert und numerisch implementiert. Damit hat sie für die Theoretischen Neurowissenschaften wichtige Einblicke, insbesondere zur Informationsverarbeitung von Netzwerken, geliefert.
Auf der Basis einer breiten Ausbildung in der Ethnologie und Soziologie arbeitet Professor Céline Teney auf dem Feld der Integrationsforschung und der politischen Soziologie. Kennzeichnend für ihre Forschung ist die thematische Bandbreite von der Akkulturation ethnischer Minderheiten, über die Transnationalisierung von Eliten und anderen sozialen Gruppen bis zum Wahlerfolg rechtsextremistischer Parteien. Dabei bedient Teney sich gekonnt einer Vielfalt von Methoden der Datenanalyse, beispielsweise geografisch gewichteter statistischer Auswertungsverfahren in ihrer Analyse des Wahlerfolgs der NPD. Die gebürtige Belgierin hat in Freiburg und Brüssel studiert und promoviert und danach unter anderem am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung wie auch an der Universität Harvard geforscht. An der Universität Bremen leitet sie eine im Rahmen der Exzellenzinitiative finanzierte Nachwuchsgruppe zum Thema „Winners of Globalization? A Study on the Emergence of a Transnational Elite in Europe“.