Die diesjährigen Träger*innen des wichtigsten Preises für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland stehen fest. Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingesetzte Auswahlausschuss bestimmte jetzt in Bonn vier junge Wissenschaftlerinnen und sechs junge Wissenschaftler für die Heinz Maier-Leibnitz-Preise 2017. Sie erhielten die mit je 20 000 Euro dotierte Auszeichnung am 3. Mai in Berlin.
In seiner Forschung beschäftigt sich Andreas Geiger mit dem weiten Feld der „Computer Vision“, auf dem er sich bereits internationales Renommee erworben hat. Hierbei kombiniert er Maschinelles Sehen und Robotik. Vor allem geht es Geiger darum, die Grundlagen autonomer intelligenter Systeme, speziell im Bereich des autonomen Fahrens, zu verstehen. Seine Arbeit hat damit hohe gesellschaftliche, aber auch wirtschaftliche Relevanz. Zahlreiche von Geiger entwickelte Algorithmen werden inzwischen von Forschergruppen und Unternehmen in der ganzen Welt verwendet. Seit 2016 leitet Geiger, dessen wissenschaftliche Beiträge bereits mehrfach ausgezeichnet wurden, die unabhängige Max-Planck-Forschergruppe „Autonomes Maschinelles Sehen“. Im selben Jahr erhielt er eine Vertretungsprofessur an der ETH Zürich an einem der weltweit bekanntesten und größten Labs für Computer Vision überhaupt.
Als Postdoktorand war Christian Groß an der bahnbrechenden Entwicklung von Mikroskopen beteiligt, mit deren Hilfe einzelne Atome in optischen Gittern beobachtet werden können. Damit schaffte er es, unterschiedlichste Quantensysteme experimentell zu modellieren und Fragestellungen im Grenzbereich zwischen statistischer Physik und Quantenmechanik zu klären. Groß erzielte wichtige Ergebnisse zu Phasenübergängen, magnetischen Korrelationen und zu Nichtgleichgewichtssystemen. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Physik von Rydberg-Superatomen, mit denen Groß beispielsweise neuartige Quantenkristalle erzeugt. 2015 erhielt Groß für sein Projekt „Rydberg-dressed Quantum Many-Body Systems“ den ERC Starting Grant, um mit seinem Team Forschungen voranzutreiben, die den Weg zum Design von Quantenmagneten ebnen könnten.
Wie beeinflussen unsere Einstellungen unser Wahlverhalten oder unser moralisches Urteilsvermögen? Und wann schlagen persönliche Erfahrungen in Vorurteile um? Auf Fragen wie diese sucht Mandy Hütter Antworten. Dabei zeigt sie auf, dass nicht alle Einstellungen Folge von bewussten Lernprozessen sind und moralische Urteile auch von „situativen Hinweisreizen“ abhängen. Ihre Ergebnisse publizierte Hütter in international angesehenen Fachzeitschriften. Im klinischen Bereich sind sie nicht zuletzt für Interventionsansätze bei Phobien hilfreich, schaffen aber auch neue Einsichten im Bereich sozialer Vorurteile oder beim Blick auf demokratische Prozesse und die „Weisheit der Vielen“. Hütter, die ihre Arbeiten immer wieder auch einer breiten Öffentlichkeit präsentiert, ist Juniorprofessorin und Leiterin des Arbeitsbereichs „Sozial- und Wirtschaftspsychologie“ an der Universität Tübingen. Außerdem leitet sie eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe.
Nicht nur Menschen mit verschiedenen psychischen Störungen haben Probleme, mit ihren Emotionen umzugehen und sie durch eine veränderte Bewertung zu regulieren: Gleiches gilt für gesunde Menschen, die ein erhöhtes Risiko aufweisen, solche Störungen auszubilden. Dies ist eine Erkenntnis der Arbeit des Psychologen Philipp Kanske, der sich mit dem Einfluss von Emotionen auf unser Denken und Erleben befasst. Dabei kombiniert er Grundlagenforschung mit klinischer Untersuchung, was eine originelle Sicht auf die Thematik auf verschiedenen psychischen Ebenen möglich macht. Mit seinen rund 50 Publikationen wirkte Kanske bereits stark auf die klinisch-psychologische Neurowissenschaft. 2015 wurde er in die Junge Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften berufen. Am Max-Planck-Institut in Leipzig leitet er die Forschergruppe „Psychopathologie des sozialen Gehirns“.
Seit 2013 leitet Kirchlechner die Arbeitsgruppe „Nano-/Mikromechanik von Materialien“ am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf, wo er mit seinem Team die Verformung und das Versagen von Materialien in mesoskopischen Dimensionen untersucht. Die dabei angewandte Kombination aus mikromechanischen Experimenten und neuartigen Methoden zur Charakterisierung von Strukturen – darunter die sogenannte mikro-Laue-Beugung – sind einzigartig. Eine von Kirchlechner mitentwickelte Messmethode macht es möglich, den Einfluss atomarer Defekte auf spezifische Materialeigenschaften zu untersuchen. Sie bietet damit Antworten auf zentrale Fragen der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, namentlich zu den Mechanismen der Feinkornhärtung oder der Bildung von Versetzungsstrukturen im Zuge von Ermüdungsprozessen. Im Bereich mikromechanischer Experimente an Synchrotons gilt Kirchlechner bereits als international anerkannter Experte.
Schon während seines Studiums in Belgien wurde Olivier Namur mehrfach ausgezeichnet; inzwischen publiziert er über sein Spezialgebiet – die Untersuchung vulkanischer Systeme und magmatischer Prozesse der Erde, des Mondes und des Merkur – mit herausragendem Impact in internationalen Organen. Dabei entwickelte Namur nicht nur thermodynamische Modelle etwa zur Kristallisation von Magmen, sondern auch zu deren physikalischen Eigenschaften. Zudem führten seine Forschungen zu neuen experimentellen Hochdruck-Hochtemperatur-Methoden. Ein weiterer Fokus von Namurs Forschung liegt auf der Untersuchung und Modellierung der Texturen von Mineralien im Magmagestein, die Informationen über den Transport von Stoffen und die zeitlichen Abläufe in der tiefen Erdkruste enthalten. Hierzu gehören in den letzten Jahren auch „crystal mushes“, Magmen mit sehr hohem Kristallanteil, die bei Eruptionen als Fragmente an die Oberfläche gelangen und Aufschlüsse über den Aufbau der unteren Erdkruste geben könnten.
Ute Scholls Gebiet ist die Forschung zu Hypertonie, vor allem zu deren (Prä-)Disposition bei genetischen Defekten an Ionenkanälen und Ionentransportern. Nach ihrer Promotion zu CIC-K-Chloridkanälen, aus der mehrere hoch beachtete Publikationen hervorgingen, beschrieb sie in ihrer Postdoc-Phase als Erste ein neues Syndrom und dessen genetische Grundlage, welches mit Epilepsie, Innenohrschwerhörigkeit, Ataxie und renalem Salzverlust einhergeht. Scholls Forschungen trugen maßgeblich dazu bei, jene hormonellen Degenerationsvorgänge zu verstehen, die zu sekundärer Hypertonie mit Folgen wie kardialer Durchblutungsstörung oder Schlaganfall führen. Seit 2014 ist Scholl Juniorprofessorin für Experimentelle Nephrologie und Hypertensiologie an der Universität Düsseldorf, 2016 war sie stellvertretende Sprecherin des Jungen Kollegs der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Ihre Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, so mit dem Walter-Clawiter-Preis und dem Ingrid zu Solms-Wissenschaftspreis.
Mit seiner Dissertationsschrift „Verisimilitudo. Die epistemologischen Voraussetzungen der Gotteslehre Abaelards“ und seiner Habilitationsschrift „Theologie aus anthropologischer Ansicht – Der Entwurf Franz Oberthürs (1745–1831)“ etablierte sich Michael Seewald innerhalb weniger Jahre als Experte für Dogmatik und Ökumenische Theologie. Erstere erhielt den Kardinal Wetter Preis der Katholischen Akademie in Bayern, letztere den Karl-Rahner-Preis der Universität Innsbruck. Vor allem mit seiner Habilitationsschrift legte Seewald eine grundlegende Arbeit zur Rezeption der europäischen Aufklärung im Umfeld der katholischen Dogmatik vor, die anhand einer einzelnen Person nicht zuletzt auch das generelle Verhältnis der katholischen Kirche zur Moderne neu ausleuchtet. Damit wird eine entscheidende Lücke der Forschung geschlossen. Seit Januar 2016 lehrt Seewald als Privatdozent für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der LMU München.
Bereits als Postdoc an der Stanford University beschäftigte sich Marion Silies mit dem Bewegungssehen der Drosophila. Seit 2014 leitet sie die Emmy Noether-Nachwuchsgruppe „Die zelluläre und molekulare Grundlage des Bewegungssehens“ an der Universität Göttingen. Darin untersucht sie die noch ungeklärte Frage, wie neuronale Netzwerke kritische Rechenoperationen ausführen und wie sensorische Systeme diese Berechnungen nutzen, um Informationen aus der Umgebung zu extrahieren und Verhalten zu steuern. Dazu verwendet Silies unter anderem einen von ihr etablierten und inzwischen von zahlreichen Laboren weltweit genutzten genetischen „Werkzeugkasten“, um die neuronale Funktion in spezifischen Zellen zu manipulieren und dadurch die neuronalen Netzwerke des Bewegungssehens zu identifizieren. Für ihre Arbeit wurde Silies mehrfach ausgezeichnet. 2016 erhielt sie den ERC Starting Grant für ihr Projekt „MicroCyFly“.
Die Forschungsfelder der Komparatistin Evi Zemanek reichen von der Antike bis zur Gegenwart. Im Bereich der Kulturökologie und des „Ecocriticism“, der literarische Texte im Kontext ökologischer Aspekte untersucht, gilt sie im Umfeld der deutschsprachigen Literaturwissenschaft als Wegbereiterin. Bereits 2012 warb sie das DFG-Nachwuchsnetzwerk „Ethik und Ästhetik literarischer Repräsentationen von ökologischen Transformationen“ ein, in dessen Namen sie sechs wegweisende Konferenzen organisierte. Seit ihrer Dissertation „Das Gesicht im Gedicht“ (2010) ist zudem die Intermedialitätsforschung, insbesondere die Beziehung der Literatur zu Malerei, Fotografie und Architektur, ein weiterer Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Zemanek ist Juniorprofessorin für Neuere Deutsche Literatur und Intermedialität an der Universität Freiburg. Im Wintersemester 2016/2017 vertritt sie eine W3-Professur am dortigen Institut für Medienwissenschaft.