Drei Wissenschaftlerinnen und sieben Wissenschaftler erhalten in diesem Jahr den Heinz Maier-Leibnitz-Preis und damit die wichtigste Auszeichnung für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutschland. Das hat ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingesetzter Auswahlausschuss jetzt in Bonn beschlossen. Die Preisträger*innen erhielten die mit je 20 000 Euro dotierte Auszeichnung am 28. Mai in Berlin.
Stefan Cihan Aykuts Forschungsschwerpunkt liegt auf der sozialwissenschaftlichen Erforschung von Klimadiskurs und Klimapolitik. Besondere Bedeutung für seine Arbeiten hat der Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich. In beiden Ländern hat Aykut studiert und geforscht, und so publiziert er nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch auf Französisch. Im weiteren Verlauf hat er nationale Diskurse und Politiken in den europäischen und globalen Kontext gestellt, was in seine Dissertation „How to Govern a Global Risk? The Construction of Climate Change as a Public Problem at the Global and European Levels, in France and Germany“ (im Original französisch) mündete. Aykuts Forschung zeichnet sich durch eine neuartige Verknüpfung von Forschungsansätzen und Methoden der Politikwissenschaft, Soziologie und der Science and Technology Studies aus. Er verbindet empirische Beobachtungsformen mit hermeneutischen oder diskursanalytischen Untersuchungen in historischer Tiefenschärfe. Aykuts Analysen wirken auch in den politischen und gesellschaftlichen Kontext hinein.
Karl Bringmann schrieb je eine Masterarbeit in Informatik und Mathematik und veröffentlichte bereits zu Studienzeiten neun Konferenzpublikationen. Seine Arbeiten auf den Gebieten der Algorithmik und Komplexitätstheorie stellte er während der Promotions- und Postdoktorandenzeit auf zahlreichen führenden internationalen Tagungen für theoretische Informatik vor, wo er auch mehrfach auf Einladung in den Programmkomitees mitwirkte. Bringmann hat äußerst wichtige Beiträge zu seinen beiden Forschungsgebieten geliefert und dabei auch Fragestellungen in vielen weit auseinanderliegenden Teilbereichen behandelt. Zu seinen wichtigsten Erkenntnissen zählt die Berechnung neuer fundamentaler „unterer Schranken“ für wichtige Probleme wie beispielsweise der Fréchet-Distanz von Kurven.
Nach Stationen in Regensburg und in Kalifornien leitet Fabian Dielmann seit 2013 eine DFG-geförderte Emmy Noether-Nachwuchsgruppe an der Universität Münster. Dort befasst er sich mit Fragestellungen der Molekülchemie und Katalyse, speziell der Entwicklung von Methoden zur Aktivierung besonders reaktionsträger kleiner Moleküle wie Kohlenstoffdioxid und Schwefelhexafluorid (SF6). Diese Moleküle sind von fundamentaler wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Bedeutung, da sie Ausgangsmaterialien für großtechnische Verfahren sind, aber auch als Umweltschadstoffe anfallen, insbesondere Kohlenstoff-, Schwefel- und Stickstoffdioxid. Dielmann gelingt es dabei, nicht nur die Lücke zwischen akademischer Forschung und Anwendung, sondern auch für seine Disziplinen gängige Paradigmen und Denkmodelle zu überwinden – wie bei der Aktivierung von SF6 mit den von Dielmann entwickelten nukleophilen Phosphanen. Seine in international einschlägigen Journalen publizierten Forschungsarbeiten finden weltweit Beachtung.
Durch die Einführung neuartiger Methoden aus der statistischen Physik in die Klima- und Erdsystemforschung hat Jonathan F. Donges diese entscheidend vorangebracht. Er hat zudem in der Analyse wiederkehrender Ereignisse Pionierarbeit geleistet und sie als Analysemethode für Klima-Daten etabliert, bevor Big-Data-Methoden gängige Praxis wurden. In jüngster Zeit hat er weitere netzwerkbasierte Herangehensweisen und Methoden aus der Komplexitätstheorie für die Klimaforschung eingesetzt. Von dem Artikel über „Trajectories of the Earth System in the Anthropocene”, zu dem er als Co-Autor beigetragen hat, wird erwartet, dass er die Diskussion in der Klimaforschung für die nächsten Jahre beeinflusst. Darin identifizieren die Autoren in den Übergängen zwischen eher gleichmäßigen und eher wechselhaften Klimazuständen einen Auslöser der menschlichen Entwicklung in Afrika und tragen zum Nachweis einer Wechselbeziehung zwischen Klima- und Menschheitsentwicklung bei. Donges studierte und promovierte in Bonn, San Diego, Potsdam und Berlin, seit 2013 ist er unter anderem einer von zwei Leitern eines Flaggschiffprojekts (COPAN) am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Knut Drescher, der an der Grenze von Physik, Biochemie, Materialwissenschaften und Biotechnologie arbeitet, hat wichtige Beiträge zur Erforschung der zellulären Abläufe während der Entstehung von bakteriellen Biofilmen geleistet. Seine Erkenntnisse helfen bei der Entwicklung von Maßnahmen, um in das Wachstum und die Verbreitung dieser multizellulären Kollektive einzugreifen. Dadurch rückt das Ziel in größere Nähe, das Sterblichkeitsrisiko von Infektionen zu reduzieren, die durch bestimmte Pathogene ausgelöst werden. Auch liefern Dreschers Arbeiten bedeutende Hinweise zu einem verbesserten Verständnis davon, wie innerhalb von zellulären Kollektiven selbstorganisiert Interaktionsmuster entstehen, die sich von individuellen Verhaltensweisen unterscheiden. Nach Stationen in Oxford, Cambridge und Princeton wurde Drescher 2014 Leiter einer Max-Planck-Forschungsgruppe, seit 2015 ist er zudem Professor für Biophysik an der Philipps-Universität Marburg. 2016 warb Drescher einen ERC Starting Grant ein und wurde Teilprojektleiter eines DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs.
Seit 2013 ist Stefanie Gänger Juniorprofessorin für iberische und lateinamerikanische Geschichte an der Universität zu Köln. Zuvor studierte und forschte sie in Augsburg und Sevilla, Cambridge und Berlin sowie in Konstanz an der Leibniz-Preis-Forschungsstelle „Globale Prozesse“ von Jürgen Osterhammel. Gänger, deren Schwerpunkte in der Wissens- und Medizingeschichte vom 18. bis in das frühe 20. Jahrhundert liegen, hat mit ihrer konsequenten Einbindung Lateinamerikas in global-historische Zusammenhänge Neuland betreten. Ihre erste Monografie behandelt das Sammeln und die Generierung von Wissen von und über vorspanische Objekte sowie die Entstehung der Archäologie in Peru und Chile. Das zweite Buch befasst sich mit der Geschichte der weltweiten Nutzung und dem globalen Handel mit Medizinalpflanzen aus Südamerika. Auch hier verfolgt Gänger, die eng mit Forscherinnen und Forschern aus dem internationalen Feld der Wissens- und Globalgeschichte vernetzt ist, einen genuin globalhistorischen Ansatz. Allein die Verwendung von Quellen aus vielen Teilen der Welt in unterschiedlichen Sprachen ist bemerkenswert.
Perkowski ist seit 2015 Juniorprofessor für Stochastische Analysis an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitet seit 2018, gefördert durch das Heisenberg-Programm der DFG, am Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften in Leipzig. In seiner Forschungsarbeit befasst er sich mit singulären stochastischen partiellen Differentialgleichungen (SPDE), Fragen der angewandten stochastischen Analysis sowie robusten Verfahren auf dem Gebiet der Finanzmathematik. Gemeinsam mit Co-Autoren entwickelte er unter anderem einen viel beachteten alternativen Zugang zur Lösung singulärer SPDE wie der Kardar-Parisi-Zhang-Gleichung und konnte auch erstmalig die Eindeutigkeit von Energielösungen für diese beweisen. Perkowski ist seit 2016 Teilprojektleiter in einer DFG-Forschungsgruppe und beteiligt sich seitdem auch an einem DFG-geförderten Internationalen Graduiertenkolleg.
Uta Reinöhl forscht auf dem Gebiet der Historischen Sprachwissenschaft, wobei sie sich mit der Entwicklung einzelner Sprachen befasst. Zugleich betreibt sie Grammatikalisierungsforschung, eine Fachrichtung, die Vertrautheit mit vielen verschiedenen Sprachen, aktueller Theoriebildung sowie die Fähigkeit zur Generalisierung verlangt. Reinöhl führt damit zwei weitgehend nebeneinander existierende Wissenschaftstraditionen zusammen. Ihr Schwerpunkt liegt auf syntaktischen, also die Struktur des Satzes betreffenden Fragen. In ihrer Dissertation warf sie neues Licht auf eine der wichtigsten Entwicklungen im Bereich der Satzstruktur der indogermanischen Sprachen, nämlich die Herauskristallisierung von hierarchischen Strukturen im Bereich der Nominalphrase. Außergewöhnlich ist auch, wie Reinöhl Daten aus sehr unterschiedlichen Bereichen verbindet: So eröffnete sie neue Einsichten durch einen detaillierten Vergleich des vedischen Sanskrits und verschiedener australischer Sprachen. Reinöhl ist seit 2019 Leiterin einer DFG-geförderten Emmy Noether-Nachwuchsgruppe an der Universität Mainz. Bereits seit 2017 ist sie an der Universität zu Köln Teilprojektleiterin in einem Sonderforschungsbereich sowie Mitantragstellerin eines DFG-Projekts zur Entwicklung einer Forschungsumgebung für altindische Texte.
Fettstoffwechselstörungen gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren für arteriosklerotische Gefäßveränderungen, die zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten führen können. Allerdings sind nicht alle Blutfette schädlich. Thimoteus Speer konnte zeigen, dass nur bestimmte modifizierte Fette eine arterienschädigende Wirkung bei Nierenkranken haben. Entscheidend ist, dass er diese Erkenntnisse mit neu entdeckten Prozessen der chronischen Entzündungen verknüpfen und einige mechanistische Details dieser fatalen Interaktion aufklären konnte. So gelang ihm ein wichtiger Brückenschlag zwischen diesen beiden häufig auftretenden Schädigungsprozessen. Speers Erkenntnisse ermöglichen die Etablierung einer diagnostischen Präzisionsmedizin und mittelfristig auch die Entwicklung neuer therapeutischer Strategien. Die Arbeit Speers besticht somit durch ihren starken translationalen Forschungsansatz. Auf der Basis einer Doppelpromotion in Humanmedizin und Biologie gelingt es ihm, herausragende Grundlagenforschung und translationale Forschung zu verbinden. Dies spiegeln auch seine Positionen als Oberarzt, Laborleiter der experimentellen und translationalen Nephrologie sowie als Teilprojektleiter eines DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs wider.
Gegenstand der Endokrinologie sind Erkrankungen von hormonproduzierenden Drüsen, wie zum Beispiel der Schilddrüse, oder Erkrankungen, die durch Überschüsse, Mängel oder andere Ungleichgewichte von Hormonen ausgelöst werden. Nina Henriette Uhlenhaut untersucht die Signalübermittlung sogenannter Glukokortikoid-Hormone auf molekularer Ebene sowie ihre physiologischen Folgen für das Immunsystem und den Stoffwechsel. Uhlenhauts Arbeiten haben entscheidend dazu beigetragen nachzuweisen, dass diese Hormone sowohl stimulierende wie auch hemmende Effekte vermitteln können, und diesen Mechanismus aufzuklären. Uhlenhaut ist seit 2018 Professorin für Stoffwechsel-Biochemie und -Genetik am Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität sowie Nachwuchsgruppenleiterin am Helmholtz Zentrum München. Seit 2017 ist sie Teilprojektleiterin in einem DFG-geförderten Transregio und in einem Sonderforschungsbereich. 2014 erhielt sie einen ERC Starting Grant und leitete 2013–2018 eine DFG-geförderte Emmy Noether-Nachwuchsgruppe.