20 Jahre Communicator-Preis: Was wäre, wenn alle Preisträger*innen in diesen Tagen zu einem diskursiven Forum zusammenkämen? Und was ließe sich daraus für die öffentliche und mediale Sichtbarmachung von Wissenschaft lernen?
Die Redaktion der "forschung" hat stern-Redakteur Christoph Koch um einen Beitrag zum Jubiläum gebeten – ein Blick von außen auf Preisträger*innen sowie auf die Bedingungen zum guten Gelingen nachhaltiger Wissenschaftskommunikation.
Zwei Jahrzehnte, 21 Auszeichnungen für die besten Stimmen der Wissenschaft! Mit jeder Preisträgerin und jedem Preisträger sowie durch alle zusammen haben die Stifter der Auszeichnung, DFG und Stifterverband, Signale in Öffentlichkeit und Medien getragen. Sie sind ein wiederkehrendes Bekenntnis dazu, dem wissenschaftlichen Denkstil in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Erfolgreiche Wissenschaftskommunikation macht von sich reden – und tritt ins Rampenlicht.
Was das in Krisenzeiten bedeutet, zeigt eindrücklich der "Sonderpreis für herausragende Kommunikation der Wissenschaft in der Covid-19-Pandemie", in diesem Jahr von DFG und Stifterverband außerhalb des Verfahrens um den Communicator-Preis an den Berliner Virologen Christian Drosten vergeben. Ende Juni umfasste Drostens Coronavirus-Update bereits 50 Folgen: Es ist ein Monument für Wissenschaft-in-Öffentlichkeit. An einem Reißbrett für strategische Kommunikation wäre es gewiss nicht entstanden. Der Rundfunk fragte, der Forscher sagte zu, eine Risikoabschätzung gab es nicht, keine Gremienarbeit, kein "Ja, aber". Trotz seiner vergleichsweise kurzen Dauer lässt sich Drostens Kommunikationsprojekt an die Seite der 21 bisherigen Preisträger*innen stellen. Ein Gedankenexperiment kann das belegen:
Stellen wir uns vor, die Pandemie sei endlich Geschichte. Bevor wir diese Geschichte in die Hände von Historikern legen können, bedarf es eines Augenblicks der Reflexion. Was wäre ein ideales Forum dafür? Ein Kreis, in dem gelehrte Menschen in einmaliger Vielfalt und in Einheit der Exzellenz öffentlich über das Geschehene sprächen? Mir persönlich fiele keines ein, das die Güte eines Treffens aller Communicator-Preisträger*innen überträfe. Mit dem Psychologen Gerd Gigerenzer (Preisträger 2011) könnten wir über die öffentliche Bewertung kollektiver Risiken und die Verzerrungen in Entscheidungsprozessen sprechen. Mit den Sozialwissenschaftlern Jutta Allmendinger (2009) und Andreas Zick (2016) über sozialen Wandel unter Krisendruck und über die Rekonfiguration der Geschlechterrollen, über Polarisierung und Ideologisierung in unserer Demokratie. Die Sozio-Informatikerin Katharina Anna Zweig (2019) wüsste um Fähigkeiten, Chancen und Risiken des Gebrauchs von Künstlicher Intelligenz etwa in der Epidemiologie, vor allem aber auch um den öffentlichen Diskurs zur Macht der Algorithmen. Wir wüssten Physiker wie Metin Tolan (2013) in unserer Mitte. Wir hätten kein Problem, die Kinetik fliegender Tropfen und schwebender Aerosole zu begreifen (Wer hätte gedacht, dass einmal das ganze Land einen "Maskenstreit" erleben würde?). Apropos: Die in der Klimadebatte so engagierten
Harald Lesch (2005) und Antje Boëtius (2018) wüssten zu berichten, dass der gesellschaftliche Diskurs nicht weniger ballistische Trajektorien nehmen kann als der Flug der Fußbälle, den Tolan meisterlich erklärt. Jede Preisträgerin und jeder Preisträger beherrscht – so wollte es schließlich die ursprüngliche Ausschreibung des Preises – virtuose Veranschaulichungen von Forschungsfrüchten und Erkenntnispraxis. Es zeichnet sie aber darüber hinaus aus, auf sämtlichen Ebenen im Wissenschaftsdialog trittsicher zu sein. Und vom Orientierungsverlust in stockdunkler Sahara-Nacht (Stefan Kröpelin, 2017) bis zur Tiefbohrung in den Vatikanischen Geheimarchiven (Hubert Wolf, 2004) mangelt es gewiss nicht an Stoff für das so en vogue gekommene "Storytelling".
Doch darin erschöpft sich Wissenschaftskommunikation nicht, und das ist uns in den vergangenen Jahren deutlicher geworden. In der Wüste warten nicht bloß Abenteuer. Dort ruht ein geologisches Archiv von Myriaden Jahren. Und es finden sich überraschende Implikationen für das Anthropozän (hier könnten wir über Begriffe streiten, doch gönnen wir uns Kürze): Was etwa, wenn von uns erwärmte Ozeane die Monsundynamik verändern und die Wüsten zur erdgeschichtlichen "Unzeit" ergrünen? In den römischen Archiven ruhen Schätze, die Selbstverständlichkeiten des deutschen Nachkriegsnarrativs in Frage stellen. Die Forschungen Hubert Wolfs zu Pius XII. bringen es ans Licht. Wie in einem Dan-Brown-Thriller geht es dort dennoch nicht zu.
Ein Bild aus dem Vatikan bemühte jüngst Christian Lindner, als er im Ringen um das rechte Maß des Infektionsschutzes eine diskursive Rückschrittsinnovation anregte – "Ich würde mir wünschen, dass die Virologen und Epidemiologen einmal wie die Kardinäle zur Papstwahl in einem Konklave zusammenkommen. Und wenn sie sich entschieden haben, steigt weißer Rauch auf", sagte der FDP-Vorsitzende Ende April. Ein Vorschlag also, der darauf zielte, der Wissenschaft mitten in einer pandemischen Weltkrise ein Unisono zur Legitimation politischer Weichenstellungen abzuverlangen.
So absurd die Forderung auf wissenschaftlich Literate wirken mag, so radikal ist ihre Implikation. Auch nach 20 Jahren intensivierter Wissenschaftskommunikation, nach PUSH, der Auslobung großer Preise, der Gründung von "Wissenschaft im Dialog" und vielen anderen Initiativen mehr haben wir noch einen weiten Weg zu gehen. Denn in Wahrheit lagen längst Konsenspapiere, Evidenzsynthesen und Stellungnahmen aller führenden Forschungsorganisationen und der Nationalakademie vor. Mehr noch schmerzte indes das verbreitete Unverständnis für Forschungsprozesse und die Diskursstrukturen der wissenschaftlichen Gemeinschaft.
Meine Traumvorstellung von einem reflexiven Forum unserer Preisträger*innen wäre doch das gerade nicht – ein Konklave mit Schlussabstimmung, nach der die uneingeschränkte Gewalt über die globale Gelehrtengemeinde an ein Oberhaupt übergeben würde. Nein: Die Vielstimmigkeit der Perspektiven, die Pluralität der Feldzugänge, die Interpretationsbedürftigkeit jeglicher Evidenz, all dies bliebe im Gespräch und über das Gespräch hinaus erhalten.
Nach meinem Verständnis sollte das vorrangige Ziel guter Wissenschaftskommunikation im zweiten Fünftel des 21. Jahrhunderts nicht noch höherer Werbedruck für die institutionalisierte Wissenschaft sein. Auch nicht bloß begeisterndes Storytelling als Rekrutierungshoffnung. Und selbstverständlich nicht (aber darin sind wir uns alle seit sicher 15 Jahren einig) öffentliche Belehrung auf Basis eines Defizitmodells. Mein Wunschziel wäre die intensive Aussaat des wissenschaftlichen Denkstils, das öffentliche Gespräch über den modus operandi des Forschens: Unsere epistemische Potenz verdient das, was in Rom lange "propaganda fide" hieß, wenn er auch kein Glaube ist.
Die ersten Monate des Jahres 2020 haben uns auf dramatische Weise gelehrt, dass Verständnis und Verstehen für diese Denkungsart dünn gesät sind. Denken wir an das Schicksal der "Heinsberg-Studie", deren unschöne politische Instrumentalisierung vermutlich geringeren Schaden angerichtet hat als die Verneblung dessen, was Wissenschaft ist, kann und tut. Oder an den boulevardesken Angriff auf den Sonderpreisträger Christian Drosten, hinter dem nicht bloß eine Diffamierungs-, sondern auch eine Art inverse Instrumentalisierungsabsicht stand. Der Wissenschaftler sollte ins Unrecht gesetzt werden, damit politisch das geschieht, was er angeblich zu verhindern beabsichtigte. Bloß: Gemachte Skandale und Pseudokritik an der Wissenschaft hätten wir Kommunikatoren doch vorausahnen können!
Vor Jahren schrieben etwa Marc-Denis Weitze und Wolfgang Heckl (Communicator-Preis 2002): "Kontroversen sind in der Wissenschaft weit verbreitet und wesentlich für den Erkenntnisfortschritt. Sie spielen im Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit bislang jedoch nur eine marginale Rolle." Aus der Klimadebatte, vom March for Science, durch die permanenten Angriffe auf das wissenschaftliche Erkenntniskapital wissen wir alle: So ist es.
Es ist uns jedoch bis heute nicht gelungen, ein weites Verständnis für den konstruktiven Streit der Erkenntnisse und Deutungen zu wecken und ihn qualitativ gegen das Geschehen in der politischen Arena abzugrenzen. So war es allzu leicht, immer wieder das Klischee des "Gelehrtenstreits" zu evozieren. Umso mehr haben wir alle, die Wissenschaft und ihre Kommunikator*innen, wir Akteure im Mediensystem sowie die politische Bewirtschaftung der Kommunikation von Wissenschaft noch zu tun!
Jedem und jeder der 21 Communicator-Preisträger*innen gilt unser Dank – ebenso den 21 Jurys. Es wurde viel erreicht. Es ist noch viel zu tun.
Christoph Koch, Jahrgang 1967, ist Leitender Redakteur des Ressorts Wissen beim Magazin stern in Hamburg. Er ist Diplom-Humanbiologe und hat einen Bachelor eines sozialwissenschaftlichen Studiums sowie einen Master in Gesundheitsökonomie. Seine journalistischen Schwerpunkte sind Medizin, Wissenschaftstheorie und -kommunikation sowie Sozialökonomie der Gesundheit. Christoph Koch ist Alumnus der Studienstiftung und regelmäßiger Teilnehmer in diversen Foren zur Wissenschaftskommunikation.