Professor Dr. Peter Loskill und Dr. Silke Riegger von der Universität Tübingen erhalten den diesjährigen Ursula M. Händel-Tierschutzpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Der Jury zufolge tragen sie mit der Entwicklung, Anwendung und Verbreitung von Organ-on-Chip-Systemen erheblich dazu bei, Tiermodelle durch geeignete Alternativen zu ersetzen. Der mit insgesamt 80 000 Euro dotierte Preis wird in diesem Jahr zum zehnten Mal an Wissenschaftler*innen verliehen, die den Tierschutz in der Forschung im Sinne des 3R-Prinzips verbessern. Die drei „R“ stehen dabei für Replace (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern). Die Preisverleihung findet am 6. Juni in Würzburg im Rahmen eines Symposiums der dort ansässigen „Würzburg Initiative 3R (WI3R)“ statt.
Prof. Dr. Peter Loskill
Peter Loskill wurde 2012 an der Universität des Saarlandes in Physik promoviert und war im Anschluss einige Jahre an der University of California in Berkeley tätig.
2018 wechselte er zunächst als Juniorprofessor an die Universität Tübingen, seit 2022 ist er Professor für Organ-on-Chip-Forschung. Loskill, der als Pionier der 3R-Forschung gilt, leitet die Abteilung Mikrophysiologische Systeme des Instituts für Biomedical Engineering sowie das 3R-Center für In-vitro-Modelle und Tierversuchsalternativen. Er engagiert sich wissenschaftlich auch auf europäischer Ebene und ist zudem in der Politikberatung tätig.
Dr. Silke Riegger
Silke Riegger absolvierte ihre Promotion als Chemikerin an der Universität Stuttgart und am Fraunhofer Institute for Interfacial Engineering and Biotechnology.
Seit 2020 arbeitet sie mit Peter Loskill in Tübingen und ist als Senior Scientist und Leiterin der „3R-Center Business Unit for In Vitro Models and Alternatives to Animal Testing“ integraler Bestandteil des dortigen 3R-Zentrums.
Der Mediziner Dr. Michael Karl Melzer von der Universität Ulm und die „Würzburg Initiative 3R (WI3R)“ am Fraunhofer-Translationszentrum für Regenerative Therapien sowie der Universität Würzburg erhalten den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis 2022 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Während es sich bei Michael Karl Melzer um einen klinisch und wissenschaftlich tätigen Arzt in einem frühen Karrierestadium handelt, besteht die „Würzburg Initiative 3R (WI3R)“ aus einem sehr etablierten Team von Wissenschaftler*innen. Namentlich sind dies Dr. Antje Appelt-Menzel, Dr. Gudrun Dandekar, Dr. Florian Groeber-Becker, Dr. Christian Lotz, PD Dr. Marco Metzger, Dr. Maria Steinke und Dr. Daniela Zdzieblo.
Dr. med. Michael Karl Melzer
Michael Karl Melzer überzeugte die Jury mit seinem Vorschlag, den Verbrauch von sogenannter Basalmembranmatrix wie Matrigel durch die Verwendung der Schweineharnblase, die in der Fleischproduktion in Deutschland meist nicht verwertet wird, zu reduzieren. Basalmembranmatrizes werden unter anderem zur Erforschung der Embryonalentwicklung und Tumorentstehung genutzt. Sie werden in Mäusen durch Transplantation von Tumorzellen hergestellt. Melzer konnte in seinen Untersuchungen zeigen, dass sowohl Bauchspeicheldrüsen-Organoide als auch Bauchspeicheldrüsenkarzinom-Organoide auf der Schweineharnblase sehr gut anwachsen können. Für Letzteres ist bisher eine Transplantation der Karzinomzellen in Versuchsmäuse nötig gewesen. Melzer möchte sein Preisgeld vor allem dazu verwenden, seine Forschungen in diesen Bereichen weiter voranzutreiben.
Melzer studierte Medizin an der TU München und promovierte 2020 ebendort. Seit 2019 arbeitet er in der Abteilung für Urologie und Kinderurologie als Assistenzarzt am Universitätsklinikum Ulm. Neben seiner klinischen Tätigkeit hat er in seiner Postdoc-Phase bereits acht Publikationen veröffentlicht – in Relation zu seinem Karrierestadium eine herausragende Leistung. Aktuell forscht Melzer an stammzellbasierten Systemen, um die Krebsentstehung in der Bauchspeicheldrüse besser verstehen zu können.
Würzburg Initiative 3R (WI3R)
Die „Würzburg Initiative 3R (WI3R)“ hatte für ihre Bewerbung die Entwicklung und Anwendung von sechs In-vitro-Modellen der Barriereorgane Haut, Kornea, Darm, Blut-Hirn-Schranke und Lunge sowie für solide Tumoren vorgestellt, die dem „Replacement“ des 3R-Konzeptes dienen. Die Modelle finden beispielsweise in der Infektions- und Krebsforschung sowie bei der Testung von Kosmetika, Nahrungsergänzungsmitteln und medizinischen Produkten wie Medikamenten oder Impfungen bereits jetzt eine breite Anwendung. Mit dem Preisgeld will das Team ein 3R-Netzwerk etablieren, wissenschaftliche Treffen initiieren sowie kleine Projekte fördern.
Seit über zehn Jahren befasst sich die „Würzburg Initiative 3R (WI3R)“ mit der hochkomplexen Modellierung von Krankheitsprozessen und der Testung von Arzneimittelwirkungen unter Vermeidung von Tierversuchen. Eine gemeinsame inhaltliche Klammer ist das Ziel, Barrierefunktionen des Körpers in vitro nachzuahmen. Die dabei erzielten Ergebnisse sind von hoher technischer Qualität und Relevanz für die Anwendung, was eine Vielzahl von Publikationen in renommierten internationalen Journalen belegt.
Der Informatiker, Biochemiker und Mediziner Professor Dr. Dr. med. Thomas Hartung von der Johns Hopkins University in Baltimore und der Universität Konstanz sowie der Biochemiker und Toxikologe Professor Dr. Marcel Leist, ebenfalls Universität Konstanz, erhalten den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Den Preisträgern gelang es, anhand der Informationen über die Toxizität einer bereits gut untersuchten Substanz Vorhersagen über die Giftigkeit eines bisher nicht erforschten Stoffes zu treffen (sogenanntes READacross-Verfahren). Damit lassen sich toxikologische Bewertungen von Chemikalien ohne zusätzliche Tierversuche vornehmen und neue Studien vermeiden, die mit einer hohen Anzahl an Versuchstieren einhergehen. Mithilfe Künstlicher Intelligenz entwickelten die Preisträger zudem den RASAR-Ansatz (read-across-based structure activity relationships), der Informationen aus toxikologischen Datenbanken für automatisierte Vorhersagen nutzt und damit ebenfalls dazu beitragen kann, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren.
Prof. Dr. Dr. med. Thomas Hartung
Thomas Hartung studierte Informatik, Biochemie und Medizin. Er wurde 1992 in Tübingen als Toxikologe promoviert, bevor er als Assistenzprofessor nach Konstanz wechselte. Nach einigen Jahren als CEO des Steinbeis Technology Transfer Center for In Vitro Pharmacology and Toxicology stand er zwischen 2002 und 2008 an der Spitze des European Centre for Validation of Alternative Methods im italienischen Ispra. Seit 2009 ist er Professor an der Bloomberg School of Public Health der Johns Hopkins University in Baltimore und Co-Direktor des Center for Alternative to Animal Testing, CAAT-Europe. Das CAAT ist ein Joint Venture der Universitäten in Baltimore und Konstanz und wird von der schweizerischen Doerenkamp-Zbinden-Stiftung für versuchstierfreie Forschung unterstützt. Hartung ist zudem Honorarprofessor in Konstanz. Er wurde für seine Forschungsarbeiten mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem US Society of Toxicology Enhancement of Animal Welfare Award.
Prof. Dr. Marcel Leist
Marcel Leist ist seit der Gründung des CAAT-Europe im Jahr 2009 Co-Direktor. Der studierte Biochemiker und Toxikologe wurde in Konstanz promoviert. Im Anschluss war er zunächst am German Institute of Human Nutrition in Potsdam-Rehbrücke tätig, dann kehrte er als Gruppenleiter an die Universität Konstanz zurück. Zwischen 2000 und 2006 arbeitete er beim Pharmaunternehmen Lundbeck in Kopenhagen, bevor er erneut nach Konstanz zurückkehrte, um dort den neuen Lehrstuhl für In Vitro Toxicology and Biomedicine zu übernehmen. Für seine Arbeiten erhielt Leist mehrere Preise, darunter den Animal Welfare Research Award des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten 2018 die Toxikologin Prof. Dr. Ellen Fritsche vom Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der Mathematiker, Physiker und Mediziner PD Dr. Dr. Hamid Reza Noori vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen.
Die Preisträgerin und der Preisträger wurden unter 16 Bewerber*innen ausgewählt. Wegen des sehr starken Bewerberfelds entschloss sich die Jury in diesem Jahr, den Preis zu teilen. Fritsche erhält den Preis für die Entwicklung eines Testsystems für Chemikalienwirkungen, das die eigentlich bei toxikologischen Tests vorgeschriebenen Tierversuche in Zukunft vollständig ersetzen könnte. Noori wird für seinen Einsatz von Big Data in der Neurobiologie ausgezeichnet, wodurch sich Tierversuche erheblich reduzieren lassen können.
Prof. Dr. Ellen Fritsche
Prof. Dr. Ellen Fritsche forscht an Neurosphären, organähnlichen Zellkulturen, anhand derer sich die Giftigkeit von Stoffen auf die Entwicklung des Gehirns testen lässt. Diese Zellkulturmodelle sollen in Zukunft Tierversuche ersetzen (replacement) und Chemikalien identifizieren, die zu Schäden bei der Entwicklung des Nervensystems führen. Weil die Neurosphären aus humanen Stammzellen herangezüchtet werden, erlauben die Ergebnisse der Neurotoxizitätsstudien eine bessere Einstufung der Gefährlichkeit von chemischen Stoffen für den Menschen als Studien an Tieren, bei denen sich die Ergebnisse nicht immer komplett auf den Menschen übertragen lassen.
Mit dem Preisgeld wollen Fritsche und ihre Arbeitsgruppe die Neurosphärenmodelle in Zusammenarbeit mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) so weiterentwickeln, dass die Auswirkungen neurotoxischer Substanzen zuverlässig charakterisiert werden können und das Testsystem als Ersatzmethode für die bislang vorgeschriebenen Tierversuche anerkannt wird.
PD Dr. Dr. Hamid Reza Noori
PD Dr. Dr. Hamid Reza Noori nutzt neue Ansätze aus Mathematik, Datamining und Maschinellem Lernen, um die Vielzahl publizierter Daten aus neurobiologischen Forschungsprojekten der letzten Jahrzehnte an Ratten auszuwerten. Allein durch die komplexe Analyse vorhandener Daten gelang es Noori – ohne einen weiteren Tierversuch – die biochemischen Schaltkreise im Rattengehirn aufzuklären, die grundlegend für die Informationsverarbeitung im Gehirn sind.
Die Daten von zurzeit fast 150 000 Ratten stellt Noori in einem zweiten Schritt in zwei Open-Access-Datenbanken zur Verfügung, die Forscher*innen weltweit nutzen können, um neuroanatomische und neuropharmakologische Forschungsfragen zu bearbeiten. Die Datenbanken helfen dabei, Fragestellungen in silico, also durch Analyse bereits vorliegender Datensätze zu beantworten (replacement), oder neue Versuche stringenter zu planen (reduction & refinement). Die Nutzbarmachung von Big Data im Bereich der präklinischen Neurowissenschaften birgt insgesamt großes Potenzial für den Tierschutz in der Forschung.
Der sechste Ursula M. Händel-Tierschutzpreis ging an Dr. Birgit Kegel und Dr. Beate Krämer gemeinsam mit vier weiteren Mitgliedern der von ihnen geleiteten Arbeitsgruppe. Das Team arbeitet in der Abteilung Veterinärmedizin am Paul-Ehrlich-Institut, dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel in Langen. Es erhielt den 100 000 Euro dotierten Preis für ein Testverfahren, das anstelle von bislang notwendigen und für die Tiere sehr belastenden Versuchen eingesetzt werden kann und damit einen herausragenden Beitrag zur Umsetzung des 3-R-Prinzips (Reduction, Refinement, Replacement) darstellt.
Unter 14 eingegangenen Bewerbungen für den Preis überzeugte das Team aus Langen die Jury, weil die Forscherinnen einen komplexen zellbiologischen Mechanismus nachgebildet und damit eine große wissenschaftliche Herausforderung erfolgreich bewältigt haben. Die Entwicklung des neuen Testverfahrens trägt in besonderem Maße zum 3-R-Prinzip bei, da diese Methode äußerst belastende Tierversuche in großem Umfang – betroffen sind über 600 000 Tiere im Jahr – vermeiden kann.
Den Wissenschaftlerinnen unter der Leitung von Dr. Kegel und Dr. Krämer ist es gelungen, ein Testsystem zu entwickeln, das relevante Mechanismen der schädigenden Wirkung von Botulinum-Neurotoxinen künstlich nachbildet und so für das Testen der Toxine eingesetzt werden kann. Die durch Bakterien produzierten Botulinum-Neurotoxine rufen bei Mensch und Tier Muskellähmungen hervor. Wegen dieser Eigenschaft sind die Neurotoxine neben ihrer Anwendung in der Kosmetik ein bedeutender Wirkstoff in Medikamenten zur Behandlung vielfältiger neurologischer Erkrankungen. Vor ihrem Einsatz in medizinischen und kosmetischen Produkten müssen die Wirkstoffe standardmäßig an Mäusen getestet werden. Es gibt zwei Typen der Botulinum-Neurotoxine. Für einen haben die Forscherinnen bereits ein Ersatzverfahren entwickelt und publiziert; nun soll das In-vitro-Verfahren für das andere Neurotoxin weiterentwickelt werden. Mit dem Preisgeld planen die Wissenschaftlerinnen eine internationale Ringstudie, die vor einer Einführung der neuen Testverfahren als Standardmethode nötig ist.
Der Ursula M. Händel-Tierschutzpreis 2014 ging an Professor Thomas Korff vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der Universität Heidelberg, der in der vaskulären Forschung, also der Forschung von Gefäßerkrankungen, tätig ist. Der neue Träger des Tierschutzpreises wurde von einer Jury unter neun Bewerbungen ausgewählt. Der mit 100 000 Euro dotierte Preis wurde am 20. März 2014 in Berlin verliehen. Er zeichnet Wissenschaftler*innen aus, die sich vorbildlich und nachhaltig darum bemühen, den Tierschutz in der Forschung zu verbessern.
Ein zentrales Anliegen der Forschung von Thomas Korff ist die Aufklärung von Mechanismen, die zu krankhaften Veränderungen des Gefäßsystems führen. Dazu gehören durch Tumorwachstum ausgelöste Neubildungen von Blutgefäßen (Angiogenese) ebenso wie die Bildung arteriosklerotischer Plaques oder Krampfadern. Mit der Charakterisierung von Proteinen, die in den Wänden der Blutgefäße die sogenannten glatten Gefäßmuskelzellen steuern, trägt er zur Aufklärung von Krankheiten wie Bluthochdruck bei. Diese Erkenntnisse können neue Wege aufzeigen, wie Gefäßerkrankungen verhindert und erwünschte Gefäßwachstumsprozesse gezielt stimuliert werden können.
Zur Untersuchung einzelner Zellreaktionen bei Gefäßveränderungen nutzt Korff Zellkultursysteme und entwickelt diese gezielt weiter. Diese Alternativmethode ermöglicht, auf sehr belastende Tierversuche zu verzichten und leistet so einen bedeutsamen Beitrag im Hinblick auf die Aspekte Replacement und Reduction des 3-R-Prinzips. Komplexere Umbauprozesse in einer Gefäßwand lassen sich nur am lebenden Organismus studieren. Auch hierzu hat Korff neue Methoden entwickelt, die auf schonende Weise eine Gefäßneubildung am Mäuseohr beobachten lassen und die bisher dafür notwendigen, belastenden Tierversuche mit Unterbrechung der Blutzufuhr zu größeren Organen ersetzen (Refinement).
Der Ursula M. Händel-Tierschutzpreis 2011 ging an Dr. Arne Hansen, Alexandra Eder, Sebastian Schaaf und Professor Thomas Eschenhagen sowie an Dr. Maria Moreno-Villanueva und Professor Alexander Bürkle. Sie sind aus 14 Vorschlägen ausgewählt worden. Der mit 50 000 Euro dotierte Preis wurde am 24. Januar in Berlin verliehen. Er zeichnet Wissenschaftler*innen aus, die sich vorbildlich und nachhaltig darum bemühen, den Tierschutz in der Forschung zu verbessern.
Prof. Thomas Eschenhagen und seine Arbeitsgruppe
Das Forscherteam rund um Professor Thomas Eschenhagen am Hamburger UKE befasst sich mit den Wirkungen pharmakologischer Stoffe auf das menschliche Herz. Diese kardialen Wirkungen werden bislang hauptsächlich im Tierversuch geprüft. Die Hamburger Wissenschaftler entwickeln dafür ein innovatives Ersatzverfahren, das humane embryonale Stammzellen nutzt. Aus diesen differenzieren die Forscher Gewebe, das die Eigenschaften von Herzmuskelgewebe aufweist und besonders flexibel für das Screening der Wirkstoffe eingesetzt werden kann. Schlagkraft und -dauer des Herzens können hier ebenso vorgegeben und variiert werden wie andere für die Untersuchung wichtige Parameter. Das in seiner Entwicklung bereits weit fortgeschrittene und in international renommierten Fachjournalen publizierte Verfahren macht zudem eine weitgehend automatisierte Versuchsdurchführung und -auswertung möglich.
Prof. Alexander Bürkle und Dr. Maria Moreno-Villanueva
Die Konstanzer Preisträger Dr. Maria Moreno-Villanueva und Professor Alexander Bürkle untersuchen die Genotoxizität, also die Wirkungen chemischer Stoffe, die Änderungen im genetischen Material von Zellen auslösen. Hierzu wird bislang in großen Mengen Serum benötigt, das aus Rinderföten gewonnen wird. In dem nun ausgezeichneten Verfahren wird dagegen in Zellen ein Farbstoff eingebracht, der je nach Wirkung der untersuchten Stoffe in unterschiedlicher Weise fluoresziert. Seine Intensität ist dann besonders hoch, wenn die DNA in der Zelle als Doppelstrang erhalten bleibt, was darauf schließen lässt, dass keine Genotoxizität vorliegt. Die Intensität des Farbstoffs verringert sich dagegen, wenn auch die Zahl der Doppelstrang-DNA ab- und die der Einzelstrang-DNA zunimmt. Dies lässt auf Brüche im genetischen Material und damit auf Genotoxizität schließen. Auch dieses, bereits zum Patent angemeldete Verfahren ist in hohem Maße automatisiert und ermöglicht es, zahlreiche Substanzen in kurzer Zeit zu testen.
Der Hämatologe Professor Christopher Baum sowie seine beiden Mitarbeiterinnen Dr. Ute Modlich und Sabine Knöß erhielten den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis 2009. Das Forscherteam von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wurde für ein neuartiges Testsystem bei der Entwicklung von Gentherapien ausgezeichnet, das die Zahl notwendiger Tierversuche deutlich reduzieren kann. Der Ursula M. Händel-Tierschutzpreis wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an Wissenschaftler*innen verliehen, die sich vorbildlich und nachhaltig um die Verbesserung des Tierschutzes in der Forschung bemühen. Der Preis wurde nach 2004 und 2006 zum dritten Mal vergeben und ist in diesem Jahr mit 50.000 Euro dotiert.
Die DFG verlieh am 21. November 2006 zum zweiten Mal den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis. Er ging an Harald Langer (Universitätsklinikum Tübingen) und Ping Ping Tsai (Tierärztliche Hochschule Hannover). Der Preis zeichnet Wissenschaftler*innen aus, die sich vorbildlich und nachhaltig darum bemühen, den Tierschutz in der Forschung zu verbessern. Dazu gehört insbesondere die Entwicklung von Verfahren, die zur Reduzierung, Verfeinerung und zum Ersatz von Tierversuchen beitragen.
Dr. Harald Langer
Harald Langer arbeitet auf dem Gebiet der Infarktforschung an der Medizinischen Universitätsklinik in Tübingen. Er hat ein Strömungsmodell entwickelt, an dem ohne den bislang üblichen Versuch an einem Tier realistische Durchfluss-Szenarien in Blutgefäßen untersucht werden können.
Diese spielen bei der Wundheilung, der Entstehung von Metastasen bei Krebs oder dem Entstehen und der Entwicklung von Atherosklerose eine große Rolle. Seine Alternativmethode zum Tierversuch berührt wichtige und aktuelle medizinische Fragestellungen, die weltweit bearbeitet werden.
Ping Ping Tsai
Ping Ping Tsai, die in Hannover am Institut für Tierschutz und Verhalten arbeitet, erhält den Preis für ihre Forschungen über Käfighaltung bei Mäusen. Sie hat untersucht, unter welchen Bedingungen Mäuse bei verschiedenen Möglichkeiten einen angenehmer ausgestatteten Käfig wählen, auch wenn dieser Beeinträchtigungen wie etwa helles Licht mit sich bringt. Die Tiere formulieren durch ihr Verhalten im Verständnis dieses Forschungsansatzes ihren Bedarf an einer angenehmeren Umgebung. Durch die Kenntnis solcher Parameter kann die Käfighaltung verbessert werden und das Wohlbefinden der Versuchstiere sowie deren Zahl unter ethischen Gesichtspunkten besser eingeschätzt werden. Tsai legt damit eine Strategie vor, nach der auch in Zukunft andere auftretende Problemstellungen zur Optimierung einer Tierhaltung angegangen werden könnten.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft verlieht in diesem Jahr zum ersten Mal den Ursula M. Händel-Tierschutzpreis. Die Auszeichnung geht an Professor Lisa Wiesmüller, Universitätsfrauenklinik Ulm, und Professor Klaus Otto, Medizinische Hochschule Hannover. Mit diesem Preis werden Wissenschaftler*innen ausgezeichnet, die sich vorbildlich und nachhaltig darum bemühen, den Tierschutz in der Forschung zu verbessern. Dazu gehört insbesondere die Entwicklung von Verfahren, die zur Reduzierung, Verfeinerung und zum Ersatz von Tierversuchen beitragen. Die beiden Preisträger sind von einer unabhängigen Jury unter 14 eingegangenen Bewerbungen ausgewählt worden. Dieses Votum bestätigte das Präsidium der DFG in seiner Juli-Sitzung. Der mit je 12 500 Euro dotierte Preis wurde am 17. November 2004 in Bonn verliehen.
Prof. Dr. Lisa Wiesmüller
Lisa Wiesmüller (43) ist Leiterin der Gynäkologischen Onkologie der Universitätsfrauenklinik Ulm. Sie hat ein Testverfahren entwickelt, mit dem Chemikalien, Arzneimittel und Lebensmittelzusätze in menschlichen Zellkulturen auf ihre erbgutschädigende und krebserzeugende Wirkung geprüft werden können. Bisher war ein sicherer Nachweis dieser Wirkung nur im Tierversuch möglich. Das neue Testverfahren basiert auf der Auswertung von Fluoreszenz-Signalen, das heißt, es unterscheidet leuchtende von nicht-leuchtenden Zellen. Anders als bei bisherigen Tests lässt das von Lisa Wiesmüller entwickelte Verfahren zuverlässige Rückschlüsse auf die krebserzeugende Eigenschaft von Substanzen zu. Die Arbeiten von Lisa Wiesmüller könnten zukünftig erheblich zur Vermeidung von Tierversuchen auf diesem Gebiet beitragen. Für die Erforschung von Alternativmethoden zum Tierversuch wurde sie 2002 mit dem Preis der Fondation Internationale pour la Substitution de l'Expérimentation Animale (FISEA) ausgezeichnet.
Prof. Dr. Klaus Otto
Klaus Otto (51) ist Professor für Experimentelle Anästhesiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit der Beurteilung der Narkosetiefe und Schmerzbekämpfung bei Tieren während chirurgischer Eingriffe. Seine Untersuchungen weisen darauf hin, dass die in der klinischen und tierexperimentellen Praxis verwendeten Parameter Herzfrequenz, Blutdruck und Pupillenreaktion oft nicht ausreichen, um eine Schmerzwahrnehmung des Tieres ausschließen zu können. Klaus Otto hat daher die Messung von Hirnaktivitäten per Elektroenzephalogramm (EEG) als weiteres Bewertungskriterium hinzugezogen. Ziel seiner Arbeit ist, objektive Kriterien für die Bewertung des Schmerzempfindens von Tieren bei Operationen zu entwickeln. Eine standardisierte Narkoseüberwachung mit computergestützter EEG-Analyse soll letztlich die Möglichkeit schaffen, Narkose- und Schmerzmittel so genau zu dosieren, dass Schmerzen bei den Tieren ausgeschlossen und Störungen in ihren Kreislauffunktionen möglichst gering gehalten werden.