Nachhaltigkeit im Forschungsprozess
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) möchte ökologische Nachhaltigkeitsaspekte sowohl in ihrem Handeln als auch in Forschungsprozessen angemessen berücksichtigen, dabei steht die wissenschaftliche Exzellenz stets im Vordergrund. Seit März 2024 werden Antragsteller*innen in den Antragsleitfäden und Formularen zur „Reflexion zu ökologischen Nachhaltigkeitsaspekten in der Planung und Durchführung von Forschungsvorhaben“ aufgefordert. Antragsteller*innen sollen hier ihre Überlegungen konzis und nachvollziehbar darlegen. Ziel ist es, die Kreativität anzuregen, Ideen anzustoßen, und das Bewusstsein für nachhaltiges Forschen zu schärfen, um in einem bottom-up orientierten Prozess neue Standards in der Forschungstätigkeit zu etablieren.
In erster Linie sollen jene Aspekte betrachtet werden, die – der eigenen Einschätzung nach – die größten Auswirkungen auf etwaige Emissionen und den Ressourcenbedarf haben. Die angestrebte wissenschaftliche Qualität ist dabei prioritär für die Projektplanung. Die Überlegungen sollen nicht zu Einschränkungen des erwarteten Erkenntnisgewinns führen. Sollten alternative ressourcenschonende(re) und emissionsmindernde Vorgehensweisen kostenintensiver sein, können höhere Mittelbedarfe direkt im Antrag angegeben werden. (Hinweis: Für die Anerkennung der Kosten gelten grundsätzlich die einschlägigen Verwendungsrichtlinien und geltenden Regelungen an den jeweiligen Forschungseinrichtungen, d.h. relevant sind die an der Einrichtung geltenden Regelungen für Dienstreisen und Vergabe z.B. i. Z. m. Gerätebeschaffung, Beschaffung von Verbrauchsmaterialien etc.).
Leitfragenkatalog
Um die Reflexion bei der Antragstellung zu unterstützen, hat die Präsidialkommission „Nachhaltigkeit“ einen fachübergreifenden Leitfragenkatalog zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Forschungsprozess verfasst. Er enthält beispielhafte Ansatzpunkte und Fragen, die der Inspiration dienen und als Angebot zu verstehen sind; sie liefern Beispiele und sind weder abschließend noch vollständig. Der Katalog kann dabei unterstützen, unterschiedliche Ansätze von ressourcen- und klimaschonendem Arbeiten und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen sowie möglichen Zielkonflikte zu identifizieren. Die aufgeführten Fragen und Beispiele umfassen dabei vier Themenfelder:
- Könnte das Ziel einer Reise in anderer Weise, beispielsweise durch digitale Kommunikation, mit einem vergleichbaren Erkenntnis-/Vernetzungsgewinn erreicht werden? In die Abwägung können unter anderem die spezifische Situation von Personen in frühen Karrierephasen sowie der fachspezifische und internationale Vernetzungsbedarf insgesamt eingehen.
- Können durch angepasste Transportmittel oder -wege Emissionsminderungen erzielt werden? Können Flugreisen in der Projektdurchführung ersetzt oder mit anderen Anliegen bzw. Reisezielen verknüpft werden? Könnten gegebenenfalls Direktflüge gewählt werden (auch wenn diese teurer sind)?
- Kann eine quantitative Schätzung der Umweltbelastung (vor allem CO2-äquivalente Emissionen) durch die Reisetätigkeit im Rahmen des Projekts abgegeben werden?
- Organisation von Tagungen: Könnten hybride oder digitale Formate eine sinnvolle Alternative sein?
Beispiel:
Beschaffung von geologischen Proben: Die Beschaffung neuer Proben erfordert häufig Reisen und Transporte, welche zu CO2-Emissionen führen. Diese können reduziert werden, indem soweit wie möglich auf bereits vorhandenes Material zurückgegriffen wird. Bei der Konzipierung des Projekts wird reflektiert, ob und wo das für die wissenschaftlichen Ziele erforderliche bzw. geeignete Material ggf. bereits verfügbar ist.
Literatur:
Allgemein
- In welchen methodischen Ansätzen sehen Sie das meiste Potenzial, Ressourcenaufwand und klima- und umweltschädliche Emissionen in relevantem Umfang zu vermindern?
- Können Auslegung und Skalierung des Experimentdesigns oder des Feldversuchs auf den zur Beantwortung der Fragestellung erforderlichen Umfang noch besser eingestellt bzw. können sie (partiell) durch eine Simulation ersetzt werden?
- Könnte – unter Berücksichtigung des Neuigkeitsgehalts der geplanten Forschungen – auf anderweitig vorliegende, bereits existierende experimentelle Daten zurückgegriffen werden, um Arbeitsabläufe im Sinne der Nachhaltigkeit zu verbessern?
- Könnten durch vollständige Nutzung und/oder (soweit möglich) Verfügbarmachung und/oder Wiederverwertung von erhobenen Daten erneute Messungen und Experimente fokussiert oder sogar vermieden werden?
Labor- und Verbrauchsmaterial
- Besteht die Möglichkeit, Verbrauchsmaterialien (in einem verhältnismäßigen Aufwand) zu reduzieren, wiederzuverwenden oder aus recyceltem Material einzusetzen?
- Lassen sich Anbieter finden, die im Vergleich umwelt-/ressourcenschonendere Produkte vertreiben?
- Könnte sich durch den Einkauf einer geringeren Stückzahl der Aufwand für die Lagerung von Verbrauchsmaterialien reduzieren? Zu berücksichtigen sind in diesem Kontext auch etwaige Emissionen und Ressourcenaufwände durch den Transport.
Beispiel:
Der Forschungsantrag nimmt auf vorhandene Nachhaltigkeitszertifikate bzw. die damit verbundenen Vorgaben im jeweiligen Labor Bezug, soweit diese bestehen.
Untersuchungsmaterial
- Kann auf bereits vorliegendes Untersuchungsmaterial zurückgegriffen werden?
- Besteht die Möglichkeit, Untersuchungsmaterial (in einem verhältnismäßigen Aufwand) zu reduzieren, wiederzuverwenden oder für andere verfügbar zu machen?
- Gibt es Möglichkeiten für eine klima- und ressourcenschonendere Lagerung von Untersuchungsmaterial? Könnte sich zum Beispiel eine geringere Kühlung des Untersuchungsmaterials anbieten?
Beispiele:
- Gemeinsame Nutzung von vorhandenem Equipment oder Materialien und Prüfung der Wiederverwendbarkeit zum Beispiel von Laborequipment oder Probengefäßen.
- Ersetzen von umwelt- und klimaschädlichen Substanzen in der Labor- und Feldforschung durch klima- und umweltschonendere Verbindungen wie z. B. Krypton / Helium-Gemische statt SF6-Tracer.
- Überprüfen, ob bei der Verwendung umweltschädlicher Chemikalien ggf. kleinere Mengen der Probe genutzt werden können (z. B. kleinere Mengen Bodenproben); Etablierung von Maßnahmen / Protokollen zur Reduktion von kontaminiertem Wasser in der Laborforschung, zum Beispiel Wasser beim Waschen von Wurzeln.
Literatur:
Verantwortungsvoller Umgang mit natürlichen Ressourcen in der Feldforschung: American Journal of Primatology, October 2012, "Reducing the Ecological Impact of Field Research(externer Link)
- Kann der Aufwand durch eine klar hypothesengetriebene, noch effizientere Planung der durchzuführenden Simulationen reduziert werden?
- Kann die Rechenleistung für Modellierung, Simulation, Auswertung und Visualisierung reduziert werden? Bieten sich gegebenenfalls ressourcensparende cloudbasierte Lösungen an? Kann gegebenenfalls auf Anbieter zurückgegriffen werden, die Ökostrom beziehen?
- Kann durch die Wahl der Modelltiefe der Simulationsaufwand bei ähnlicher Qualität der Ergebnisse reduziert werden?
- Könnte auf anderweitig vorliegende, bereits existierende Simulationsdaten zurückgegriffen werden, um Ressourcenaufwände und Emissionen zu reduzieren?
- Könnten sich aus der vollständigen Nutzung und/oder (soweit möglich) Verfügbarmachung und/oder Wiederverwertbarkeit der erhobenen Simulationsdaten Minderungspotenziale ergeben??
- Können spezifische Aussagen zur Umweltbelastung (etwa zur Höhe des CO2-Ausstoßes) durch rechenzeitintensive Simulationen getroffen werden?
Beispiele:
- Definition von Benchmarks, um das effizienteste Programm zu ermitteln, falls mehrere Software-Pakete mit den für ihr Projekt benötigten Funktionalitäten verfügbar sind.
- Bei dezentralen bzw. nicht gemeinschaftlich genutzten Rechnerressourcen auf eine angemessen hohe, sinnvolle Auslastung der Ressourcen und einen effizienten Betrieb achten.
- Bewusstsein für den Ressourcen-Verbrauch erzeugen, zum Beispiel durch Listen mit monatlich genutzten CPU-/GPU-Stunden bzw. eine Umrechnung in Stromkosten oder einen Überschlag der dadurch erzeugten Menge CO2.
- Maßnahmen und Unterstützungsangebote zur effizienten Nutzung von Rechnerressourcen nutzen bzw. über entsprechende Serviceanbieter beziehen (Stichworte: Schulungsangebote für die HPC-Nutzung, Green IT-Strategien der Hochschule, Performance Engineering für Forschungssoftware).
- Ist eine Neuanschaffung von Geräten erforderlich? Oder gibt es – beispielweise in benachbarten Arbeitsgruppen oder Gerätezentren – bereits vorhandene oder reparierbare Geräte? Ist das neu anzuschaffende Gerät energieeffizienter als vorhandene, etwaig zu ersetzende Geräte?
- Welche Informationen über eine umwelt- und ressourcenschonende Herstellung und einen entsprechenden Betrieb liegen für das neu zu beschaffende Gerät vor?
- Gibt es Möglichkeiten, einen noch effizienteren Ressourceneinsatz und weniger Emissionen zu erreichen in Hinblick auf die Lebensdauer und die Reparierbarkeit bei Neuanschaffung sowie die Auslastung bei Gerätebetrieb?
- Welche Überlegungen bestehen für die Außerbetriebnahme von Geräten, etwa auch im Hinblick auf das Recycling?
Beispiele:
- “Freezer Challeng(externer Link)”: Bei der Challenge handelt es sich um einen internationalen Wettbewerb, der von den Organisationen „My Green Lab“ und „I2SL“ (International Institute for Sustainable Laboratories) durchgeführt wird. Ziel ist die Förderung und Verbreitung von „Best-Practice“-Maßnahmen für die effektive Lagerung von Proben sowie das energiesparende Management von Freezern und Kühlschränken.
- Gemeinsame Gerätenutzung bzw. Erarbeitung eines Nutzungskonzepts: Die gemeinsame Nutzung von Geräten, zum Beispiel durch zentralisierte und koordinierte Nutzungszeitvergabe, fördert eine effiziente und ressourcenschonende Nutzung.
- Gerätereparatu(interner Link): Die DFG setzt sich unter anderem im Bereich der Wissenschaftlichen Geräte und Informationstechnik für die Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens im DFG-Förderhandeln ein. So wurde die Möglichkeit der Reparatur von DFG-finanzierten Geräten erweitert.
Empfehlungen der Präsidialkommission
Die Empfehlunge(Download) wurden von der 2021 eingesetzten Präsidialkommission „Nachhaltigkeit“ erarbeitet und bilden den Abschluss der Arbeit der zwanzigköpfigen interdisziplinären Kommission unter der Leitung von DFG-Präsidentin Professorin Dr. Katja Becker. Der Fokus der Empfehlungen liegt auf der ökologischen Nachhaltigkeit, ohne die Wechselbeziehungen zu anderen Dimensionen wie der sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit außer Acht zu lassen.
Hintergrund
Beim Klimaschutz und der Umwelt- und Ressourcenschonung besteht auch für die Wissenschaft dringender Handlungsbedarf. Die DFG hat deshalb auf ihrer Jahresversammlung im Juni 2023 das Thema Nachhaltigkeit prominent diskutiert und sich ausdrücklich für die Verankerung ökologischer Nachhaltigkeitsaspekte im DFG-Förderhandeln ausgesprochen. Sie tut dies in ihrer Rolle als größte Forschungsförderorganisation in Deutschland und als Mitgestalterin von Rahmenbedingungen für das Wissenschaftssystem.
Die DFG verfolgt insgesamt einen „lernenden Prozess“, der Flexibilität für eine iterative Entwicklung und Anpassungsmöglichkeiten in der Forschung einräumt. Gleichzeitig soll die Kreativität der handelnden Personen und Organisationen angeregt werden, um aus der Mitte des Wissenschaftssystems heraus den Wandlungsprozess voranzutreiben.
- Pressemitteilung Nr. 28 | 30. Juni 2023: DFG verankert ökologischen Nachhaltigkeitsgedanken im Förderhandel(interner Link)
- Pressemitteilung Nr. 3 | 16. März 2022: DFG setzt Kommission für Nachhaltigkeit ei(interner Link)
Kontakt
Haben Sie ein Beispiel oder fallen Ihnen weitere Themen / Kategorien ein, die wir aufnehmen sollen? Dann kontaktieren Sie uns gerne. Wir freuen uns über Anregungen und Hinweise.
E-Mail: | NachhaltigeForschungsprozesse@dfg.de |