Wie kann "Next Generation Research" gelingen?

1. und 2. Oktober 2019, Berlin

"Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen", ist als Zitat des Bundeskanzlers a. D. Helmut Schmidt überliefert. Am 1. und 2. Oktober 2019 ging es der DFG aber genau darum - um die Visionen von Forscherinnen und Forschern für Wissenschaft in 20 Jahren. Und statt in einer Praxis tauschten sich die Teilnehmenden in der Alten Turnhalle in Berlin aus.

Interaktives Arbeiten

Wie sieht Next Generation Research aus? Beim Workshop in der Alten Turnhalle in Berlin

© DFG / Gesine Born

"Next Generation Research" nannte sich nicht nur Workshop - es ging tatsächlich zuvorderst um die gemeinsame Arbeit. An World Café-Thementischen, im Plenum und auch im Gespräch in den "Pausen" entstanden vielfältige Ideen. Zu den Themen gehörten

  • Forschung ohne Disziplin(en)
  • Forschung ohne Grenzen
  • Zusammen forschen: Technologiefortschritt durch Kompetenzbündelung
  • Digitale Forschungspraxis unter ethischen Gesichtspunkten
  • Freies Wissen und wissenschaftliche Qualität
  • Wissenschaftskommunikation reloaded

An den Thementischen kamen unter den gut 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern angeregte Diskussionen und mancher Einblick in die Arbeitspraxis anderer Disziplinen und Länder zustande. Ergebnisse waren nicht nur interaktiv und reichlich beschriebene Tischdecken, sondern auch Themen, die die DFG in ihre gegenwärtige Diskussion über mögliche Handlungsoptionen für eine dem digitalen Wandel angemessene Förderpraxis einspeisen wird.

Zukunft - damals und heute

Ein Teilnehmer schreibt auf die World Café Tischdecke

Ideenentwicklung beim World Café

© DFG / Gesine Born

Ein Themenspaziergang zum "Retrofuturismus" läutet die zwei intensiven Tage ein. Wie stellten sich Künstlerinnen und Künstler vor rund 50 Jahren die Zukunft vor? Und welche Gedanken erzeugen die in Bildern festgehaltenen Hoffnungen heute in den Köpfen? Fliegend mobil, Arbeitsplätze unter dem Meer und im Weltall, saubere Umwelt - der Blick auf die Zukunft war und ist selbstverständlich von der Gegenwart und ihren Wünschen und Ängsten geprägt. Das galt sicher auch für die Visionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei "Next Generation Research".

Vielseitige Impulse

Markl Mattingley-Scott gestikuliert bei seinem Vortrag

Fingerzeige und Impulse gab es bei den Vorträgen

© DFG / Gesine Born

Für eine kreative Atmosphäre und interessante Einblicke sorgte Input verschiedenster Art. Als Einstieg gaben die Statements der "Young Researcher", die knapp drei Wochen zuvor bei einem Workshop ihre Sicht der Dinge erarbeitet hatten, interessante Einsichten in die Erwartungen an die zukünftige Wissenschaft. Die Statements der Young Researcher sind auch filmisch festgehalten.

Ganz unterschiedliche Impulse lieferten immer wieder im Laufe des Programms sechs Vorträge von Gästen aus Wissenschaft und Wirtschaft. Als erstes zeichnete der Informatiker Albrecht Schmidt ein positives Bild einer digitalisierten Welt, in der Maschinen mehr Menschen Teilhabe an Forschung ermöglichen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mehr Zeit für die wirklich interessanten Fragen geben. Er riet, sich zu besinnen, was gute und wichtige Wissenschaft ist und wie sie unabhängig bleiben kann.

Vor dem Abendessen schilderte Mark Mattingley-Scott, Principal bei IBM in Deutschland, wie bei einem Tech-Unternehmen Innovation funktioniert. Er hält Bildung und Forschung für einen wichtigen Motor der Entwicklung und in Zeiten von "fake news" nicht zuletzt der Demokratie. Seine Vision sind Quantencomputer, die in den Computerwissenschaften aber auch in Maschinellem Lernen und der Optimierung und vor allem der Kryptographie Einsatz finden werden. Nach seinem Vortrag entführte Isabella Hermann, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, das Publikum mit Filmausschnitten in die Welt der Science Fiction und richtete ihren Blick dabei auf die Darstellung zukünftiger internationaler Politik. Das Fazit: Die althergebrachten Rollen (alte weiße Männer haben auch in Film-Zukünften das Sagen) finden sich in diesen neuen Settings wieder: "Filme tun so, als würden sie neue Wege denken. Aber sie sind geradezu reaktionär." In die Welt der Musik ging es dann mit dem Vortrag von Albert Gräf, der als Musikinformatiker an der Universität Mainz arbeitet. Er zeigte live, wie Computer komponieren und welche Programme aus Tönen Musik machen.

Visionen ganz anderer Art zeigte zum Auftakt des zweiten Tages Stefan Kohn von der Telekom. Er spannte den Bogen von alten Geräten zu Ausblicken, wie Kommunikation, Zusammenarbeit und Mobilität sich zukünftig entwickeln könnten. Von der Wählscheibe bis in die virtuelle 3D-Sitzung und zu Künstlicher Intelligenz, die die besten Ansprechpersonen findet; vom ersten Auto zu alltäglichen Flügen ins Weltall und neuen Stadtstrukturen. Er plädierte für eine engen Dialog zwischen academia und Industrie - "Wir brauchen dauerhaften, internationalen und interdisziplinären Austausch" - und skizzierte eine Welt, in der dank digitaler Technologien auch Sprachbarrieren fallen werden. Eine nähere, konkretere Zukunft zeigte Mareike König vom Deutschen Historischen Institut (DHI) in Paris. Ihr Fokus waren digitale Kanäle wie Soziale Medien und wie sie die tägliche Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bereichern können. Sie nennt als Gründe für die Nutzung den Wunsch nach Information, Partizipation und Produktion, die zum wissenschaftlichen Austausch genauso funktionieren kann (auch im Sinne von Publikation) wie als Eingangstür für interessierte Bürgerinnen und Bürger. Diese Funktion erfüllt zum Beispiel die Plattform hypotheses.de.

Große Fragen zum Abschluss

Das Podium der Diskussion von hinten im Saal

Auch um schräge Perspektiven ging es bei der Podiumsdiskussion

© DFG / Gesine Born

Eine Podiumsdiskussion setzte den Schlusspunkt des Workshops. Es wurde deutlich, dass Zukunft für vor allem junge Menschen Fragen nach "Wie und in welchem Umfeld arbeite ich?" aufwirft. Stephanie van de Sandt, die als Young Researcher auf dem Podium saß, stellt sich alternative Wege zum "Professorin-Sein" vor. Sie wünscht sich ausreichend Zeit und Mittel für ein gedeihliches Leben und gute Arbeit, die vom Wir-Gefühl geprägt ist. Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt am Main, hob die Lehre als Antrieb der Universitäten hervor - ein Anspruch, der auch zukünftig gelten wird. Die Rollen in der Wissenschaftswelt sollten am besten gemeinsam definiert werden. Aus Sicht der Helmholtz-Gemeinschaft, bei der Korinna Strobel die Strategieentwicklung begleitet, können nur große Teams Herausforderungen wie den Klimawandel meistern. Sie blickt darauf, wie ein System neue Ideen ermöglichen kann und appellierte an alle, "offen zu bleiben". Martina Schraudner, unter anderem Vorstandsmitglied der acatech, hält die Digitalisierung für einen großen Treiber für Wirtschaft und Gesellschaft. Sie träumt davon, dass die Wissenschaft schneller und ehrlicher nach Antworten sucht und sich mehr an der Gesellschaft ausrichtet. Im Jahr 2040 sieht sie nicht mehr den Klimawandel sondern den weltweiten sozialen Zusammenhalt als eines der wichtigsten Ziele. Martin Grötschel, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Mathematiker, schilderte die Möglichkeiten, die die Digitalisierung insbesondere den Geisteswissenschaften eröffne.

Das Podium sah im digitalen Wandel mehr und intensivere Möglichkeiten der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Wissenschaft. Es stellte sich jedoch auch die Frage nach der Wertschätzung für Wissenschaftskommunikation in einer akademischen Karriere. "Viele Probleme im Wissenschaftssystem sind unabhängig von der Digitalisierung", sagte van de Sandt - und man benötige vor allem - auch persönlich - Zeit für einen Wandel. Die anderen Podiumsgäste blickten auf ihre Karrieren zurück und plädierten für Mut und auch mal "schräge Alternativen". Grötschel ermunterte alle, ihre Ideen und Impulse einzubringen: "Wir können alle die Welt ändern und auch die Systeme, in denen wir arbeiten!"