Bestehendes DFG-Portfolio bietet Fördermöglichkeiten im Kontext von Long-COVID und Long-COVID-verbundener Konsequenzen über die gesamte Breite der Wissenschaft
Das Long-COVID*-Syndrom als Folge der COVID-Erkrankung stellt eine multidisziplinäre Herausforderung dar, die die gesamte Breite der Wissenschaft umfasst. Um die zugrunde liegenden Pathomechanismen, Therapieansätze und auch Konsequenzen für Individuen, Gesellschaft und Ökonomie zu verstehen, sind verschiedenste Forschungsinitiativen und Formate erforderlich. Aus Sicht der interdisziplinären Kommission für Pandemieforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) können diese nicht über kurzfristige Impulse beantwortet werden. Daher soll anhand des Long-COVID-Syndroms exemplarisch aufgezeigt werden, wie das existierende Förderportfolio der DFG für die Beantwortung dieser Fragen verwendet werden kann.
Die Spätfolgen einer COVID-Erkrankung können vielschichtig sein und sich in verschiedenen Organsystemen manifestieren. Die Häufigkeit solcher Spätfolgen scheint im Wesentlichen unabhängig von bestehenden Komorbiditäten zu sein, allerdings wurde beobachtet, dass ähnliche somatische oder psychosomatische Beschwerden beziehungsweise eine hohe psychosoziale Belastung das Auftreten begünstigen (1). Weiterhin steigt die Inzidenz für eine Manifestation einer Post-COVID-Symptomatik vier Wochen nach Symptombeginn mit Alter, Body-Mass-Index sowie der Anzahl der initialen Symptome und ist eher mit dem weiblichen Geschlecht assoziiert (2). Inzidente pulmonale, kardiovaskuläre, thromboembolische, metabolische und neurologische sowie kognitive Beeinträchtigungen gehören zu den häufigsten langfristigen Folgen, die unabhängig vom anfänglichen Schweregrad der Infektion auftreten. Die am häufigsten berichteten Symptome sind Fatigue, Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen verminderte Leistungsfähigkeit und Anosmie. Symptomkomplexe werden unter dem Begriff „Long-COVID“ oder „Post-COVID“ zusammengefasst, wenn sie insgesamt länger als vier Wochen bestehen, und als „Long-COVID-Syndrom“, wenn sie länger als zwölf Wochen nach erstmaligem Symptombeginn persistieren. Das Wort „Syndrom“ reflektiert, dass es sich um ein heterogenes Krankheitsbild handelt. Die individuell sehr unterschiedliche Entstehung sowie die jeweiligen pathobiologischen Hintergründe der auftretenden Komplikationen verbleiben bislang weitestgehend unverstanden. In der Konsequenz sind aktuell zum Einsatz kommende Therapien auf Symptomlinderung und supportive Maßnahmen fokussiert. Man schätzt nach derzeitiger Datenlage, dass circa 10 Prozent aller SARS-CoV-2-positiven Personen eine Post-COVID-Symptomatik entwickeln und die Inzidenz des Long-COVID-Syndroms bei circa 2 Prozent der COVID-Erkrankten liegt (2).
Die Inzidenz von Post-COVID-Symptomen bei Kindern und Jugendlichen ist unklar, da prospektiv erhobene, populationsbasierte Daten mit großen Fallzahlen bisher fehlen. Eine in Großbritannien durchgeführte Studie zeigte persistierende Symptome über vier beziehungsweise acht Wochen bei 4 Prozent beziehungsweise 2 Prozent der erkrankten Kinder und Jugendlichen (3).
Die Symptome können das Alltagsleben der betroffenen Personen erheblich beeinträchtigen, zum Beispiel indem sie deren Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe einschränken. Die längerfristigen psychosozialen Folgen dieser Beeinträchtigungen können erheblich sein.
Die sogenannte Fatigue ist nur eines der auftretenden Symptome, lässt sich aber sehr gut verwenden, um exemplarisch die Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik aufzuzeigen. Für das Fatigue-Syndrom ist bekannt, dass es durch verschiedenste Trigger, wie zum Beispiel virale Infektionen oder Lebensereignisse, ausgelöst werden kann. Es tritt auch nach einer Vielzahl weiterer Infektionserkrankungen wie zum Beispiel der infektiösen Mono¬nukleose auf (4). Bedingt durch die Diversität der Trigger und die Ungewissheit, bei wem es auftritt, sind systematische Studien zu zentralen Aspekten wie Risikofaktoren, Pathomechanismen und zum Langzeitverlauf kaum möglich.
In der aktuellen Situation besteht eine für den Moment einmalige Gelegenheit, eine Reihe dieser Fragen am Beispiel der SARS-CoV-2-Infektion zu adressieren und entsprechende wissenschaftliche Projekte aufzusetzen. So erlaubt die derzeitige Lage auch eine Analyse der Heterogenität des Krankheitsbilds und die Initiierung und Etablierung von Kohortenstudien, Registern und Datenbanken. Dadurch kann die Grundlage für eine Identifikation und Charakterisierung von Subgruppen auch hinsichtlich beteiligter Pathomechanismen, Determinanten und Risikofaktoren gelegt werden. Hiervon ausgehend bietet sich die Möglichkeit, analoge Folgeerscheinungen weiterer schwerer (respiratorischer) Infektionen (zum Beispiel Influenza, bakterielle Pneumonie), die vormals dahingehend nicht systematisch adressiert wurden, aber möglicherweise ähnlich bedeutsame Auswirkungen haben, in diesem Kontext gleichermaßen zu untersuchen. Dies gilt ebenfalls für die Klärung der zugrunde liegenden Pathomechanismen und für Klinische Studien, die Beobachtung des Langzeitverlaufs, aber auch für die Analyse der gesellschaftlichen, psychosozialen oder ökonomischen Auswirkungen.
Eine steigende Anzahl von Long-COVID-Erkrankten könnte weitreichende Implikationen für das Gesundheitssystem und den Arbeitsmarkt haben. Eine Reduktion des Arbeitskräfteangebots könnte unter anderem den sich in den nächsten Jahren demografisch verstärkenden Fachkräftemangel verschärfen (5). Je nach Anzahl der Long-COVID-Erkrankten könnte diese Entwicklung damit auch Implikationen für das Wirtschaftswachstum der nächsten Jahre aufweisen. Diese Auswirkungen sollten systematisch untersucht werden.
Zudem ist zu erwarten, dass das Long-COVID-Syndrom mit psychischer Belastung und – je nach Schwere und individueller Disposition – reaktiven psychischen Störungen einhergeht, deren Auswirkungen aufgrund der Prävalenz von Long-COVID erheblich sein können. Forschung wird benötigt, um Faktoren, die die Entwicklung reaktiver psychischer Störungen beeinflussen, zu benennen und Erkenntnisse für die Prävention und Therapie dieser Störungen zu erlangen. Auch dazu, welche Folgen für individuelles und institutionelles Lehren und Lernen mit Long-COVID einhergehen und wie diesen begegnet werden kann, besteht Forschungs- und Handlungsbedarf. Da die Langzeitfolgen von COVID-Erkrankungen nicht nur biomedizinische, sondern auch breite gesellschaftliche und ökonomische Relevanz haben können, sind multidisziplinäre Forschungsansätze gefragt, die neben biomedizinischen unter anderem auch epidemiologische, psychologische, soziologische, ökonomische und Public-Health-Aspekte integrieren.
Die zuvor ausgeführten Fragestellungen zeigen, dass Long-COVID sehr viel mehr als nur biomedizinische Aspekte umfasst und je nach Zielsetzung verschiedene Instrumente der Förderung Einsatz finden. Es lohnt sich daher ein Blick auf die Förderformate der DFG, die ein hohes Maß an Gestaltungsfreiraum in der Antragstellung und Konzeption erlauben: Forschung zu klar definierten Aspekten kann unter anderem die Flexibilität in Laufzeit, Förderumfang und Fördermodulen von Sachbeihilfen nutzen, wohingegen das Programm „Klinische Studien“ Möglichkeiten bietet, interventionelle Designs der Phase II und III, beispielsweise zur Evaluierung von therapeutischen Optionen, zu unterstützen. Die angesprochene Komplexität des Themas Long-COVID erfordert absehbar zudem einen intensiven Einsatz interdisziplinärer oder transdisziplinärer Ansätze, die wiederum im Rahmen von Verbundforschungsprojekten abbildbar sind. Je nach Breite und Ausprägung des Ansatzes können (Klinische) Forschungsgruppen oder Sonderforschungsbereiche (SFB) zur Erforschung komplexer wissenschaftlicher Fragestellungen genutzt werden. Darüber hinaus können Schwerpunktprogramme (SPP) als Impulsgeber für die Entwicklung, Etablierung und Verknüpfung von Forschungsfeldern Einsatz finden. Neben der Förderung wissenschaftlicher Projekte werden Möglichkeiten zur Unterstützung des wissenschaftlichen Austauschs auf nationaler und internationaler Ebene in Form von wissenschaftlichen Netzwerken oder der Anbahnung internationaler Kooperationen angeboten.
Mit ihrem wissenschaftsgeleiteten Ansatz und einer Peer-Review-basierten Forschungsförderung begrüßt die DFG im Hinblick auf Long-COVID, dass die Fachcommunities die für sie relevanten Fragen und Forschungsansätze identifizieren und in entsprechenden Anträgen adressieren. Viele der sich stellenden Herausforderungen und Fragen werden absehbar nur durch multi- und interdisziplinäre Ansätze adressiert werden können, die ein hohes Erkenntnispotenzial besitzen. Die DFG bietet an dieser Stelle zur Adressierung der verschiedenen Fragestellungen vielfältige Möglichkeiten zur Unterstützung. Insbesondere multidisziplinäre Ansätze werden in diesem Kontext begrüßt.
*COVID wird synonym für COVID-19 verwendet.
(1) Nalbandian A, Sehgal K, Gupta A, Madhavan MV, McGroder C, Stevens JS, et al. Post-acute COVID-19 syndrome. Nat Med. 2021;27(4):601–15.
(2) Sudre CH, Murray B, Varsavsky T, Graham MS, Penfold RS, Bowyer RC, et al. Attributes and predictors of long COVID. Nat Med. 2021;27(4):626–31.
(3) Molteni E, Sudre CH, Canas LS, Bhopal SS, Hughes RC, Antonelli M, et al. Illness duration and symptom profile in a large cohort of symptomatic UK school-aged children tested for SARS-CoV-2. medRxiv. 2021:2021.05.05.21256649.
(4) Hickie I, Davenport T, Wakefield D, Vollmer-Conna U, Cameron B, Vernon SD, et al. Post-infective and chronic fatigue syndromes precipitated by viral and non-viral pathogens: prospective cohort study. BMJ. 2006;333(7568):575.
(5) Marjenko A, Müller M, Sauer S. Das KfW-ifo-Fachkräftebarometer: Jedes fünfte deutsche Unternehmen wird derzeit durch Fachkräftemangel beeinträchtigt. ifo Schnelldienst, 2021, 74, Nr. 04, 57–59.
Zur interdisziplinären Kommission für Pandemieforschung der DFG:
www.dfg.de/foerderung/corona_informationen/pandemie_kommissio
Fachliche Ansprechpartner in der DFG-Geschäftsstelle: