Im Jahr 2003 haben die DFG und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beschlossen, erstmals qualitativ hochwertige Studien in Deutschland industrieunabhängig zu fördern, um eine bessere Patientenversorgung zu gewährleisten. Fast auf den Tag genau 20 Jahre nach der gemeinsamen Einrichtung des Programms „Klinische Studien“ luden DFG und BMBF am 9. November 2023 rund 150 Gäste in die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, um das runde Jubiläum zu feiern und dabei nicht nur erzielte Erfolge zu würdigen, sondern auch aktuelle Herausforderungen zu diskutieren.
Zu Beginn der Veranstaltung blickten die Anwesenden zunächst auf die Erfolge des Programms zurück: Die DFG förderte seit 2003 insgesamt 161 Interventionsstudien und 15 Machbarkeitsstudien mit einem Gesamtbetrag von rund 200 Millionen Euro, das BMBF wiederum konnte 137 klinische Studien und 164 systematische Reviews mit einem Volumen von mehr als 250 Millionen Euro finanzieren. Die einzelnen Studien waren und sind dabei in vielen Fächern und Disziplinen der Medizin und Psychologie angesiedelt. Nach insgesamt acht gemeinsamen Ausschreibungen beschloss die DFG 2013 die Einrichtung eines eigenen dauerhaften Förderprogramms. Seitdem finanzieren DFG und BMBF klinische Studien unabhängig voneinander, stimmen sich aber weiterhin eng über die Grundsätze der Förderung ab.
Professorin Dr. Veronika von Messling, Leiterin der Abteilung „Lebenswissenschaften“ im BMBF, lobte in ihrer Begrüßung die „beachtliche Bilanz“ des Förderprogramms. Die Aktivitäten beider Organisationen hätten zur Qualitätssteigerung klinischer Forschung beigetragen und ihr entscheidende Impulse verliehen. Professorin Dr. Britta Siegmund, Vizepräsidentin der DFG und Klinikdirektorin der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie an der Charité Berlin, unterstrich: „Das Programm zur Förderung klinischer Studien hat erstmals unabhängig von wirtschaftlichen Interessen patientennahe medizinische Forschung in Deutschland ermöglicht.“ Mithilfe der Förderung durch DFG und BMBF seien in Deutschland initiierte Investigator Initiated Trials (IITs), also von Wissenschaftler*innen oder Universitäten durchgeführte Studien ohne kommerzielles Interesse, im internationalen Vergleich deutlich wettbewerbsfähiger geworden. Das Jubiläum eröffne nun eine Möglichkeit der Reflektion, die die DFG gerne nutzen wolle, um Input für ihre zukünftige Programmgestaltung mitzunehmen, so Siegmund.
Im Anschluss ging es dann vor allem um den Blick voraus: Wie kann die Translation wissenschaftlicher Erkenntnisse noch besser gelingen? Und wie können junge Ärzt*innen davon überzeugt werden, klinische Studien als lohnenswertes Betätigungsfeld anzusehen? Anregungen und Verbesserungsvorschläge gab es einige, denn, wie Professor Dr. Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrats, es in seinem Vortrag am Ende des Tages zusammenfasste: „Wir sind aus vielen Gründen einfach nicht gut genug darin, die in Deutschland traditionell hervorragende medizinische Grundlagenforschung in innovative Versorgung zu überführen.“ Welche Aspekte der klinischen Forschung in Deutschland wurden also diskutiert?
Zunächst mahnte Professorin Dr. Wiebke Arlt, Imperial College London, die angemessene Bewertung klinischer Forschung an und hob dabei hervor, dass nicht nur einzelne Forscher*innen für den Erfolg einer Studie verantwortlich seien, sondern die Durchführung von Studien vor allem eine Teamleistung sei, die dementsprechend bewertet werden müsse. Sie blickte zudem aus einer internationalen Perspektive auf die deutsche klinische Forschung und deckte Schwächen im Vergleich zum britischen System auf, darunter die administrativen und regulatorischen Hürden in Deutschland.
Professorin Dr. Marion Subklewe von der LMU München wiederum betonte, dass die derzeitige Bewertung von Leistungen im Rahmen klinischer Studien meistens erst sehr spät oder zu spät zu einem Reputationsgewinn führe und somit für Personen in der frühen Karrierephase sehr unattraktiv sei. Ihre Keynote trug daher auch den vielsagenden Titel „Karrierek(n)ick klinische Studie?!“ Es brauche eine klare Laufbahn für Clinical Trialists mit einer Bewertungsmatrix, die die Leistungen von patientennaher klinischer Forschung berücksichtige, sowie attraktive Zielpositionen, damit sich junge Ärzt*innen nicht von der klinischen Forschung abwendeten, so Subklewe.
Neben gut ausgebildeten Personen ist eine adäquate Infrastruktur genauso unerlässlich für die Durchführung von klinischen Studien. Darauf zielte die Keynote von Professor Dr. Christof von Kalle, Berlin Institute of Health. Er nannte dabei zuvorderst die noch wenig ausgeprägte Digitalisierung in Deutschland und sprach sich für einen besseren Zugang zu Forschungsdaten sowie den schnelleren Datenaustausch innerhalb der klinischen Forschung aus. Im Anschluss ging Professor Dr. Matthias Briel vom Universitätsspital Basel auf die „ultimative Herausforderung“ von klinischen Studien ein, nämlich die Rekrutierung von Patientinnen und Patienten. Dies sei ein Grundproblem vieler klinischer Studien und nicht neu, dennoch sei unzureichende Rekrutierung der häufigste Grund, warum Studien vorzeitig beendet werden müssten.
Eine wichtige Voraussetzung für eine gute Rekrutierung lieferten PD Dr. Rosa Klotz, Universitätsklinikum Heidelberg, und Andrea Sebastian, eine Vertreterin ebenjener Patientenseite (vom Verein Lebertransplantierte Deutschland e.V.). Sie betonten, wie wichtig es sei, die Patient*innen einzubinden und zeigten sich überzeugt, dass klinische Entwicklungen vor allem einen Nutzen für die medizinische Versorgung haben müsse. Wie zentral eine gute biometrische Planung für den Erfolg einer Studie ist, erläuterte wiederum Professor Dr. Tim Friede, Universität Göttingen. Die bestmögliche biometrische Strategie für die jeweilige Fragestellung könne nur im Team zwischen Biometrie und Klinik erarbeitet werden. Dabei gebe es in der Biometrie mittlerweile innovative Ansätze, um sich den Herausforderungen von kleinen Fallzahlen ebenso zu stellen wie Fragestellungen, bei denen eine Randomisierung schwierig ist.
Die genannten Impulse wurden im Verlauf der Tagung in zwei Podiumsrunden mit den Keynote-Speaker*innen sowie Vertreter*innen von BMBF und DFG unter der Moderation der Wissenschaftsjournalistin Angela Elis weiter diskutiert. Dabei wurden zusätzliche Aspekte angesprochen, etwa der dringende Bedarf an dauerhaften, standortübergreifenden und spezialisierten Unterstützungsstrukturen für klinische Studien, wie es heute zum Teil schon von den Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) geleistet wird.
DFG-Vizepräsidentin Siegmund fasste in ihrem Statement zum Abschluss noch einmal zusammen, was aus ihrer Sicht nötig sei, um die Situation nachhaltig zu verbessern: „Klinische Studien und klinische Forschung haben einen großen Wert für Patientinnen und Patienten, die Gesellschaft und den Standort Deutschland. Wir brauchen daher qualifizierte Fachkräfte, die klinische Studien durchführen – wir brauchen motivierte, gut ausgebildete Clinician Scientists und müssen daher auch die Ausbildung in strukturierten Programmen zu ihrer Förderung erhalten, trotz aller ökonomischen Zwänge an den Universitätskliniken“, sagte Siegmund. „Darüber hinaus sollten wir uns um eine bessere standortübergreifende Vernetzung der Expertise innerhalb der klinischen Forschung kümmern und dazu eigene ‚Hubs‘ ins Leben rufen. Letztlich benötigen wir einen Kulturwandel im Sinne der Patientinnen und Patienten.“
Am Ende des Tages gab das Fazit des Wissenschaftsratsvorsitzenden Wick die Richtung für die Zukunft vor: Es sei klar, dass weiterhin Handlungsbedarf bestehe, und genau das habe auch die Tagung gezeigt. „Wenn wir in Deutschland mehr und bessere klinische Studien – und damit eine bessere Versorgung – wollen“, sagte Wick, „müssen wir sie also endlich wirklich attraktiver machen, endlich wirklich viel öffentliches und privates Geld in kluger Weise für klinische Studien zur Verfügung stellen, endlich den bürokratischen und regulativen Aufwand reduzieren, und wir müssen klinische Forschung, vor allem aber ein auf die Umsetzung der großartigen Grundlagenerkenntnisse ausgerichtetes Denken, tiefer und breiter in der akademischen Wissenschaftskultur verankern.“