Ausgewählte Studien zu Bias in der Wissenschaft und in Urteilsbildungsprozessen

Damit Entscheidungen vorurteilsfrei, chancengerecht und somit wissenschaftsgeleitet getroffen werden, müssen (implizite) Vorurteile vermieden werden.

Im Film "Vorurteilsfreie Begutachtung" werden folgende Studien in Infografiken dargestellt, die mögliche Effekte von Vorurteilen in Begutachtungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozessen zeigen.

Neben Studien zu möglichen Bias und deren Effekten in Beurteilungsverfahren, gibt es weitere Untersuchungen beispielsweise aus der Personalauswahl. Auch diese Untersuchungen zu Urteilstendenzen können Hinweise auf verzerrte Auswahlverfahren geben.

Renommee als Vorteil im Peer Review

Bild aus der Studie: Renommee als Vorteil im Peer Review

Huber et al. zeigten am Beispiel einer verhaltensökonomischen Zeitschrift, dass die Prominenz von Autor*innen die Bewertung im Peer Review beeinflussen kann. So bewerteten Gutachter*innen identische Manuskripte verschieden, je nachdem, von wem sie stammten. In der Studie wurde ein Papier an Gutachter*innen weitergegeben mit namentlicher Nennung des prominenten Autors, mit namentlicher Nennung des weniger bekannten Autors (beides Männer) bzw. ohne Namensnennung/anonym. Die Zustimmung variierte zwischen prominentem bzw. unbekanntem, namentlich genannten Autor von 77 Prozent gegenüber 35 Prozent. 52 Prozent Zustimmung erhielt der Artikel bei Anonymisierung.

Huber, J., Inoua, S., Kerschbamer, R., König-Kersting, C., Palan, S. & Smith, L. S. (2022).
Nobel and novice: Author prominence affects peer review, PNAS 119 (41).

Gemeinsamkeiten als Vorteil im Peer Review

Bild aus der Studie: Gemeinsamkeiten als Vorteil im Peer Review

Murray et al. konnten für die Aufforderung zur Volleinreichung von Artikeln in einer biowissenschaftlichen Zeitschrift zeigen, dass die Akzeptanzraten höher waren, je mehr Homogenität zwischen den Einreichenden und den Gutachter*innen bestand. So lag die Chance für eine Aufforderung zur Artikeleinreichung von US-amerikanischen korrespondierenden Autor*innen bei 39,2 Prozent gegenüber 29,3 Prozent für deutsche und 12,6 Prozent für chinesische korrespondierende Autor*innen.

Murray, D., Siler, K., Larivière, V., Chan, W. M., Collings, A. M., Raymond, J. & Sugimoto, C. R. (2019). Author-Reviewer Homophily in Peer Review.

Stereotype in Empfehlungsschreiben

Bild aus der Studie: Stereotype in Empfehlungsschreiben

Turrentine et al. haben für US-amerikanische Empfehlungsschreiben in der Chirurgie herausgefunden, dass Adjektive zur Beschreibung der Bewerber*innen geschlechtsspezifische Stereotype widerspiegelten. Wissenschaftler wurden vermehrt als "exceptional", Wissenschaftlerinnen eher als "hard-working" oder "delightful" beschrieben.

Turrentine, F. E., Dreisbach, C. N., St Ivany, A. R., Hanks, J. B., & Schroen, A. T. (2019).
Influence of gender on surgical residency applicants' recommendation letters. Journal of the American College of Surgeons, 228(4), 356-365.

Unterschiede als Nachteil bei Bewerbungsverfahren

Bild aus der Studie: Unterschiede als Nachteil bei Bewerbungsverfahren

Lippens et al. fanden in ihrer Analyse englischsprachiger Studien heraus, dass Menschen mit Behinderungen, Menschen, die als "ethnisch fremd" erkennbar waren sowie ältere Menschen deutlich seltener positive Antworten auf ihre Bewerbungen erhielten. Die Wahrscheinlichkeit nahm ab von 41 Prozent über 37 Prozent auf 31 Prozent.

Lippens, L., Vermeiren, S. & Baert, S. (2023). The state of hiring discrimination: A meta-analysis of (almost) all recent correspondence experiments. European Economic Review, 151 (2023) 104315.

"Motherhood Penality" und "Maybe-Baby-Effekt"

Becker et al. haben für Teilzeitstellen in deutschsprachigen Ländern herausgefunden, dass verheiratete Frauen mit kleinen Kindern schlechtere Chancen hatten, zu Bewerbungsgesprächen eingeladen zu werden als Frauen mit bereits älteren Kindern, bei denen eine abgeschlossene Familienplanung angenommen wurde. Die Rückrufraten unterscheiden sich um rund sieben Prozentpunkte (20,7% gegenüber 27,18%).

Gleichzeitig wurden verheiratete, kinderlose Frauen, bei denen das Risiko einer Schwangerschaft höher eingeschätzt wurde, benachteiligt gegenüber kinderlosen Single-Frauen (Rückrufquoten von 13,11% gegenüber 18,77%).

Einerseits ist also die sogenannte "motherhood penality" zu beobachten (Unterstellung verminderter beruflicher Einsatzfähigkeit für Frauen mit betreuungsbedürftigen Kindern) – hier für Frauen mit kleineren Kindern. Andererseits zeigt sich für kinderlose Frauen im gebärfähigen Alter der „maybe-baby-Effekt“ (Unterstellung einer möglichen Schwangerschaft).

Becker, S. O., Fernandes, A. & Weichselbaumer, D. (2019), Discrimination in Hiring Based on Potential and Realized Fertility: Evidence from a Large-Scale Field Experiment. IZA Discussion Paper No. 12308.

Lutter, M. & Schröder, M. (2020). Is there a motherhood penalty in academia? The gendered effect of children on academic publications in German sociology. European Sociological Review, 36(3), 442-459.

Peterson Gloor, J. L., Okimoto, T. G. & King, E. B. (2021). "Maybe baby?" The employment risk of potential parenthood. Journal of Applied Social Psychology, 52(8), 623-642.

Erfolg in Bewerbungsverfahren durch „Oberschicht-Hobbies“

Rivera & Tilcsik zeigten für US-amerikanische Bewerbungsverfahren, dass Menschen mit Hobbys, die vermeintlich der "Oberschicht" zuzuordnen sind, deutlich mehr Erfolg hatten als jene mit Hobbys, die mit einer Zugehörigkeit zur "Arbeiterschicht" assoziiert wurden. So erhielten 16 Prozent der Bewerber*innen, die segelten, Polo spielten oder klassische Musik hörten, einen Rückruf. Abgesehen von den Hobbies und der Geschlechtsangabe unterschieden sich die in der Studie verwendeten Lebensläufe nicht. Von den Personen mit Hobbies wie Fußball, Leichtathletik und Country-Musik wurde demgegenüber nur ein Prozent zurückgerufen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass innerhalb der vermeintlich als Oberschicht geltenden Gruppe Männer besser bewertet wurden, während Frauen mit negativen Stereotypen konfrontiert waren. 

Rivera, L. A. & Tilcsik, A. (2016). Class Advantage, Commitment Penalty: The Gendered Effect of Social Class Signals in an Elite Labor Market, American Sociological Review 2016, Vol. 81(6) 1097–1131.

Gender Bias in der Wissenschaft

Gemäß des Reviews von Roper zeigen aktuelle Studien weiterhin die Verbreitung von geschlechtsspezifischen Vorurteilen in der Wissenschaft und insbesondere in der Medizin. Demzufolge beeinflussten diese die Benotung von Studentinnen, den beruflichen Aufstieg, die Einstellung sowie die Entfristung, den Erfolg von Förderanträgen sowie die Bezahlung von Frauen im wissenschaftlichen Bereich negativ. Auch sexuelle Belästigung wurde als erhebliches Hindernis für Frauen in der Wissenschaft identifiziert.

Roper, R.L. (2019). Does Gender Bias Still Affect Women in Science? Microbiology and Molecular Biology Reviews 83(3).

Bias in Entscheidungsverfahren von Forschungsförderorganisationen

In seinem Synthesebericht zur Ungleichheit bei der Zuteilung von Drittmitteln durch Forschungsförderorganisationen in Europa kam das Projekt GRANted zu dem Schluss, dass trotz positiver Entwicklungen Forschungskarrieren in allen untersuchten Ländern eindeutig geschlechtsspezifische Muster aufweisen. Auch im Kontext der ERC-Förderung wurden beispielsweise in den Lebenswissenschaften geschlechtsspezifische Vorurteile häufiger zugunsten von Männern als von Frauen festgestellt.

GRANteD 2022, D.5.1 Synthesis report on contextual factors, gender equality policy analysis and gender bias risk analysis.

Van den Besselaar, P. & Schiffbaenker, H. & Sandström, U. & Mom, Ch. (2018). Explaining gender bias in ERC grant selection – Life Sciences case.

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