Pressemitteilung Nr. 52 | 3. Dezember 2020

Coronavirus-Impfstoff zeigt langfristigen Wert von erkenntnisgeleiteter Grundlagenforschung

Entwicklung des mRNA-Vakzins der Firma BioNTech geht auf Teilprojekt in DFG-gefördertem Mainzer Sonderforschungsbereich zur Krebsforschung zurück / Förderung von 2006 bis 2008

Entwicklung des mRNA-Vakzins der Firma BioNTech geht auf Teilprojekt in DFG-gefördertem Mainzer Sonderforschungsbereich zur Krebsforschung zurück / Förderung von 2006 bis 2008

Der bislang aussichtsreichste Impfstoff gegen das Coronavirus ist auch ein Beispiel für den langfristigen Wert erkenntnisgeleiteter Grundlagenforschung und ihrer Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Die sogenannte mRNA-Vakzine-Plattform, die das Mainzer Unternehmen BioNTech bei seinem gemeinsam mit dem US-Pharmaunternehmen Pfizer entwickelten Covid-19-Impfstoff einsetzt, geht auf Vorarbeiten zurück, die von 2006 bis 2008 in einem Teilprojekt eines DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs (SFB) zur Krebsforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz durchgeführt wurden. Diese wiederum knüpften bereits an vorherige DFG-Förderungen an.

Leiter des Teilprojekts war der spätere Gründer und heutige Vorstandsvorsitzende von BioNTech, Professor Dr. Uğur Şahin, dessen Name und Person eng mit der Entwicklung des Impfstoffs BNT162b2 verbunden ist, der nach seiner nun erfolgten Zulassung in Großbritannien und der in Kürze erwarteten Zulassung in den USA und der EU unmittelbar zum Einsatz kommen soll. Neben ihm war auch Privatdozentin Dr. Özlem Türeci, die als Medizinischer Vorstand von BioNTech ebenso maßgeblich am Covid-19-Impfstoff beteiligte Ehefrau Şahins, mit einem Teilprojekt im Sonderforschungsbereich vertreten. Sprecher des SFB war der Immunologe und Onkologe Professor Dr. Christoph Huber, der später ebenfalls zu den Gründern von BioNTech gehörte und heute im Aufsichtsrat des Unternehmens sitzt.

Şahin bezeichnet die von der DFG geförderten Arbeiten als „wichtige Beiträge“ zur Erforschung grundlegender wissenschaftlicher Fragestellungen auf dem Weg zu der jetzt eingesetzten mRNA-Impfstoff-Plattform. „Diese frühen Arbeiten gehörten zur Grundsteinlegung für die Entwicklung unseres Impfstoffs“, so Şahin.

Der SFB, in dem Şahins Arbeiten stattfanden, wurde von 1997 bis 2008 mit insgesamt rund 19 Millionen Euro gefördert. Er erforschte in zwei großen Bereichen mit jeweils mehr als einem Dutzend Teilprojekten „Mechanismen der Tumorabwehr und ihre therapeutische Beeinflussung“. Şahin war ab dem Jahr 2000 zunächst als Leiter einer Nachwuchsgruppe in den SFB integriert. Ab 2004 erhielt er in einem Graduiertenkolleg eine weitere DFG-Förderung, ebenso wie Özlem Türeci, die zudem mit einem Habilitationsstipendium und im Heisenberg-Programm der DFG gefördert wurde. Şahins Teilprojekt wurde 2006 in der letzten Förderperiode des SFB eingerichtet und von ihm zunächst als Privatdozent geleitet, ehe er eine Professur für Experimentelle Onkologie erhielt. Bis zum Ende des SFB 2008 wurde das Teilprojekt mit gut 300 000 Euro gefördert.

Unter dem Titel „Entwicklung mRNA-basierter Impfstoffe zur Induktion integrierter T- und B-Zell-Immunantworten gegen molekular definierte Tumorantigene“ zielte das Teilprojekt darauf ab, Tumore durch eine direkte Aktivierung des körpereigenen Immunsystems zu kontrollieren und zu zerstören, was einen grundlegend anderen Therapieansatz als Bestrahlungen oder Chemotherapien darstellt. Bei diesem Ansatz werden die sogenannten Tumorantigene auf der Oberfläche der Tumorzellen identifiziert und ihre Erbinformationen entschlüsselt. Der so gewonnene genetische Bauplan lässt sich dann als Schablone oder Plattform für die Entwicklung und die technologische Herstellung eines spezifisch gegen die Tumorantigene gerichteten Impfstoffs einsetzen. Als Impfstoffsubstanz werden dabei Ribonukleinsäuren (mRNA) verwendet, die das Immunsystem präzise über die zu bekämpfenden Tumorantigene informieren und dann zügig abgebaut werden und damit keine dauerhaften genetischen Veränderungen im Erbgut hinterlassen.

Dieser Ansatz einer sogenannten mRNA-Vakzinierung wiederum basiert auf anderen Vorarbeiten aus den 1990er-Jahren. Hierzu zählten unter anderem auch Arbeiten in einem weiteren Sonderforschungsbereich, der von 1997 bis 2004 von der DFG an der Universität Tübingen gefördert wurde. Zu den Mitarbeitern des von dem Immunologen Professor Dr. Hans-Georg Rammensee geleiteten SFB zum Oberthema „Stammzellen und Antigenerkennung im hämatopoetischen System: Von der Stammzelle zur Immuntherapie“ gehörte unter anderem Dr. Ingmar Hoerr, der hier in einem Teilprojekt promoviert wurde und im Anschluss das Biotech-Unternehmen Curevac gründete, das derzeit ebenfalls an der Entwicklung eines Coronavirus-Impfstoffs arbeitet.

Şahin selbst führte die in dem SFB-Teilprojekt begonnenen Arbeiten im Rahmen mehrerer Förderungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und in dem von ihm 2010 mitgegründeten und ebenfalls DFG-geförderten Forschungszentrum Translationale Onkologie (TRON) an der Mainzer Universitätsmedizin sowie seit 2008 auch in seiner Ausgründung BioNTech weiter, wo sie jetzt in die Entwicklung des Coronavirus-Impfstoffs einflossen.

„Das Immunsystems hat sich über Millionen von Jahren Evolution darauf optimiert, uns gegen Pathogene wie Viren zu schützen. Unsere frühe Forschung hat sich mit der Frage beschäftigt, wie wir diese Immunmechanismen weiter verbessern und zur Bekämpfung von Krebszellen ausnutzen können. Auf diesem Wissen konnten wir jetzt aufsetzen. Das Immunsystem gegen SARS-CoV-2 mit einem Impfstoff zu aktivieren, ist im Vergleich eine einfachere Herausforderung als die Überwindung der Selbsttoleranz gegen Krebs“, sagt Şahin. „Auch ist uns die jahrelange Erfahrung als Wanderer zwischen den Welten der Grundlagenforschung und der Anwendung zugutegekommen. Dabei geht es nie um einen einseitigen Prozess, stattdessen befruchten Ergebnisse aus der Grundlagenforschung immer wieder die Translation, genauso wie die anwendungsorientierte Forschung Erkenntnisse liefert und neue Fragen aufwirft, die dann wieder grundlagenwissenschaftlich studiert werden müssen“, so Şahin. Zusätzlich zu seiner Tätigkeit bei BioNTech ist der Wissenschaftler weiterhin Professor für Experimentelle Onkologie an der Mainzer Universität und wird als Teilprojektleiter in drei derzeit laufenden SFB auch weiterhin von der DFG gefördert.

DFG-Präsidentin Professorin Dr. Katja Becker beglückwünschte Şahin und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Entwicklung ihres Impfstoffs und hob dabei hervor: „Die DFG freut sich sehr, auf ihre Weise und in einem frühen Stadium einen Beitrag zu den Erkenntnissen geleistet zu haben, die jetzt in einer erfolgreichen universitären Ausgründung für den Impfstoff genutzt werden können, mit dem sich so große Hoffnungen verbinden. Seine Entwicklung zeigt, wie essenziell eine Forschung ist, die allein auf Basis wissenschaftlicher Neugier Erkenntnisse erzielt und deren eigentlicher Wert oft darin liegt, dass er sich gerade nicht vorhersehen lässt. Niemand konnte bei der Einrichtung des SFB etwas von der Coronavirus-Pandemie ahnen, und doch begründeten die damaligen Forschungen einen Wissensspeicher, der Jahre später und auf einem ganz anderen Gebiet die Bekämpfung dieser globalen Herausforderung entscheidend voranbringen kann.“

„Dieses Prinzip einer erkenntnisgeleiteten Forschung, für das die DFG in besonderer Weise steht, wird in Deutschland seit nunmehr 100 Jahren gefördert und erweist sich damit einmal mehr als Erfolgsgeschichte“, fuhr Becker fort und verwies auf die Gründung der DFG-Vorgängerorganisation Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft im Jahr 1920, an die die DFG in diesem Jahr mit ihrer Kampagne „DFG2020 – Für das Wissen entscheiden“ erinnert.

Als größte Forschungsförderorganisation in Deutschland fördert die DFG aktuell mehr als 31 000 Forschungsprojekte in allen Fachgebieten. Hierfür standen jährlich zuletzt insgesamt rund 3,3 Milliarden Euro vom Bund und den Ländern zur Verfügung, die nach wissenschaftlichen Qualitätskriterien vergeben werden. Das Spektrum der Förderungen reicht von der Einzelförderung bis zu großen Forschungsverbünden. Unter letzteren sollen die derzeit mehr als 270 Sonderforschungsbereiche die Erforschung langfristig konzipierter Vorhaben ermöglichen und die Schwerpunkt- und Strukturbildung an den Hochschulen stärken.

Mit einer Reihe von Förderprojekten und weiteren Aktivitäten trägt die DFG aktuell auch zur direkten Erforschung der Coronavirus-Pandemie bei. Bereits vor deren Ausbruch wurden rund 20 Forschungsprojekte zu Coronaviren sowie zur Infektiösität und genetischen Vielfalt von Viren gefördert, darunter auch in mehreren SFB, einer Klinischen Forschungsgruppe und einem Schwerpunktprogramm unter Leitung des Virologen Professor Dr. Christian Drosten.

Nur wenige Wochen nach dem Ausbruch von Covid-19 startete die DFG Ende März eine groß angelegte Ausschreibung zur fachübergreifenden Erforschung von Epidemien und Pandemien. Mit ihr soll ein breites Spektrum an Forschungsvorhaben gefördert werden, das von medizinischen und biologischen Grundlagen sowie präventiven und therapeutischen Maßnahmen über psychologische, gesellschaftliche, kulturelle, rechtliche oder ethische Implikationen bis zur Ökonomie, Logistik und Kommunikation reicht. Im Rahmen dieser Ausschreibung gingen fast 300 Förderanträge bei der DFG ein, die ersten Projekte sollen voraussichtlich ab Anfang 2021 gefördert werden.

Im Juni richtete die DFG zudem eine interdisziplinäre Kommission für Pandemieforschung mit 18 Mitgliedern aus allen Fachgebieten ein. Sie soll die Rolle der Grundlagenforschung auf diesem Gebiet weiter stärken, die Pandemie-Ausschreibung und die in deren Rahmen geförderten Projekte begleiten und weitere Forschungsfelder identifizieren. Zu letzteren veröffentlicht die DFG spezifische Ausschreibungen, mit denen Vorhaben zu besonders drängenden oder kurzfristig zu beantwortenden Fragen in einer sogenannten Fokus-Förderung für maximal ein Jahr gefördert werden können.

Weiterführende Informationen

Medienkontakt:

  • Marco Finetti
    Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der DFG
    Tel. +49 228 885-2230

Fachlicher Ansprechpartner in der DFG-Geschäftsstelle:

  • Dr. Tobias Grimm
    Leiter Lebenswissenschaften 2: Mikrobiologie, Immunologie, Neurowissenschaften
    Tel. +49 228 885-2988

Ausführliche Informationen zu den Förderaktivitäten der DFG im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie finden sich im Internetangebot der DFG unter: