Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet sieben neue Forschungsgruppen und eine neue Kolleg-Forschungsgruppe ein. Das hat der Hauptausschuss der DFG auf Empfehlung des Senats beschlossen. Die neuen Forschungsgruppen erhalten insgesamt rund 39 Millionen Euro inklusive einer Programmpauschale in Höhe von 22 Prozent für indirekte Projektausgaben. Zusätzlich zu den acht Neueinrichtungen wurde die Verlängerung von drei Forschungsgruppen für eine zweite Förderperiode beschlossen. Eine der neu eingerichteten Forschungsgruppen wird im Rahmen der D-A-CH-Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert.
Forschungsgruppen ermöglichen Wissenschaftler*innen, sich aktuellen und drängenden Fragen ihrer Fachgebiete zu widmen und innovative Arbeitsrichtungen zu etablieren. Sie werden bis zu acht Jahre lang gefördert. Im Ganzen fördert die DFG zurzeit 197 Forschungsgruppen, 12 Klinische Forschungsgruppen und 17 Kolleg-Forschungsgruppen. Klinische Forschungsgruppen sind zusätzlich durch die enge Verknüpfung von wissenschaftlicher und klinischer Arbeit charakterisiert, während Kolleg-Forschungsgruppen speziell auf geistes- und sozialwissenschaftliche Arbeitsformen zugeschnitten sind.
(in alphabetischer Reihenfolge der Hochschulen der Sprecher*innen):
Im Fokus der Forschungsgruppe „MiRoVA – Migration der Straßenfahrzeugautomatisierung“ steht der Übergang von einem menschengeleiteten hin zu einem auf langfristige Sicht automatisierten Verkehr, wobei es bereits Mischformen gibt und auch weiterhin geben wird, bei denen menschengeleitete Autos gemeinsam mit maschinell gesteuerten auf der Straße unterwegs sind. Der Verbund erforscht wie sicher und effizient (semi-)autonome Fahrzeuge in das Verkehrssystem integriert werden können und wie akzeptiert und nutzbar diese in einem gemischten Szenario sind. Konkret werden drei Situationen analysiert: Fußgängerübergänge, Autobahnauffahrten und Spurwechsel auf Autobahnen. Die Forscher*innen befassen sich darüber hinaus mit der grundlegenden, aber bislang nur unzureichend verstandenen Frage, wie unterschiedliche Menschen mit Technik unterschiedlicher Automatisierungsvarianten überhaupt interagieren und kooperieren. (Sprecher: Professor Dr.-Ing. Frank O. Flemisch, RWTH Aachen)
Volkswirtschaften weltweit stehen vor der Herausforderung, dass sich infolge globaler Veränderungsprozesse wie der Digitalisierung, Globalisierung und dem Klimawandel die Struktur der Arbeitskräftenachfrage verändert. Es sind zunehmend Qualifikationen gefragt, die derzeit nur wenige Arbeits- und Fachkräfte haben. Die Forschungsgruppe „Transformationen auf dem Arbeitsmarkt: Fachkräftemangel, fehlende Qualifikationen und die Rolle von Politik“ betrachtet daher die oben genannten Transformationsprozesse, die die Nachfrage nach bestimmten Fertigkeiten der Arbeitskräfte verschieben. Darüber hinaus erforscht sie die Möglichkeiten von Politik, dem Missverhältnis von erforderlichen und vorhandenen Qualifikationen zu begegnen und den Arbeits- und Fachkräftemangel zu reduzieren. Dabei nimmt sie insbesondere die Bereiche Familien- und Genderpolitik, Einwanderungs-, Bildungs- und Rentenpolitik international vergleichend in den Blick. (Sprecher: Professor Dr. Peter Haan, FU Berlin)
Aufgrund diverser Krisen in der EU wie der Finanz-, Migrations- und Coronakrise und dem dadurch bewirkten Wandel ist es aus Sicht der Wissenschaft Zeit, die Neuformierung der EU aus einer breiter gefassten Perspektive zu betrachten. Dies ist das Ziel der gemeinsam mit dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Forschungsgruppe „Rekonfiguration Europas. Zwischen Kompetenz und Kontrolle“. Ihre These: Die EU ist hin- und hergerissen zwischen dem Aufbau von Kompetenzen zur Lösung grenzüberschreitender Probleme und der Kontrolle dieser Kompetenzen. Dies führt in ein Dilemma: Unkontrollierte Kompetenzen sind gefährlich, überkontrollierte nutzlos. Der Verbund geht davon aus, dass die Neuformierung der EU wesentlich vom Umgang mit diesem Dilemma bestimmt wird. Er strebt an, die Kompromisse zwischen Kompetenz und Kontrolle sowie deren Entwicklung im Zeitverlauf und zwischen unterschiedlichen Politikfeldern zu verstehen. Zudem möchten die Forscher*innen Entstehung und Entwicklung dieser Kompromisse erklären und schließlich einschätzen, was dies für den Wandel der EU als Ganzes bedeutet. (Sprecher: Professor Dr. Markus Jachtenfuchs, Hertie School Berlin)
Die international zunehmenden Diskussionen über den Umgang mit dem kolonialen Erbe markieren eine neue, reflexive Phase der Globalisierung. So lautet eine Ausgangsthese der rechtswissenschaftlichen Kolleg-Forschungsgruppe „Reflexive Globalisierung und das Recht: Das koloniale Erbe und seine globalen Wirkungen im 21. Jahrhundert“. Sie möchte den rechtswissenschaftlichen Globalisierungsdiskurs ausdrücklich um eine postkoloniale Perspektive erweitern. Ziel des Vorhabens ist es, einen Beitrag zu Debatten über Asymmetrien in globaler Wissensproduktion und wissenschaftlicher Praxis zu leisten. Ferner soll ein besseres Verständnis der Bedeutung, der kontextuellen Zusammenhänge und der Reichweite von Rechtsbegriffen entwickelt werden. Der Verbund möchte zudem mithilfe der Idee der reflexiven Globalisierung ein besseres Verständnis der aktuellen Neujustierung des Süd-Nord-Verhältnisses erlangen. (Sprecher: Professor Dr. Philipp Dann, HU Berlin)
Neben Krankheiten mit eindeutig entzündlichem Charakter wie der Multiplen Sklerose wird auch der Verlauf neurodegenerativer, vaskulärer und traumatischer Hirnerkrankungen stark von der Neuroinflammation, einer chronischen Entzündung des zentralen Nervensystem, beeinflusst. Es fehlt bislang jedoch ein detailliertes Verständnis darüber, wie sich diese chronische Entzündung auf die Funktion und das Überleben von Nervenzellen auswirkt. Die Forschungsgruppe „NeuroFlame – Verteidigung und Untergang von entzündeten Neuronen“ will diese Wissenslücke schließen, indem sie neuronale Verteidigungsstrategien gegenüber Entzündung und die schädigende Wirkung von Entzündungen auf Neuronen erforscht. Damit wollen die Forscher*innen einen Beitrag zur Entwicklung zielgerichteter und die Neuronen schützender Behandlungen leisten. (Sprecher: Professor Dr. Manuel A. Friese, Universität Hamburg)
Lipidtröpfchen sind Zellorganellen, die eine Schlüsselfunktion im Fetthaushalt des Körpers einnehmen. Sie wurden bislang wenig erforscht, weshalb viele Aspekte ihrer Entstehung, Funktion und Heterogenität sowie ihres Abbaus bei der Reaktion auf zelluläre Signale wenig verstanden sind. Daher nimmt die Forschungsgruppe „Strukturelle und funktionelle Heterogenität von lipid droplets“ diese Organellen unter die Lupe und beleuchtet die Bedeutung der Vielfalt von Lipidtröpfchen sowohl bei gesunden als auch erkrankten Personen. Damit tragen die Wissenschaftler*innen zu einem differenzierteren Verständnis der zellulären Homöostase bei Nährstoffschwankungen oder auch bei pathophysiologischen Herausforderungen bei. (Sprecherin: Professorin Dr. Eva Herker, Universität Marburg)
Wenn das Gewebe der Skelettmuskulatur schwindet und die Muskelmasse abnimmt, spricht man von Muskelatrophie. Bei Muskelhypertrophie wird die Muskulatur infolge einer erhöhten Belastung wie körperlicher Arbeit oder Muskeltraining hingegen größer. Die unterschiedlichen Auswirkungen beider Phänomene auf die Stoffwechselgesundheit stehen im Zentrum der Forschungsgruppe „HyperMet: Effekte von Muskelhypertrophie und -atrophie auf die Stoffwechselgesundheit“. Die Relevanz des Themas wird angesichts einer alternden und bewegungsarmen Gesellschaft deutlich: So wurde beobachtet, dasss eine Muskelatrophie überwiegend negative Gesundheitseffekte hat. Im Gegensatz dazu geht eine Muskelhypertrophie mit Fettverlust, einem besser regulierten Zuckerhaushalt, einer höheren Knochenmineraldichte sowie positiven Effekten bei Krebserkrankungen einher. Die Forscher*innen untersuchen deshalb, ob ein abnehmender oder größer werdender Muskel jeweils Metaboliten freisetzt – das sind Substanzen, die als Zwischenstufen oder als Abbauprodukte von Stoffwechselvorgängen entstehen –, die zu einer Störung des Stoffwechsels oder einer verbesserten Stoffwechselgesundheit in anderen Geweben führen. (Sprecher: Professor Dr. Henning Wackerhage, TU München)
In den Umwelt- und Geowissenschaften ist es wegen der Größe und Heterogenität der Daten äußerst anspruchsvoll, Datenanalysen durchzuführen. Die Erfahrung zeigt, dass Datenanalyseworkflows häufig nur für spezifische Szenarien und Anwendungen entworfen und innerhalb einer Arbeitsgruppe oder Organisation genutzt werden. Die Forschungsgruppe „SOS: Serverless-Scientific-Computing und -Engineering für Erdbeobachtungs- und Nachhaltigkeitsforschung“ zielt darauf ab, eine Plattform für die Umwelt- und Geowissenschaften zu entwickeln, mit deren Hilfe diese anspruchsvolle Analysen komplexer Daten miteinander verzahnen und durchführen können, ohne sich dabei um Programmierung oder technische Details wie Ressourcen oder Reproduzierbarkeit kümmern zu müssen. Dies soll der gesamten Community langfristig zu einem zentralen Werkzeug für den Übergang zu Big-Data-Science verhelfen. (Sprecher: Professor Dr.-Ing. Samuel Kounev, Universität Würzburg)
(in alphabetischer Reihenfolge der Hochschulen der Sprecher*innen und mit Verweisen auf die Projektbeschreibungen in der DFG-Internetdatenbank GEPRIS zur laufenden Förderung):
Ausführliche Informationen erteilen auch die Sprecher*innen der Verbünde.
Zu den Forschungsgruppen der DFG:
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Telefon: | +49 228 885-2109 |
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