Pressemitteilung Nr. 35 | 3. Juli 2008

Mehr Frauen für die Wissenschaft - Mehr Exzellenz für die Forschung - Mehr Geld für Spitzenkräfte

Jahrespressekonferenz 2008 der DFG in Berlin

Jahrespressekonferenz 2008 der DFG in Berlin

Frauen sollen in der Wissenschaft in Deutschland künftig eine deutlich größere Rolle spielen und weit bessere Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten haben als bislang. Dies ist das Ziel der "Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards", die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) entwickelt und jetzt auf der Mitgliederversammlung der DFG in Berlin angenommen wurden. Mit ihnen verpflichten sich Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die Gleichstellung von Frauen und Männern in den kommenden Jahren auf allen Feldern voranzutreiben. So soll unter anderem die Frauenförderung als zentrale Aufgabe für Hochschul- und Institutsleitungen festgeschrieben, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Forschung und Wissenschaft verbessert und der Anteil von Frauen an Professuren und anderen wissenschaftlichen Führungspositionen erhöht werden.
"Wir brauchen deutlich mehr Frauen in der Wissenschaft und für die Wissenschaft. Die Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards sind ein Meilenstein auf dem Weg dorthin", sagte DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner am heutigen Donnerstag auf der Jahrespressekonferenz von Deutschlands größter Forschungsförderorganisation, nachdem die Standards am Vortag auf der Mitgliederversammlung der DFG von den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen intensiv diskutiert und am Ende mit deutlicher Mehrheit angenommen worden waren. Sie sollen nun bis zum Jahr 2013 schrittweise umgesetzt werden und auch ein entscheidungsrelevantes Kriterium bei der Bewilligung von Fördergeldern durch die DFG an Hochschulen und Forschungsinstitute sein.
Wie Kleiner auf der Jahrespressekonferenz unterstrich, basieren die Gleichstellungsstandards auf dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung und der Autonomie der Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die DFG wolle ihnen weder eine Quote oder andere Maßnahmen zur Chancengleichheit und Frauenförderung vorschreiben, noch gar selbst zum "Gleichstellungs-TÜV" werden. Stattdessen könne sich jede Einrichtung eigene Ziele setzen. "Entscheidend wird sein, welchen Beitrag die Mitglieder der DFG selbst zur Gleichstellung leisten wollen und können", so der DFG-Präsident.
Die Diskussion und die Verabschiedung der Gleichstellungsstandards standen im Mittelpunkt der Jahresversammlung der DFG in dieser Woche in Berlin, auf der das Präsidium, der Senat, der Hauptausschuss und schließlich am Mittwoch in der Freien Universität Berlin die Mitgliederversammlung der Förderorganisation tagten. Ein weiteres Thema war die Exzellenzinitiative von Bund und Ländern zur Stärkung der Spitzenforschung in Deutschland. Dabei sei in allen Beratungen der einhellige Wunsch der Wissenschaft nach einer Fortsetzung und Weiterentwicklung des Programms deutlich geworden, unterstrich Kleiner. Die bisherigen Erfahrungen der DFG und der insgesamt 85 Einrichtungen der Exzellenzinitiative seien überaus positiv und Ausdruck eines umfassenden Aufbruchs im deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem. Erste Vorschläge, wie die Exzellenzinitiative aus Sicht der Wissenschaft über das Jahr 2011 fortgeführt werden sollte, wollen die DFG und der Wissenschaftsrat am 11. Juli in Berlin präsentieren.
Mit Sorge betrachtet die DFG die anhaltende Abwanderung vorwiegend junger Fach- und Führungskräfte aus Deutschland, die jetzt durch eine Untersuchung des Basler Prognos-Instituts erneut belegt wurde. Von dieser dramatischen Entwicklung sei auch die Wissenschaft betroffen, betonte Kleiner. Um hier gegenzusteuern, will die DFG gemeinsam mit den anderen Wissenschaftsorganisationen ihre Bemühungen um eine international wettbewerbsfähige Bezahlung für hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fortsetzen. Sie soll dazu beitragen, Forscherinnen und Forscher in Deutschland zu halten oder zur Rückkehr aus dem Ausland zu bewegen. Dasselbe Ziel verfolgt die DFG mit der Höherdotierung ihrer begehrten Heisenberg-Professuren und -Stipendien für habilitierte Nachwuchswissenschaftler, die jetzt auf der Jahresversammlung vom Hauptausschuss der Förderorganisation beschlossen wurde.

Auszüge aus dem Statement von DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner auf der Jahrespressekonferenz in Berlin:
Zu den "Forschungsorientierten Gleichstellungsstandards" erklärte Kleiner wörtlich:
"Wir versuchen, mit neuen Ansätzen einem alten Problem zu begegnen und es damit einer dauerhaften Lösung näherzubringen. Karrierewege von Frauen sind ja bekanntermaßen oft nicht nur steiniger als die ihrer männlichen Kollegen, sondern enden auch häufig früher, nicht zuletzt wegen des schwierigen Spagats zwischen Beruf und Familie. Nur 40 Prozent aller Promotionen entfallen auf Frauen. Nach der Promotion geht diese Schere noch weiter auseinander: Der Anteil der Habilitandinnen lag 2006 knapp über 20 Prozent, und nur circa 10 Prozent der Professuren auf der C4- und W3-Ebene sind von Frauen besetzt.

Dieser geringe Frauenanteil bei den Professuren ist beschämend für das deutsche Wissenschaftssystem und zugleich eine Verschwendung intellektueller Ressourcen. Hier muss ein Umdenken stattfinden: Chancengleichheit bedeutet Chancennutzung. Denn die deutsche Wissenschaft leidet unter erheblichem Nachwuchsmangel und muss schon aus diesem Grund Wissenschaftlerinnen mehr als bisher fördern. Die DFG hat deshalb in den vergangenen Monaten Forschungsorientierte Gleichstellungsstandards entwickelt, die von einer eigens eingesetzten Kommission erarbeitet worden sind. Der Kern der Gleichstellungsstandards, die von der Mitgliederversammlung gestern verabschiedet wurden, ist das sogenannte Kaskadenmodell. Dahinter steht folgendes Prinzip: Jede Einrichtung setzt sich eigene Ziele für die Erhöhung des Frauenanteils auf einer bestimmten Qualifikationsstufe. Diese Ziele sollten jeweils höher sein als der Anteil der Frauen auf der direkt darunter liegenden Stufe.

Die Umsetzung der Gleichstellungsstandards folgt dem Prinzip der Freiwilligkeit und der Selbstverpflichtung und setzt damit auf die Autonomie der jeweiligen Forschungseinrichtung. Damit legen die Mitglieder der DFG selbst fest, wie und in welchem Zeitraum sie ihren Anteil an Postdoktorandinnen und Professorinnen fach- und strukturspezifisch erhöhen wollen. Die Gleichstellungsstandards sehen des Weiteren vor, dass die Ressourcen innerhalb der Hochschulen stärker unter Gleichstellungsaspekten verteilt werden. So sollten herausragende Wissenschaftlerinnen bei den Nominierungen für Preise ebenso berücksichtigt werden wie ihre männlichen Kollegen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit! Alle Hochschulen haben die Chance, ihre Personalentwicklung sowie die Angebote für Frauen und Männer mit Kindern weiter zu verbessern. Dafür bieten sich zum Beispiel Maßnahmen wie Wiedereinstiegsstipendien nach Familienpausen an. Nachahmenswerte Beispiele dafür finden sich in einem Instrumentenkasten, der den Mitgliedern Unterstützung bei der Implementierung der Standards bieten soll.

Wie geht es nun weiter? In der Mitgliederversammlung 2009 wird aus dem Kreis der Mitglieder eine Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Aufgabe es ist, die Mitgliedseinrichtungen bei der Umsetzung der Gleichstellungsstandards zu begleiten sowie Empfehlungen auszusprechen. Im Frühjahr des kommenden Jahres erwarten wir die ersten Stellungnahmen der Mitgliedseinrichtungen, im Frühjahr 2011 Zwischenberichte zu Umsetzungen der Standards, die dann der Mitgliederversammlung im Sommer 2011 vorgelegt werden sollen. Im Frühjahr 2013 erfolgen die Abschlussberichte der Mitgliedseinrichtungen über die Umsetzung der Standards. Die DFG evaluiert die Berichte, die auf der Mitgliederversammlung 2013 präsentiert werden. Mitglieder, die ihre Selbstverpflichtungen erfüllt haben, werden entsprechend gewürdigt, zum Beispiel durch eine Präsentation ihrer erfolgreichen Konzepte im Rahmen der Jahresversammlung.

Häufig wird gefragt, welche Relevanz die Erfüllung der Standards zukünftig für die Bewilligung von Anträgen bei der DFG hat. Ein exzellentes Projekt wird nicht daran scheitern, dass Wissenschaftlerinnen nicht beteiligt sind. Aber die Einhaltung der Standards wird eines der entscheidungsrelevanten Kriterien sein, und zwar für die Bewilligung von Forschungsverbünden, bei denen Mitgliedseinrichtungen Antragsteller sind. Und auch das möchte ich deutlich unterstreichen, die DFG möchte weder Quoten einführen, noch sind wir auf dem Weg zu einem Gleichstellungs-TÜV. Entscheidend wird sein, welchen Beitrag die Mitglieder der DFG zur Gleichstellung selbst leisten wollen und können.

Der Zeitpunkt für die Initiative könnte unserer Meinung nach nicht besser sein: Bis 2014 geht mehr als ein Drittel aller Professoren in den Ruhestand, die Universitäten brauchen die bisher ungenutzten intellektuellen Ressourcen also mehr denn je.

Zu den bisherigen Erfahrungen in der Exzellenzinitiative und zur Frage der Fortsetzung und Weiterentwicklung des Programms führte Kleiner aus:

"Die DFG hat im Frühjahr dieses Jahres ein erstes Treffen mit den Sprecherinnen und Sprechern der Einrichtungen sowie mit Rektoren und Präsidenten der Hochschulen durchgeführt. Dabei hat sich gezeigt, dass die Exzellenzinitiative für die Profil- und Strukturbildung der Einrichtungen das ist, was eine frische Brise für den Segler bedeuten kann: Rückenwind. Auch die Länder bemühen sich nicht nur um eine wissenschaftsgerechtere Hochschulgesetzgebung, sondern haben zum Teil auch die Exzellenzinitiative mit zusätzlichen Maßnahmen unterstützt. Das gesamte Wissenschaftssystem in Deutschland ist im Aufbruch, das ist deutlich. Die Forschungseinrichtungen arbeiten verstärkt daran, sich zu vernetzen, den Verwaltungsapparat zu flexibilisieren, internationaler zu arbeiten, und legen stärkeres Gewicht auf Nachwuchsförderung, Gleichstellung und Kooperation. Dies alles sind große Schritte in Richtung einer Modernisierung.

Zusammen mit dem Wissenschaftsrat haben wir ein kurzes Eckpunktepapier erarbeitet, das wir gemeinsam am 11. Juli, ebenfalls hier in Berlin, vorstellen möchten. In diesem Papier wird es um unsere Überlegungen zur Fortführung und Weiterentwicklung der Exzellenzinitiative gehen. Die fünf Förderjahre der ersten Staffel werden ja bereits im Jahr 2011 beendet sein; es gilt, sich rechtzeitig Gedanken um die Fortsetzung zu machen. Das Eckpunktepapier stellt die Sicht der Wissenschaft dar und soll unseren Partnern in der Wissenschaftspolitik hilfreich sein."

Zum Thema Abwanderung und zum "Kampf um die besten Köpfe" betonte der DFG-Präsident:

Die zentralen Begründungen für die Abwanderung sind die unzureichenden Karriereperspektiven und die zu niedrige Besoldung. Die Flexibilisierungsmöglichkeiten durch die Exzellenzinitiative, die stärkere internationale Zusammenarbeit sind wichtige Schritte, um diesen Missständen zu begegnen. Aber wir werden uns weiter darum bemühen, und sind uns hier mit allen Wissenschaftsorganisationen einig, hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angemessen bezahlen zu können. Der Hauptausschuss der DFG hat vorgestern einen Beschluss gefasst, der ebenfalls in diese Richtung geht: Das Heisenberg-Programm der DFG wird modifiziert. Die Bezahlung der Heisenberg-Professur, bislang nach W2 dotiert, kann aufgestockt werden. Um international konkurrenzfähig zu bleiben, soll es in Zukunft möglich sein, herausragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch aus dem Ausland eine W3-Professur anzubieten.