Jahrespressekonferenz in Berlin: Rückblick auf 60 Jahre Selbstverwaltung in der Wissenschaft seit der DFG-Neugründung und Ausblick auf neue Akzentsetzungen im Förderhandeln
Sechzig Jahre nach ihrer Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg versteht sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mehr denn je als die zentrale Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft in Deutschland. „In der DFG sorgen Jahr für Jahr Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Qualität und Vielfalt in der Forschung und ihrer Förderung, als Antragstellerinnen und Antragsteller oder als ehrenamtliche Gutachterinnen und Gutachter, in den vielen Gremien oder in den besonders wichtigen Fachkollegien, dem ‚Parlament der Wissenschaft’, das Ende dieses Jahres neu gewählt wird“, sagte DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner auf der Jahrespressekonferenz der DFG am 7. Juli 2011 in Berlin. Auf ihr berichtete Kleiner über die Jahresversammlung der DFG und über neue Entwicklungen in der Förderorganisation. Deren Arbeit soll künftig trotz der zunehmenden Komplexität von Forschung und Forschungsförderung noch transparenter sein und noch internationaler ausgerichtet werden.
Die Jahresversammlung der DFG vom 4. bis 6. Juli 2011 in Bonn stand unter dem Motto „Gemeinsam für die Forschung“. Die Festveranstaltung – auf der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel eine Ansprache zur Bedeutung von Wissenschaft für Politik und Gesellschaft hielt und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ein Grußwort sprach – blickte unter anderem zurück auf die Neugründung der DFG nach dem Zweiten Weltkrieg im Sommer 1951. „Damals lag ein besonderes Augenmerk auf der wissenschaftlichen Selbstverwaltung, und es galt, dieses Prinzip gegenüber der Politik zu behaupten. Heute ist man hierzulande und auch in der Politik stolz auf diese Selbstverwaltung, die es so wohl nirgendwo anders gibt. Und man schätzt die DFG eben, weil sie unabhängig und zugleich in Hörweite der Politik ist“, hob Kleiner hervor.
Das Prinzip der Selbstverwaltung zeigt sich besonders in dem großen und vielfältigen ehrenamtlichen Engagement von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der DFG. So haben 2010 mehr als 12 000 Gutachterinnen und Gutachter insgesamt über 17 000 Förderanträge nach den Maßstäben wissenschaftlicher Qualität geprüft und ihre Förderempfehlungen abgegeben. In den Gremien, Kommissionen und Ausschüssen der DFG berieten über 900 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über grundlegende wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Fragen und trafen, gemeinsam mit den Zuwendungsgebern aus Bund und Ländern, die Förderentscheidungen.
Geradezu das „Sinnbild der Selbstverwaltung“ (Kleiner) sind die Fachkollegien der DFG. In ihnen wirken Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die alle vier Jahre von den Vertreterinnen und Vertretern ihrer Fächer gewählt werden, an zentraler Stelle an den Begutachtungen und Förderentscheidungen mit. Bei der nun anstehenden Wahl der Fachkollegien vom 7. November bis 5. Dezember 2011 können mehr als 100 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen ihre Stimmen für die mehr als 600 Sitze in 48 Fachkollegien abgeben. Die Wahl erfolgt online und ist eine der weltweit größten Online-Wahlen.
Das Prinzip der Selbstverwaltung und die gesamte Arbeit der DFG sollen künftig noch transparenter werden. Zur Jahresversammlung wurde das seit 2001 laufende Online-Projektinformationssystem GEPRIS überarbeitet und erheblich erweitert. Mit ihm lassen sich ab sofort nicht nur die Titel, die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Standorte DFG-geförderter Projekte recherchieren, sondern neu auch Informationen zu den Forschungsergebnissen. Zum Start sind mehr als 5000 Projekte mit ihren Abschlussberichten unter www.dfg.de/gepris im Internet zugänglich – bei allen neuen Projekten sollen die Abschlussberichte standardmäßig aufgenommen werden. Mit seiner jetzt eingeführten zusätzlichen englischen Nutzerführung macht GEPRIS die Arbeit der DFG für Interessenten in aller Welt noch besser recherchierbar. Ebenfalls neu ist eine Übersichtsstatistik in gedruckter Form, die die wichtigsten Daten und Zahlen zur DFG auf vier Seiten präsentiert.
„Mit diesen und weiteren Informationsangeboten, zu denen auch der neu gestaltete Statistikteil im Jahresbericht und das sehr umfassende Förder-Ranking der DFG gehören, ist für jedermann bis auf die Ebene der einzelnen Projekte sichtbar, was, wer und wie gefördert wird“, unterstrich DFG-Präsident Kleiner auf der Jahrespressekonferenz. Damit komme die DFG dem berechtigen Informationsanspruch der Gesellschaft nach. „Wir begegnen damit aber ebenso Ansichten und auch vereinzelten Anwürfen, die von mangelnder Sachkenntnis oder Vorurteilen geprägt sind und etwa behaupten, die Arbeit der DFG geschehe im Geheimen und ohne Kontrolle.“
Für mehr Transparenz in der Wissenschaft selbst sorgt ein neues Programm, mit dem die DFG seit Mai dieses Jahres 27 Projekten den Aufbau von Informationsinfrastrukturen für Forschungsdaten ermöglicht. „In allen Forschungsgebieten fallen eine Vielzahl zumeist digital vorliegender Daten an. Die Mehrzahl davon wird jedoch weder systematisch archiviert noch für eine Weiternutzung verfügbar gemacht. Unser neues Programm soll dies ändern. Es sichert eine wertvolle Datenbasis und ist darüber hinaus auch ein Schritt zur Qualitätssicherung in der Forschung.“
Zur Transparenz und Qualitätssicherung in Wissenschaft und Forschung gehört für die DFG auch der offene und konsequente Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten. „Trotz der prominenten Plagiatsaffären der vergangenen Monate: Zahlenmäßig gibt es nur einen sehr geringen Anteil an Fehlverhaltens-Fällen, der ganz überwiegende Teil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler handelt redlich. Und wenn es zu Fehlverhalten kommt, dann funktioniert das System der Selbstkontrolle durch die Wissenschaft, das nicht zuletzt durch die DFG etabliert worden ist“, stellte Kleiner dazu fest. Dennoch untergrabe jeder Fall die wissenschaftliche Redlichkeit und das Vertrauen in die Wissenschaft. Die DFG nehme deshalb das Thema Fehlverhalten überaus ernst.
Zur Klärung von Verdachtsmomenten und Fällen von Fehlverhalten in geförderten Arbeiten wurde deshalb die DFG-eigene Verfahrensordnung in einigen technischen Punkten überarbeitet. Nach der Zustimmung des DFG-Hauptausschusses im Rahmen der Jahresversammlung wird auch sie nun im Internet veröffentlicht und so allen Interessierten zugänglich gemacht. Der weiteren Optimierung der Selbstkontrolle durch die Wissenschaft und der Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis soll schließlich eine Tagung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen in Deutschland dienen, die noch in diesem Jahr unter Federführung der DFG stattfindet.
Ein weiteres zentrales Thema auf der Jahresversammlung und Jahrespressekonferenz war die internationale Ausrichtung der DFG-Aktivitäten. Im Hauptausschuss und in der Mitgliederversammlung wurde dazu eine vom Präsidium entwickelte „Internationalisierungs-Strategie“ vorgestellt. Sie definiert als wichtigstes Ziel, bereits bestehende internationale Kooperationen zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Institutionen und Förderorganisationen zu vertiefen sowie neue Kooperationspotenziale systematisch zu ermitteln und zu erschließen. Dazu will die DFG auch die Zusammenarbeit mit anderen international tätigen Wissenschaftsorganisationen wie der Alexander von Humboldt-Stiftung und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst ausbauen. „So wollen wir den Forscherinnen und Forschern in Deutschland Kooperationen mit und zwischen Individuen und Einrichtungen weltweit möglichst unbürokratisch ermöglichen“, sagte der DFG-Präsident. Über die Förderung von Projekten hinaus soll dies auch gemeinsamen Forschungsräumen den Weg bereiten. Kleiner verwies auf den entstehenden europäischen Forschungsraum und betonte: „Gemeinsame Forschungsräume bilden die höchste Integrationsstufe wissenschaftlicher Kooperation und sind daher das Fernziel der Kooperation mit allen Ländern.“
Von großer Bedeutung für die Internationalisierungs-Strategie ist die intensive Förderung von Kooperationen mit wissenschaftlich besonders dynamischen Ländern und Regionen. So sind die Länder der Europäischen Union, insbesondere Österreich und die Schweiz, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande sowie Polen, für die Wissenschaft in Deutschland ebenso von herausragendem Interesse wie die USA und Kanada, Israel und Japan sowie Brasilien, China, Indien und Russland. Dementsprechend unterhält die DFG Verbindungsbüros in Peking, Washington und New York, Moskau, Neu-Delhi, Tokio und São Paulo. Durch einen weltweiten Austausch mit Partnerorganisationen will die DFG zudem gemeinsame Modelle zur Förderung bi- und multilateraler Projekte weiterentwickeln; dies soll zugleich zur Optimierung des DFG-Förderportfolios genutzt werden. Auf all diesen Ebenen müsse mit dem Ausbau der internationalen Kooperationen immer der Ausbau des heimischen Fördersystems einhergehen, unterstrich der DFG-Präsident.
Mit Blick auf wissenschaftspolitische Themen bewertete Kleiner zunächst die „drei großen Pakte“ – die Exzellenzinitiative, den Pakt für Forschung und Innovation sowie den Hochschulpakt – als überaus positiv und wirkungsvoll und dankte dem Bund und den Ländern für diese Rahmenbedingungen, die nicht zuletzt auch im internationalen Vergleich ausgezeichnet seien. „Mit den drei Pakten haben die Wissenschaft in Deutschland und die DFG nun und in den kommenden Jahren jeweils mehr Geld zur Verfügung – und nutzen sie zum Wohle und zum Wohlstand der Gesellschaft“, unterstrich der DFG-Präsident.
Kleiner verband seinen Dank mit dem Appell an Bund und Länder, diese Rahmenbedingungen auch nach der jetzigen Laufzeit der drei Pakte fortzuführen. Die Exzellenzinitiative werde mit den im Herbst beginnenden Begutachtungen der Neu- und Fortsetzungsanträge und den endgültigen Entscheidungen über die Förderungen im Juni 2012 zwar in ihre letzte Phase gehen und auslaufen, so Kleiner. Bezogen auf die beiden von der DFG betreuten Säulen der Exzellenzinitiative fügte er jedoch zu: „Damit die Landkarte der Exzellenz sich dynamisch weiterentwickeln kann, sollten die jetzigen Mittel für Forschungsverbünde und Graduiertenschulen der DFG auch langfristig für derartige Förderformate zur Verfügung stehen.“
Der Pakt für Forschung und Innovation – durch den die DFG-Mittel 2010 letztmalig um drei Prozent und im laufenden Jahr erstmals um fünf Prozent angewachsen sind – solle auch über seine jetzige Fortschreibung bis 2015 hinaus fortgesetzt werden, so Kleiner. Gleiches gelte für den Hochschulpakt, der über die Finanzierung zusätzlicher Studienplätze hinaus für alle DFG-geförderten Projekte eine zusätzliche 20-prozentige Programmpauschale garantiert. „Auch dies ist, wie die drei großen Pakte insgesamt, überaus segensreich für die Wissenschaft in Deutschland“, sagte der DFG-Präsident abschließend.