Reflektion über die Nutzung von New Approach Methods bei der Bewertung von Arbeitsstoffen/ Dynamische Entwicklung europäischer Diskurse mit Relevanz für den Arbeitsschutz
Am 17. März 2022 fand die Plenarsitzung der Ständigen Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) statt. Seit dem Beginn der Pandemie finden alle Sitzungen der Kommission im virtuellen Format statt und auch wenn der persönliche Austausch für den Erhalt von Vertrauen und des Zusammenhalts unverzichtbare Faktoren sind, so hat die Kommission die neuen Möglichkeiten gewinnbringend genutzt. Komplexe Substanzen oder Themen werden inzwischen durchgehend in kleineren Gruppen vordiskutiert. Dies hat insgesamt zu einer Beschleunigung des Diskussionsprozesses geführt und die Überarbeitungszyklen reduziert. Darüber hinaus konnte im virtuellen Format der Austausch mit internationalen Kolleg*innen einfacher realisiert und damit ausgeweitet werden.
Auf diese Weise konnte Professor Dr. Christopher Portier (Universität Maastricht) für einen Austausch über die statistische Interpretation von Umwelt-bezogenen Gesundheitsdaten und deren Anwendung für die Risikoermittlung krebserregender Stoffe gewonnen werden. Mit Dr. Russell Thomas, Direktor des National Centre for Computational Toxicology der US Environmental Protection Agency und Dr. Katie Paul Friedman, einer Toxikologin aus diesem Institut, konnte ein Austausch über die Datenintegration komplexer Hochdurchsatzdaten für die toxikologische Bewertung von Substanzen etabliert werden. Inhaltlich rückten auch die sogenannten new approach methods im letzten Jahr deutlich stärker als bisher in das Blickfeld der Kommission. Mit diesen Ansätzen werden unter anderem Daten-basierte bzw. Simulationsansätze verfolgt, aber auch verstärkt zellbasierte Hochdurchsatz-Testsysteme entwickelt, um dort wo es machbar ist, tierexperimentelle Ansätze zu ersetzen. Die methodische Entwicklung in diesem Bereich ist außerordentlich dynamisch und erfordert eine intensive Befassung mit qualitätssichernden Prozessen und Risiken dieser Ansätze. Es verwundert daher nicht, dass auch der diesjährige Plenarvortrag dieses Thema aufgriff. Professorin Dr. Ellen Fritsche vom Institut für Umweltforschung in Düsseldorf berichtete über den wissenschaftlichen Erkenntnisstand bei der Etablierung von In-vitro-Ansätzen bei neurotoxikologischen Fragestellungen in Bezug auf die fötale Entwicklung und leitete damit eine intensive, lebhafte Diskussion ein.
In den Berichten der Arbeitsgruppen der Kommission wurde deutlich, wie wertvoll die inhaltliche Arbeitsteilung für die umfassende Bewertung der Substanzen ist und wie intensiv die Wechselwirkungen zwischen den Arbeitsgruppen sind. Auch bei krebserzeugenden Metallverbindungen stellt die Kommission gesundheitsbasierte Grenzwerte auf, wenn die Erkenntnisse zum Wirkungsmechanismus dies ermöglichen. Ein gutes Beispiel hierfür stellt Vanadium und dessen anorganische Verbindungen dar. Hier konnte durch die intensive Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen „MAK-Werte und Einstufungen“, „Stäube“, „BAT-Werte“, „Kanzerogenese“, „Epidemiologie und Statistik“, „Neurotoxizität und Sensorik“ und „Entwicklungstoxizität“ eine neue Bewertung vorgenommen werden. Die 2019 etablierten neuen Arbeitsgruppen „Entzündungsparameter“, „Neurotoxizität und Sensorik“ und „Epidemiologie und Statistik“ haben bereits wichtige Beiträge zu konzeptionellen Themen und zur Bewertung einzelner Stoffe geleistet und erste konkrete Beiträge konnten in die MAK- und BAT-Werte-Liste einfließen.
Die Herleitung aller Erkenntnisse der Kommission wurde wie üblich umfassend dokumentiert und für die Wissenschaft und Öffentlichkeit nach Abschluss der Kommentierungsphase auf der mit Unterstützung von ZB MED neu etablierten Plattform offen zugänglich publiziert. Damit diese Plattform nicht nur der Dokumentation, sondern auch der Nachnutzbarkeit und Anschlussfähigkeit der Ergebnisse dient, werden die Publikationen so aufbereitet, dass nutzerorientierte Suchfunktionen greifen können und die Interoperabilität mit anderen relevanten Datenbanken gewährleistet ist.
Mit der Veröffentlichung von insgesamt 133 Publikationen und der Bewertung von 29 Stoffen, der Ableitung von 18 MAK- und BAT-Werten und der Beschreibung von 27 Methoden, wird deutlich, wie viel Engagement die Mitglieder und Gäste der Kommission investieren. Diese Leistungsfähigkeit wäre allerdings ohne die Unterstützung durch das wissenschaftliche Sekretariat der Kommission nicht möglich. Nur auf der Basis der dort mit hoher Kompetenz durchgeführten Recherchen und formulierten Textentwürfe ist diese qualitativ hochwertige Arbeit überhaupt realisierbar. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Empfehlung zur Änderung des MAK-Wertes bei synthetischer amorpher Kieselsäure. Bislang war man davon ausgegangen, dass von amorphen Substanzen in der Regel nur ein vergleichsweise geringes Gefährdungspotential ausgeht. Neue Studien haben nun aber bereits bei niedrigeren Konzentrationen nachteilige Wirkungen gezeigt und zur Anpassung des MAK-Wertes geführt.
Mit der Berufung von Andrea Hartwig, der Vorsitzenden der Kommission, in die Expert Group High Level Roundtable on the Chemicals Strategy for Sustainability der Europäischen Union kann der risikobasierten Chemikalienbewertung und der wissenschaftsbasierten Grenzwertbestimmung mehr Gewicht verliehen werden. Auch in Zusammenarbeit mit der OECD arbeitet die MAK-Kommission intensiv mit europäischen Partnern zusammen, um dazu beizutragen, dass wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn die zentrale Grundlage für regulatorische Ansatzpunkte im Arbeitsschutz bleibt.