(30.10.20) Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert mit dem Forschungsstipendium die Grundsteinlegung für wissenschaftliche Karrieren durch Finanzierung eines eigenen, unabhängigen Forschungsvorhabens im Ausland und seit 2019 auch in Deutschland. Ein großer Teil dieser Stipendien wird in den USA und zu einem kleineren Teil auch in Kanada wahrgenommen, Ausdruck einer vor allem in den Lebenswissenschaften immer noch herrschenden Überzeugung, für die Karriere „in Amerika gewesen“ sein zu müssen.
Anlässlich der Jahrestagungen des German Academic International Network (GAIN) organisiert das DFG Nordamerika-Büro seit einigen Jahren ein Treffen der DFG-Geförderten, um Erfahrungen auszutauschen, untereinander und vor allem auch mit ihrer Förderorganisation. In diesen Gesprächen bekommen wir aktuelle Eindrücke von den Lebens- und Arbeitsbedingungen des deutschen wissenschaftlichen Nachwuchses in Nordamerika, selbst wenn – wie in diesem Jahr aufgrund von Covid-19 die Jahrestagung Ende August virtuell stattgefunden hat. Wir möchten Ihnen in einer Reihe von Interviews aktuelle DFG-Geförderte vorstellen und Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, wer sich zum Beispiel hinter der DFG-Fördernummer GO 3107 verbirgt.
DFG: Liebe Frau Dr. Gottlieb, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch nehmen. In Ihrem Lebenslauf steht: „Abitur am Bertolt-Brecht-Gymnasium Dresden, Note: 1,6.“ Sie sind jedoch nicht Theater- oder Literaturwissenschaftlerin geworden, sondern haben erst einmal Medizin studiert. Was war da die Motivation?
Dr. Aline Gottlieb (AG): Das ist nicht ganz so einfach zu beantworten, jedenfalls war es mir nicht gleich in die Wiege gelegt worden. Ich komme aus einem nichtakademischen Elternhaus und war die zweite in einer fünfköpfigen Familie mit einem Hochschulabschluss. Ich war schon immer ehrgeizig und zielstrebig, hatte jedoch nicht viele Vorbilder, die mich aktiv bestärkten, die Welt zu entdecken und „Großes“ zu wagen. Entsprechend schwächer entwickelt war bis zur gymnasialen Oberstufe mein Selbstvertrauen und der damit verbundene akademische Ehrgeiz. Geändert hat sich dies, so glaube ich, rückblickend sagen zu können, erst mit einem Auslandsaufenthalt. Ich war von 2005 bis 2006 als Stipendiatin des Parlamentarischen Patenschafts-Programms (Congress-Bundestag Youth Exchange) in den USA, in Kansas. Witzigerweise auf einem Flecken Erde, von dem aus angeblich Dorothy ihre Reise zum Wizard of Oz angetreten hatte. Jedenfalls war Kansas auch für mich eine lebensverändernde Erfahrung, nicht vom Land in die Stadt, sondern umgekehrt, aber nicht weniger folgenreich. In der Oberstufe haben sich meine Noten noch einmal deutlich verbessert, so dass ich mir sehr viel hätte aussuchen können und ich hatte auch sehr viel mehr Selbstvertrauen. Als ich in der Abi-Phase die Beschreibung der Studieninhalte für das Fach Medizin las, schrie förmlich alles in mir „ja“ und da wusste ich dann, dass ich Medizin studieren möchte.
DFG: Nun sind Sie ja wieder in einer Stadt gelandet, nämlich in Baltimore, was nicht nur infolge der Fernsehserie „The Wire“ und einer erschreckenden Kriminalitätsstatistik als genaues Gegenteil ländlicher Idylle gilt. Was hat Sie denn dorthin verschlagen?
AG: In der Tat, aus Deutschland kommend, musste ich mich daran gewöhnen, ab und an Schüsse vor unserer Haustür zu hören und das in zehn Fußminuten Entfernung zu einer der besten Universitäten des Landes. Man schaut sich hier schon mal häufiger um als etwa in Essen oder in Dresden, doch wirklich Angst haben muss man auch in Baltimore nicht. Wir sind hier, weil ich an der Johns Hopkins University in der Gruppe von Professor Svetlana Lutsenko das ideale Arbeitsumfeld für mein Forschungsprojekt gefunden habe. Es hätte unter anderen Umständen auch Charleston in South Carolina oder die Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota werden können. So ist es aber Baltimore geworden, was auch seine Reize hat.
DFG: Auf einen der Reize von Baltimore kommen wir später noch zu sprechen. Zunächst einmal zu Ihrem Forschungsprojekt, das in Ihrem Förderantrag mit „Untersuchung des Effektes von Kupferüberladung auf metabolischem Stress im Lebergewebe in vivo und die Bedeutung hiervon auf die Entwicklung von Steatosis“ beschrieben ist. Sie hatten im vergangenen Jahr auf der Jahrestagung des German Academic International Network (GAIN) mit Ihrem Vortrag den Science Slam gewonnen. Kupfer kam in dem Beitrag meines Wissens nicht vor. Was hat es mit Kupfer bezüglich der Leber auf sich und verstehen wir bezüglich nicht-alkoholischer Fettlebererkrankungen (NAFLD) inzwischen mehr?
AG: Es gibt eine Verbindung zwischen Kupferungleichgewicht und Steatose-Entwicklung, also Verfettung der Leber. Jedoch ist nach wie vor sehr unklar, wie beides miteinander zusammenhängt. Wenn ein bestimmter Kupfertransporter (ATP7B) mutiert ist, dann kann Kupfer nicht aus der Leber transportiert werden, lagert sich also vor Ort an, fehlt im Serum und in anderen Organen und Morbus Wilson als Krankheitsbild entsteht. Interessanterweise weisen fast die Hälfte aller Wilson-Patienten auch eine Lebersteatose auf. Und an dieser Stelle knüpft sich nun mein eigentliches Interesse an der nicht-alkoholischen Fettlebererkrankung an: Es wurde herausgefunden, dass Patienten mit NASH (nicht-alkoholischer Steatohepatitis) ebenso einen Kupfermangel im Blut aufweisen, und Kupfer scheint ersten Untersuchungen nach nicht ausgeschieden zu werden. Das wirft also die Frage auf, ob und wenn ja, wofür Kupfer bei einer Verfettung des Körpers benötigt wird? Daher habe ich einen Mausversuch durchgeführt, indem ich ATP7B- knockout Mäuse (Morbus Wilson Modell) mit Wildtyp-Mäusen verglichen habe und beiden entweder hoch-kalorische oder normales Mausfutter zu fressen gegeben habe. Die Ergebnisse sind sehr erstaunlich: Mäuse mit hohem Kupfergehalt in der Leber verfetten weniger und umgekehrt verbessert sich sogar die Morbus Wilson-Erkrankung, wenn die Mäuse mit hochkalorischer Ernährung gefüttert werden. Das haben wir so vorab nicht erwartet und ich befinde mich gerade in der Phase, diese Unterschiede besser beleuchten und verstehen zu wollen.
DFG: Lassen Sie uns über Ihre Karriere sprechen. Sie sind ja bereits ziemlich herumgekommen. Wo soll denn die nächste Reise hingehen, Forschungsgruppenleitung, dann Professur und Direktorin an einem Max-Planck-Institut? Wo sehen Sie sich in 15 Jahren?
AG: Die nächste Reise? Wenn ich nachzähle, komme ich tatsächlich schon auf fast 50 Länder, die ich bereist habe, aber das meinen Sie wahrscheinlich nicht. Mein Mentor in Deutschland, Professor Ali Canbay, ist angesichts meines „Track Records“ davon überzeugt, dass es zu einer Forschungsgruppenleitung reichen würde, doch ich bin mir noch nicht so ganz sicher, ob es wirklich das ist, was ich langfristig tun möchte. Mein Interesse ist vor allem durch die Beziehung zu Patienten motiviert. Mein Interesse an der Aufklärung von Grundlagen hätte daher vermutlich einen stärker translationalen Einschlag, als es einer Gruppenleitung in der Grundlagenforschung oder gar einer Max-Planck-Direktorin gut zu Gesicht stehen würde. Ich bin da derzeit noch unentschieden und möchte erst einmal im kommenden Jahr mein Forschungsstipendium hier zu Ende bringen. Um einen anderen berühmten Deutschen zu zitieren: „Schau‘n mer mal.“
DFG: Sie sind als GAIN-Beirätin und Präsidentin der Johns Hopkins Postdoc Association auch politisch umtriebig.
AG: Wie zu anfangs schon erwähnt, ehrgeizig war ich schon immer und ich hatte auch immer das Bedürfnis, da wo ich mich aufhalte, aktiv mit zu wirken. Schon vor meinem Austauschjahr war ich Schülersprecherin, und als ich von meinem Auslandsjahr zurück war wurde ich wieder als Schülersprecherin gewählt, trotz meiner Abwesenheit von dem Jahr. Ich war selbst etwas erstaunt. Das kann sich dann jedoch rasch von Interessensvertretung hin zu Politik entwickeln. Da hat mir dann aber schnell ein politisches Sommerseminar an der Universität in Princeton bei der Einsicht geholfen, dass Politik nicht das Richtige für mich wäre, Interessensvertretung hingegen schon und sehr gerne.
DFG: Sie haben während Ihrer vier Jahre als Assistenzärztin nebenher Nachwuchs in Gesundheitsfachberufen unterrichtet, haben sich in Ehrenämtern engagiert, haben ein Pflegepraktikum in den USA absolviert, waren zu Famulaturen nicht nur in Essen, sondern auch in Ruanda und Wuhan, und haben publiziert. Wo liegen Ihre Belastungsgrenzen?
AG: Das fragen sich meine Freunde auch immer wieder. Selbst der Schichtdienst einer Assistenzärztin konnte mich nicht gänzlich davon abhalten, nebenbei zu unterrichten und meinen Nebenhobbys zu frönen, aber in der Zeit musste ich es auch zwischendurch mal ruhiger angehen lassen. Derzeit ist es jedoch überraschend entspannt für mich, oder zumindest gut planbar. Ich mache meine Experimente hier an fünf Wochentagen und habe noch keinen Tag eines Wochenendes opfern müssen. Ich komme sogar zum Lesen, ich meine über Fachliteratur hinaus. Da gibt es „The Book Thing of Baltimore“, eine alte Lagerhalle bis unter das Dach vollgestopft mit Bücherspenden, aus denen sich jeder umsonst bedienen kann. Leider ist die Einrichtung Corona-bedingt derzeit geschlossen, doch da versorge ich mich sonst regelmäßig mit Lesestoff und habe auch schon einige deutsche-sprachige(!) und englische Klassiker mit nach Hause genommen.
DFG: Wenn Sie den Forschungsstandort Deutschland in den USA in ein noch besseres Licht stellen wollten, worauf würden Sie neben der von Ihnen sehr verkörperten Effizienz besonders abheben?
AG: Ich glaube, dass vor allem die Work-Life-Balance der 40-Stunden-Woche, die meist freien Wochenenden und die deutlich günstigeren Lebenshaltungskosten einen großen Pull-Faktor darstellen. Die Anzahl der Urlaubstage in Deutschland, sowie das Verständnis dafür, einfach mal zwei Wochen nicht auf Arbeit zu sein, ohne seltsam angeguckt zu werden, fehlen mir hier. Schließlich: Wenn man dazu motiviert ist, kann man theoretisch jedes Wochenende in ein anderes Land jetten oder sich Regionen innerhalb Deutschlands angucken, die nicht fern mit dem Zug oder Auto zu erreichen sind.
DFG: Schildern Sie doch bitte, was den Alltag in einem Labor wie dem von Svetlana Lutsenko für Sie so bereichernd macht.
AG: Das ist hier schon sehr international, an Johns Hopkins allgemein, wo derzeit 75 % der Postdocs aus dem Ausland kommen, und auch in der Gruppe von Svetlana, in der zehn „Internationale“ mit zwei US-Amerikanern zusammenarbeiten. Das ist auf der einen Seite sehr bereichernd. Auf der anderen Seite erfordert es und erzieht zu Toleranz. Im Augenblick ist freilich alles aufgrund von Covid-19 stark gebremst und Geduld wird zur Tugend. Die DFG fängt die Corona-bedingten Sachschäden auf, was nicht überall selbstverständlich ist und wofür ich sehr dankbar bin.
DFG: Vielen Dank für das Lob. Themenwechsel: Es gibt ja mittlerweile zahlreiche Webseiten wie bioRxiv oder medRxiv, wo Ideen vorgestellt und diskutiert werden, ohne vorher die obligatorische Peer-Review durchlaufen zu haben. Verfolgen Sie das?
AG: Ja klar, darum kommen Sie nicht mehr herum, wenn Sie aktuell informiert bleiben wollen. Aber Fachleuten, anders als Laien in der jüngsten Vergangenheit im Zusammenhang mit Covid-19, treibt das natürlich nicht sofort den Puls in die Höhe. Ja, PrePub muss schon sein, jedoch hoffe ich, auch weiterhin produktiv sein zu können, ohne mich auch noch auf sozialen Medien tummeln zu müssen.
DFG: Was wird künftig neben der Wissenschaft für Sie noch wichtig sein?
AG: Sicherlich eine eigene Familie und bei passender Gelegenheit auch Aktivitäten in der Natur und definitiv mehr Reisen, sobald es wieder möglich ist.
DFG: Eine letzte Frage noch, gibt es etwas, auf das Sie derzeit besonders stolz sind und gibt es auf der anderen Seite etwas, das vielleicht nicht so gut, aber dennoch lehrreich war?
AG: Ja, dass ich habe Ärztin werden können und dass ich nicht nur weit herumgekommen bin, sondern dabei auch was habe lernen können. Für mich persönlich lehrreich, jedoch nicht so gut, war das oben bereits erwähnte politische Sommerseminar.
DFG: Herzlichen Dank für das Gespräch und wir wünschen Ihnen, dass es wie geplant klappen wird. Dann aber doch noch mal zurück zu Bert Brecht. Der war ja hinsichtlich von Plänen eher skeptisch, jedenfalls in seiner Ballade von der Unzulänglichkeit, daher wünschen wir Ihnen sicherheitshalber auch, dass Überraschungen entlang Ihres Weges vor allem erfreulich sein werden.