(30.07.21) Der Physiker Tim Kodalle ist mit einem Walter Benjamin-Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) derzeit am Lawrence Berkeley National Laboratory (LBL) in Kalifornien, wo er in der Gruppe von Carolin Sutter-Fella an der Optimierung von Solarzellen arbeitet.
Er sprach mit dem Nordamerika-Büro der DFG unter anderem über sein derzeitiges Forschungsthema, den internationalen Wettbewerb um Strahlzeit an einem Synchrotron, die Tücken von Grenzflächen und einige Unterschiede zwischen einem National Lab in den USA und einer Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert mit dem Forschungsstipendium und seit 2019 mit dem Walter Benjamin-Stipendium die Grundsteinlegung für wissenschaftliche Karrieren durch Finanzierung eines eigenen, unabhängigen Forschungsvorhabens im Ausland und seit 2019 auch in Deutschland. Ein großer Teil dieser Stipendien wird in den USA und zu einem kleineren Teil auch in Kanada wahrgenommen, Ausdruck einer in vielen Disziplinen herrschenden Überzeugung, dass es hilfreich für die Karriere sei, „in Amerika gewesen“ zu sein. In einer Reihe von Gesprächen möchten wir Ihnen einen Eindruck von der Bandbreite der DFG-Geförderten vermitteln. In dieser Ausgabe schauen wir, wer sich hinter der Fördernummer KO 6414 verbirgt.
DFG: Lieber Herr Dr. Kodalle, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit uns nehmen. Sie sind Experimentalphysiker und derzeit am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien. Geht für Sie damit ein Kindheitstraum in Erfüllung bzw. wollten Sie „schon immer“ Experimentalphysiker werden?
Tim Kodalle (TK): Das könnte vom Ergebnis aus betrachtet so gradlinig erscheinen, ist allerdings ein wenig verzweigter und von Zufällen begleitet, wenn nicht gar von ihnen bestimmt. Doch zunächst möchte ich mich einmal ganz herzlich bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Möglichkeit bedanken, hier in Kalifornien an Wegen zur Optimierung von Solarzellen zu forschen. Zu meinem Werdegang: Ich bin unweit der DFG-Geschäftsstelle, auf der anderen Rheinseite, in Troisdorf, zur Welt gekommen, allerding in der Nähe von Bremen aufgewachsen. Dahin hatte es meinen Vater verschlagen, der für einen Hersteller von Türen und Fenster als Außendienstmitarbeiter tätig ist und der einen neuen Bereich zugewiesen bekam. Meine Mutter ist gelernte Büro- und Industriekauffrau und ich habe drei Geschwister, denen als Tischler, Krankenpflegerin und Ingenieur das handwerkliche Geschick unserer Eltern weitervererbt worden zu sein scheint. Ich war schon immer eher mit theoretischen Dingen befasst und habe mich dementsprechend als einziger tiefer in die Forschung begeben.
DFG: Wo wurden denn für Sie die Weichen in Richtung Physik und Forschung gestellt?
TK: Das ist eine Mischung aus den Ihnen sicherlich schon bekannten Stellwerken, also sehr gute Fachlehrer in der Schule, meinen persönlichen Neigungen in der gymnasialen Oberstufe, ein wohl überdurchschnittlich gutes Verständnis von Mathematik und eben den Zufällen oder besser gesagt, den sich eher zufällig ergebenden Chancen, für deren Nutzung die englische Sprache das Wort „Serendipity“ bereithält. Ich habe meinen Zivildienst im Universitätsklinikum Münster im Umfeld der dortigen Nuklearmedizin abgeleistet. Dort gibt es einen hervorragenden Ausbildungsbetrieb für medizinisch-technologische Radiologie-Assistentinnen und –Assistenten und entsprechend auch in der Lehre sehr gutes und motivierendes Personal. Von dort bis zum Fachbereich Physik der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster war es für mich nur ein kleiner Schritt. Während des Bachelor- und des nachfolgenden Master-Studiums habe ich die Arbeit in der universitären Nuklearmedizin fortgesetzt, so dass man in meinem Fall vielleicht sogar von einer dualen Ausbildung sprechen könnte. Entsprechend praktisch entwickelten sich dann auch meine Interessen in der Physik. Nichts gegen die Frage nach dem Warum, aber ich tendiere persönlich eher zur Frage nach dem Wie, vielleicht auch, weil sich da schon Lösungswege abzeichnen, wenn auch welche, die oft nur in frustrierend kleinen Schritten begehbar sind.
DFG: Im weiteren Verlauf Ihrer bisherigen Karriere waren die Schritte aber etwas größer und weniger frustrierend, oder?
TK: Ganz und gar nicht frustrierend, aber ob es bislang wirklich große Schritte waren, wird sich noch zeigen müssen. Nach meiner Bachelor-Arbeit in Münster bin ich dann 2013 zum Master-Studium an die Humboldt-Universität nach Berlin und auch in das Gebiet gewechselt, in dem ich heute noch arbeite. Ging es in meiner Bachelor-Arbeit noch um einen Korrekturmechanismus für Spiegel im European XFEL in Hamburg, also einem Röntgenlaser, handelte meine Master-Arbeit schon von Methoden zur Herstellung sehr dünner Halbleiterschichten für Solarzellen. Für meine Doktorarbeit bin ich dann an das Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie in Berlin (HZB) gegangen, wobei meine Alma Mater die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) wurde. Dort wurde ich bei Roland Scheer und Rutger Schlatmann mit einer Arbeit zur Verwendung von Rubidium in Solarzellen promoviert. Professor Scheer leitet in Halle eine große und sehr erfolgreiche Photovoltaik-Gruppe, Professor Schlatmann ist am HZB und gleichzeitig an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW), wo er einen Lehrstuhl für Umwelttechnik und regenerative Energien innehat. Beide gehören zur weltweiten Avantgarde, wenn es um die Weiterentwicklung von Solarzellen geht und ich schätze mich sehr glücklich, von ihnen entsprechend gefördert worden zu sein. Der Charme der Kombination von MLU und HZB lag für mich insbesondere darin, sowohl grundlagenerforschende Aufklärung der strukturellen und optoelektronischen Effekte von Rubidium in auf Chalkopyrit basierten Solarzellen betreiben zu können als auch den Transfer dieser Erkenntnisse in die Industrie zu begleiten. Da kam dann eventuell doch der familiäre Drang zur Praxisnähe durch.
DFG: Das klingt aber nicht nach einem breit angelegten Karriereplan mit Ziel Professur.
TK: Das sollte man zwar nie ausschließen, doch in akademischen Nachwuchsgruppenleiterprogrammen, wie etwa Emmy Noether, werde ich mich – Stand heute – wohl nicht bewerben. Dazu ist mein Forschungsprofil in der Tat nicht breit genug angelegt und mein Forschungsinteresse zu dicht an der Translation geparkt. Das heißt aber nicht, dass ich keine Ambitionen auf die Leitung einer Forschungsgruppe hätte. Diese müsste sich dann jedoch an einer außeruniversitären Einrichtung oder gar in der Industrie befinden. Mir geht es derzeit vor allem darum, Physik im Hinblick auf technologische Bedarfe zu treiben, die wiederum dabei helfen können, schwerwiegende Probleme unserer Zeit besser in den Griff zu bekommen, etwa Klimawandel und regenerative Energien.
DFG: Wo liegen denn da die Probleme derzeit?
TK: Die Sonne gäbe uns auf der Erde mehr als genug Energie, wären wir nur in der Lage, diese Energie effizienter für unsere Zwecke zu nutzen. Im Bereich von Wasserkraft geht das schon prima: Die Sonne verdunstet Wasser, es regnet, wir sammeln, lassen das Gesammelte den Berg runterfließen, hängen eine Turbine in den Strom und erzeugen damit selbigen. Bei Wind ist es ähnlich, vielleicht ein wenig komplizierter und ich will hier niemanden durch eine grobe Vereinfachung vor den Kopf stoßen. Wenn Sie Sonnenlicht direkt in Strom verwandeln möchten, brauchen Sie ein Material, das die Energie des Sonnenlichts absorbieren und mit maximaler Effizienz in die von uns gewünschte Form, nämlich elektrische Energie, umwandeln kann. Wenn Sie sich heute ein Solarmodul kaufen, dann schafft es vielleicht knapp 20 %. Im Labor kommen wir unter besseren Bedingungen auch noch etwa höher. In Anbetracht der Tatsache, dass das theoretische Maximum, also bestmögliche Wirkungsgrad einer „einfachen“ Solarzelle bei etwa 33,7 % liegt, ist das schon gar nicht so schlecht.
DFG: Woher kommt diese Grenze?
TK: Zur Absorption des Sonnenlichts werden Halbleiter benutzt, deren Absorptionsspektrum entscheidend von ihrer sogenannten Energiebandlücke bestimmt wird. Die Halbleiter, mit denen wir uns beschäftigen, absorbieren höherenergetisches Licht fast vollständig, lassen aber auch einen guten Teil des einfallenden Lichts, das niederenergetischer als diese Bandlücke ist, ungenutzt. Man kann die Bandlücke zwar durch geschickte Materialwahl optimieren, aber eben nur bis zu den oben genannten 33,7 % Effizienz. Das liegt daran, dass sehr kleine Bandlücken zwar zu sehr guter Absorption und damit hohen Strömen führen, aber leider die Spannung der Solarzelle zwangsläufig unter ihnen leidet. Der sich aufdrängende Gedanke ist dann die Kombination von Materialien mit jeweils unterschiedlichen Bandlücken, also die Weiterentwicklung von einfachen Bauteil-Strukturen zu doppellagigen. Mit sogenannten Tandem-Solarzellen kommen Sie schon in den Bereich eines theoretischen Wirkungsgrads von 42 %, also mehr als das Doppelte dessen, was das Solarmodul auf Ihrem Hausdach derzeit hergibt.
DFG: Wow, warum fächert man das Sonnenlicht dann nicht noch weiter auf und lässt es durch mehr als nur zwei Schichten absorbieren?
TK: Das wird auf Laborebene heute schon getan – und auch durchaus erfolgreich. Allerdings liegt der Teufel dabei nicht nur im Detail, sondern vor allem in den Grenzflächen zwischen den einzelnen Schichten. Es gibt dazu ein passendes Zitat des Physikers und Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli: „Das Volumen des Festkörpers wurde von Gott geschaffen, seine Oberfläche aber wurde vom Teufel gemacht“. Eine „einfache“ Solarzelle besteht dabei schon aus mehreren, in meinem Fall fünf, Schichten und den entsprechenden Grenzflächen. In mehrlagigen Solarzellen kommt da einiges zusammen - Sie ahnen gar nicht, welcher Art die Probleme sind, die Sie sich dabei einhandeln. Selbst wenn wir solche Probleme in den Griff bekommen könnten, würde der Zuwachs an theoretisch möglicher Effizienz nicht mehr im selben Bereich liegen wie beim Schritt von einlagigen zu doppellagigen Solarzellen. Und man muss dann natürlich auch die Kosteneffizienz mit in Betracht ziehen. Daher ist meiner Meinung nach der Schritt zu Tandem-Solarzellen der vielversprechendste auf dem Weg zu noch kostengünstigeren, weil in Masse produzierten Solarzellen mit einem Wirkungsgrad von vielleicht 30 %. Das wäre dann schon ein gewaltiger Sprung nach vorne. Zum Vergleich: Die Verbrennungsmotoren unter unseren Kühlerhauben schaffen im Normalbetrieb keine 30 % Effizienz und trotzdem nutzen wir sie seit mehr als 100 Jahren. Für den Sprung auf 30 % Effizienz bei Solarzellen nehmen wir derzeit Anlauf und wir müssen ihn nehmen, um unseren Energiebedarf rasch nachhaltiger decken zu können. Hier möchte ich aber auch noch einmal betonen, dass auch die heute auf dem Markt verfügbaren Solarmodule durchaus schon effizient genug sind, um in vielen Regionen der Welt mindestens genauso günstigen Strom zu erzeugen, wie es fossile Energieträger können. Dennoch könnten wir mit noch höheren Effizienz-Graden dazu beitragen, die Solarenergie noch attraktiver zu machen, um sie Politik und Wirtschaft noch nachdrücklicher „aufzudrängen“.
DFG: Wer sind „wir“, wie viele Menschen arbeiten derzeit an der Optimierung von Solarzellen und wie viele in Ihrem Spezialgebiet?
TK: An Forschung und Entwicklung von Photovoltaik dürften das weltweit mehrere Tausende sein, in meinem speziellen Bereich würde ich von einigen hundert Forschenden ausgehen. Das hängt ein wenig davon ab, wie weit man mein derzeitiges Forschungsthema fasst.
DFG: Sie beschreiben in Ihrem Projektantrag Arbeiten an Perowskiten, deren Kristallwachstum Sie besser verstehen und kontrollieren wollen, um zweischichtigen Solarzellen einen höheren Wirkungsgrad zu verleihen. Wie würden Sie das im Kreise von Nicht-Physikern erläutern?
TK: Ganz genau. Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Photovoltaikwelt sehr intensiv mit einem neuartigen, höchst effizienten Halbleitermaterial – genannt Perowskit. Perowskite haben einzigartige Eigenschaften, unter anderem die Möglichkeit, die oben erwähnte Energiebandlücke durch die Mengenverhältnisse der im Material enthaltenen Elemente einzustellen. Dadurch eignen sie sich hervorragend als zweite Solarzelle in einem Tandem, da man sie optimal auf den jeweiligen Partner (also z.B. eine konventionelle Siliziumsolarzelle) einstellen kann. Das Funktionsprinzip solcher Silizium-Perovskit-Tandems wurde durch Kollegen am HZB auch schon sehr eindrucksvoll bewiesen, diese haben vor Kurzem eine Rekordzelle mit 29 % Effizienz vorgestellt. Allerdings gibt es da natürlich noch viel Potential auf dem Weg zum Tandem-Limit von 42 %. Und um das zu erreichen, müssen wir besser verstehen, wie die Oberfläche der unteren Solarzelle das Kristallwachstum des Perowskits beeinflusst. Und hier kommen die Stärken meiner neuen Gruppe hier in Berkeley zum Tragen. Die Gruppe von Carolin Sutter-Fella beschäftigt sich schon seit längerem mit der Entwicklung von Methoden zur in-situ-Charakterisierung von Materialien, d.h. der Charakterisierung während des Kristallwachstums. Dabei können wir ganz genau die zeitliche Entwicklung z.B. der Absorptionsspektren des Perowskits untersuchen und mit einer Zeitauflösung im Bereich von 0,001 Sekunden sehr genau verstehen.
DFG: Wie sieht so ein Projekt denn im Alltag aus?
TK: Ich bereite die meiste Zeit über im Labor Experimente für die kurzen Momente vor, in denen ich Messzeiten an den Großgeräten bekomme. Da gibt es verschiedene Verfahren zur Herstellung von Metall-Halogenen, Verfahren zur Charakterisierung und Bestimmung von Fehlern und Unreinheiten. Mir steht dabei ein ordentlicher Fuhrpark an kleineren, teils eigens von der Gruppe entwickelten Instrumenten und Geräten zur Verfügung, Kolleginnen und Kollegen mit zum Teil sehr viel Erfahrung im Umgang mit den Geräten und auch der Austausch in der Gruppe und mit meiner Gruppenleiterin. Das scheinbare Chaos in Laboren experimenteller Physik täuscht: Wir gehen da sehr systematisch und geordnet vor, ansonsten bekämen wir ja auch keine Messzeiten an den großen Maschinen.
DFG: Sie waren aber doch in den vergangenen Jahren am HZB mit Schlüssel zum BESSY ausgestattet, der großen Maschine in Berlin, und Sie sind nun am Lawrence Berkeley National Laboratory. Haben Sie da nicht auch gleich den Schlüssel zur Advanced Light Source (ALS) bekommen, der dortigen großen Maschine?
TK: Das wäre vielleicht schön für mich, aber sehr wahrscheinlich nicht gut für die Wissenschaft als Ganzes. Egal, wie nahe Sie räumlich zu einem Synchrotron arbeiten, also in Berlin nahe am BESSY oder jetzt hier in Berkeley direkt am ALS, Sie müssen sich schon um Messzeiten an diesen großen Maschinen bewerben und genießen bei diesen Bewerbungen nur bedingt einen „Heimvorteil“. Das sind sehr teure und entsprechend seltene Einrichtungen, die ja von der Allgemeinheit finanziert wurden. Und da es neben der Solarforschung natürlich noch viele andere, wichtige Themen gibt, werden deren Nutzungszeiten weltweit ausgeschrieben und nach einem geordneten peer-review-Verfahren vergeben. Entsprechend glücklich dürfen Sie sich schätzen, „Strahlzeit“ zu bekommen, also einen Termin an einem der wenigen Messplätze des Synchrotrons. Wenn Sie die Zeit bekommen, heißt es dann „24/7“, sie also rund um die Uhr ausnutzen. Das machen wir dann im Team.
DFG: Wie hoch ist denn die Bewilligungsquote für „Strahlzeit“?
TK: Das hängt wiederum sehr stark von den genauen Anforderungen des Experiments ab – jedes Synchrotron hat viele verschiedene Messstationen für die unterschiedlichsten Anwendungen. Dementsprechend heterogen ist die Nachfrage. In meinem Fall am ALS denke ich, dass die Bewilligungsrate unwesentlich höher als die Erfolgsquote von Fußball-Torhütern in Elfmeter-Schießen ist – aber wohl mit weniger Überraschungen.
DFG: Wenn die Messzeiten so begehrt sind, wie wird dann mit den Messergebnissen umgegangen?
TK: Das ist eine interessante Frage. Zunächst einmal dienen die Messergebnisse als Grundlage für wissenschaftliche Publikationen derjenigen, die gemessen haben. Aber sicherlich ließen sich aus den Daten auch andere Erkenntnisse gewinnen, die nicht im Zentrum des Interesses derjenigen standen, die gerade gemessen haben. Journale wollen darum zunehmend alle Messdaten mit veröffentlicht sehen, einmal der Wiederholbarkeit und Nachvollziehbarkeit wegen, aber vermutlich auch, weil sich möglicherweise noch andere Erkenntnisse ableiten lassen als die gerade publizierten.
DFG: Das ist Sinn und Zweck der Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI), eine im vergangenen Oktober als unabhängiger Verein gegründete Struktur zur noch besseren Nutzung von Forschungsdaten, für den die DFG die Ausschreibungen durchführt.
TK: Na, sehen Sie, da renne ich ja offene Türen ein, wenngleich ich denke, dass eine Forschungsdateninfrastruktur international angelegt sein sollte.
DFG: Das denken wir auch, sind aber eine nationale Forschungsförderorganisation, wenngleich wir, wie zum Beispiel in Ihrem Falle, auch international handeln und fördern bzw. internationale Kollaborationen ermöglichen.
TK: Ja, die Förderung internationaler Kollaboration liegt wahrscheinlich auf der Hand, denn die allermeisten Projekte in meinem Gesichtskreis werden durch internationale Teams durchgeführt, selbst wenn die Teammitglieder national gefördert sind. Meine Kollaborationspartner außerhalb der USA sind in der Schweiz, in Japan und in den Niederlanden. Für meine eigene Förderung während des Walter Benjamin-Stipendiums kann ich zudem eigentlich nicht dankbar genug sein, denn es ermöglicht mir hier in Kalifornien Freiheiten, um die ich gelegentlich auch beneidet werde, vor allem von Kolleginnen und Kollegen, deren Projektförderer die kurze Leine bevorzugen. Ich kenne die kurze Leine durch Arbeit an durch das Wirtschaftsministerium geförderten Projekten. Da stehen die schon mal direkt hinter einem und wollen Ergebnisse sehen, insofern bin ich derzeit in Kalifornien ganz glücklich mit DFG-Mitteln.
DFG: Wieviel trägt denn die kalifornische Landschaft zu Ihrem derzeitigen Glück bei?
TK: Ein gutes Stück, denn die Gegend hier ist eine der wenigen Landschaften in den USA, auf die ich mich mit meiner amerikanischen Verlobten als vorläufigen Lebensmittelpunkt habe einigen können. Darüber hinaus ist es auch objektiv schon sehr reizvoll, innerhalb kaum einer Handvoll von Autostunden zwischen Palmenstrand, Wüste und Hochgebirge hin- und herpendeln und die naturräumliche Schönheit entsprechend nutzen zu können. Das begeistert selbst Experimentalphysiker wie mich.
DFG: Ist Ihre Verlobte auch Experimentalphysikerin?
TK: Nein, sie geht ihrer Neugier in einer künstlerischen, also weniger intersubjektiv als vielmehr ästhetisch darstellbaren Weise nach, ist Tänzerin und Yoga-Lehrerin. Ich habe sie im Herbst 2018 eher zufällig während eines Forschungsaufenthalts an der University of South Florida in Tampa kennengelernt. Ihr gelingt es ebenso gut, meine Neugierden nachzuvollziehen, wie ich ihre nachvollziehen kann. Nach fast drei Jahren Fernbeziehungen wollen wir das aber nun an einem Ort machen.
DFG: Sie sind in Berkeley in der Gruppe von Carolin Sutter-Fella, deren Nachnamenteil vor dem Bindestrich in manchen Gegenden Kaliforniens wegen Johann August Sutter einen besonderen Klang hat.
TK: Na ja, in San Francisco zählt die Sutter Street vielleicht zu den ersten Adressen, in Sacramento gibt es sogar ein Sutter Triangle in bester Lage und auch in der Sutter Street in Berkeley möchte man gerne wohnen, doch schon in Oakland wusste man nicht mehr genau, wie die wohl sehr unglückliche „Gründerfigur“ des modernen Kalifornien buchstabiert wird. Mit Carolin habe ich das Thema bislang nicht besprochen. Diesen Teil ihres Nachnamens hat sie durch ihren Ehemann, einen Schweizer, übernommen, ist aber selbst, anders als Johann August Sutter, weder schweizerische noch mexikanische Staatsbürgerin. Ein verbindendes Element könnte allerdings sein, dass keiner der Zeitgenossen des Johann August Sutter in Kalifornien vor 1850 US-Bürger war, weil ja Kalifornien erst 1850 in die Union aufgenommen wurde. In der Gruppe von Carolin gibt es derzeit interessanterweise auch keinen US-Bürger.
DFG: Noch eine weitere Frage im Bereich Unterschiede und Gemeinsamkeiten: Sie sind in Berlin an einer Einrichtung der Helmholtz-Gemeinschaft, also an der deutschen Entsprechung eines US-amerikanischen National Lab. Sind die Ausstattungen solcher Einrichtungen vergleichbar, wo liegen Unterschiede.
TK: Die Ausstattung ist auf beiden Seiten des Atlantiks hervorragend. Vielleicht neigen die Amerikaner mehr dazu, Fragen so zu stellen, dass Geld eine Antwort ist und mehr Geld eine noch bessere Antwort. Das mag sich in absoluten Budget-Zahlen ausdrücken, ist aber auf der Ebene der eigentlichen Arbeit so nicht zu spüren. Hier fiel mir in den USA vor allem auf, dass die Forschungsarbeit mehrheitlich durch Postdocs – also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit abgeschlossener Promotion – getragen wird, während in Deutschland deutlich mehr Doktoranden und Doktorandinnen im Kollegium zu finden waren. Außerdem ist die Zusammensetzung des Teams in den USA vielleicht noch ein wenig internationaler - mit entsprechendem Reichtum an Erfahrungen, Geschichten und Methoden. Ein weiterer Unterschied, der vor allem meine Experimente betrifft, findet sich in der personellen Ausstattung der Labore. In der Gruppe meines ehemaligen Chefs in Berlin, Christian Kaufmann, können wir auf die Unterstützung durch zwei festangestellte Ingenieure und einen Techniker zurückgreifen. So etwas findet man in den USA, wenn überhaupt, dann nur selten. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch in den USA in den Laboren eine unterstützende personelle Infrastruktur, die allerdings in meinem Fall am LBL vornehmlich aus dem akademischen Sektor rekrutiert wird. Bei uns in Berkeley ist das der Building Manager, der einen PhD in Chemie hat und selbst als Wissenschaftler in den USA, England und Deutschland tätig war. Das hat Vorteile, weil er die Hintergründe meiner Anliegen manchmal noch besser verstehen kann, Nachteile gelegentlich dann, wenn es um die mehr oder weniger professionelle Umsetzung technischer Problemlösungen geht. Da war die Unterstützung meiner technischen Kollegen in Deutschland doch noch etwas „ordentlicher“. Dieser Vergleich ist aber natürlich auf beiden Seiten nur ein kleiner Ausschnitt der akademischen Landschaft.
DFG: Wie sieht Ihre Planung für die nähere Zukunft aus?
TK: Die kommenden 20 Monate werden wir wenigstens hier in Berkeley sein und ich hoffe, genügend Strahlzeit zu bekommen, um mein Forschungsprojekt erfolgreich abschließen und die Ergebnisse gut publizieren zu können. Dann schauen wir mal. Meine künftige Ehefrau hätte gerne sehr viel von demselben Sonnenlicht, zu dessen effizienterer Nutzung ich Solarzellen hin entwickeln möchte. Vielleicht werden wir daher auch länger in Kalifornien bleiben oder zurück nach Florida gehen oder einen anderen Ort mit 3.000 Sonnenstunden im Jahr. Sie bereitet sich aber auch darauf vor, Sonnenstunden 50 % effizienter zu nutzen. Dann kämen wir mit 2.000 Sonnenstunden im Jahr aus und Berlin wäre eine richtig gute Option für uns beide. Wie auch immer, im Augenblick machen wir uns darüber noch keine ernsthaften Gedanken und genießen den Luxus, an so einem schönen Ort sein zu dürfen. Ich persönlich genieße darüber hinaus den Luxus, in so einer gleichermaßen interessanten wie produktiven Gruppe arbeiten zu können.
DFG: Dann wünschen wir Ihnen viel Erfolg bei Ihren Anträgen um Strahlzeit, Ihrem Forschungsprojekt und damit Ihrem Beitrag zu effizienteren Solarzellen und schließlich – im Sinne der deutschen Forschungslandschaft – auch Erfolg bei Ihren Bemühungen, Ihre künftige Frau mit etwas weniger Sonnenlicht als in Kalifornien oder Florida glücklich werden zu lassen.
Webseite des Sutter-Fella-Labs: