(08.11.21) In einem Beitrag der Reihe The Next 75 Years of Science Polic drängen Norman Augustine und Neal Lane1 in den Issues in Science and Technology auf eine signifikante Erhöhung der US-amerikanischen öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E), um die globale technologische (und damit freilich auch ökonomische, militärische und schließlich politische) Führungsrolle der USA vor allem gegenüber China behaupten und Herausforderungen wie den Klimawandel bewältigen zu können. (America on Edge: Settling for Second Place) Mit Blick auf die wachsende Konkurrenz aus China fragen sie rhetorisch: Wollen wir uns mit künftig mit dem zweiten Platz in der Welt zufriedengeben?
Angesichts der Bedrohung durch einen nur noch zweiten Platz gäbe es allerdings die sehr gute Nachricht, dass die USA in der Vergangenheit den jeweiligen Herausforderungen Dank einer Kombination aus Erfindungsgabe und politischer Führung stets gewachsen gewesen seien. Angesichts der akut vierfachen Bedrohung aus China, Klima, Cybersecurity und pandemischen Infektionskrankheiten sei es nun höchste Zeit, sich wieder auf die Mechanismen der Problemlösung zu besinnen.
Während man in China längst die Zentralität von F&E-Investitionen für den Erfolg im Wettstreit um globale Dominanz erkannt habe und sich Staatschef Xi Jinping mit Sätzen wie „Science and technology has become the main battleground of global power rivalry“ zitieren lasse, seien die entsprechenden öffentlichen Investitionen in den USA in den vergangenen Jahrzehnten von 1,5 % des BIP bzw. 12 % des Bundeshaushalts auf 0,7 % des BIP bzw. 3 % des Bundeshaushalts abgesunken. Noch pessimistischer stimmten da nur noch die Zahlen zur Förderung der Grundlagenforschung aus Bundesmitteln, eigentlich eine Domäne Washingtons: „The portion supporting basic research, as defined by the federal government, now constitutes only 0.2% of GDP – an amount roughly equivalent to what the US population spends every year on beer.“
Ein weiterer struktureller Wettbewerbsnachteil gegenüber China läge in der schieren Größe des Reiches der Mitte, das mittlerweile einen zahlungskräftigen, gebildeten und entsprechend handlungsfähigen Mittelstand in einer Größenordnung der gesamten US-Bevölkerung hervorbringe. China bilde inzwischen zweimal so viele Ingenieurinnen und Ingenieure aus wie die USA und 50% mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Tendenz schnell steigend. Derzeit profitierten die USA noch von der internationalen Attraktivität des Studien- und Forschungsstandorts USA und davon, dass mit etwa 83 % die weit überwiegende Mehrheit chinesischer STEM-Promovierender in den USA trotz zunehmender Visumsprobleme nach Abschluss im Lande blieben. Entsprechend bereicherten sie das US Research Enterprise, doch würde dieser Zustand angesichts der Bemühungen der chinesischen Regierung sicherlich nicht von Dauer sein.
Entsprechend müssten die USA jetzt dringend und quantitativ bemerkbar handeln: Über die kommenden fünf Jahre müssten die F&E-Bundesausgaben nachhaltig von derzeit 0,7 % des BIP auf mindestens 1,1 % des BIP erhöht werden. Gleichzeitig müssten die Bundesausgaben für Grundlagenforschung auf dann 0,8 % des BIP verdoppelt werden, eingesetzt vor allem an den Hochschulen und National Labs. Ziel müsse es danach sein, bis Ende des Jahrzehnts die F&E-Bundesausgaben auf ein Niveau zwischen 1,2 % und 1,5 % des BIP zu bekommen mit einer deutlichen Priorisierung von Grundlagenforschung. Selbst die Zahl von 1,5 % des BIP sei realistisch, wie ein Vergleich mit Zeiten des Apollo-Programms zeige. Zudem müsse die öffentliche Hand wieder sehr viel energischer in die Entwicklung der „human ressources“ einer wissensbasierten Erwerbsgesellschaft investieren und dabei die darin noch unterrepräsentierten demografischen und sozialen Schichten „mitnehmen“.
Es müsse entschieden dem wachsenden Eindruck entgegengetreten werden, die USA heiße die internationalen Studierenden und Forschenden aus Asien nicht länger willkommen, die derzeit noch einen erheblichen Anteil an den Forschungserfolgen in den USA hätten. Insgesamt kämen in den USA derzeit 42 % aller Fakultätsmitglieder in den Feldern Science and Engineering (S&E) aus dem Ausland, 38% der US-amerikanischen Nobelpreisträgerinnen und –preisträger in Physik, Chemie und Medizin seien im Ausland geboren und 55 % der US-amerikanischen Start-Ups mit Börsenwerten oberhalb von 1 Mrd. USD seien von Immigrierenden gegründet, die als internationale S&E-Studierende in die USA gekommen seien. Es heißt: „The nation’s entire scientific and technological enterprise would barely function today were it not for immigrants, especially the large number coming from Asia.”
Im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit sehen die Autoren zwei verschiedene Handlungsfelder. Zum einen sollten die USA ihre Allianzen mit anderen hoch entwickelten und freiheitlich-demokratisch verfassten Volkswirtschaften (namentlich Europa, Südkorea und Japan, gemeinsam mit den USA etwa 50 % der weltweiten Wirtschaftsleistung) stärken und das noch erhebliche ökonomische Übergewicht gegenüber dem totalitären Block aus China, Russland, Iran und Nordkorea (derzeit 17 % der weltweiten Wirtschaftsleistung) besser nutzen. Andererseits gäbe es aber mit Klimawandel, Infektionskrankheiten und Cybersecurity auch Themen, die nur global unter Einschluss auch des totalitären Blocks behandelt werden könnten. Wie beide Aspekte in Einklang gebracht werden könnten, sei allerdings eine noch offene Frage.
Keine offene Frage sei allerdings die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs in den USA: Die heutigen Herausforderungen gefährdeten die Wirtschaft, Sicherheit und das Wohlergehen aller Amerikaner. Viele Jahrzehnte hätten die Vereinigten Staaten selbstgefällig die Früchte früherer Investitionen und Bemühungen geerntet – in der selbstverständlichen Annahme, dass das Land auch weiterhin unangefochtener Weltmarktführer in Forschung und Entwicklung und der Anwendung sein werde. Der rapide Aufstieg Chinas habe in aller Deutlichkeit gezeigt, dass diese Annahme falsch sei und „business as usual“ scheitern müsse. Es bleibe nur ein kurzes Zeitfenster, in dem die Politik in den USA die notwendigen Maßnahmen ergreifen könnten, um die beschriebenen Abwärtstrends umzukehren. Sie schließen mit: „For the benefit of all our children and grandchildren and future generations of Americans, we urge our political leaders to respond thoughtfully and energetically – and to sustain that response. America is on the edge, but as history has shown, the country can cope with challenges and emerge even stronger.”
1 Augustin ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Rüstungskonzerns Lockheed Martin, Lane ehemaliger Direktor des Office of Science and Technology Policy (OSTP, 1998 bis 2001). 2014 hatten sie als Vorsitzende eines Komitees der American Academy of Arts and Sciences mit „Restoring the Foundation – The Vital Role of Research in Preserving the American Dream“ einen Bericht vorgelegt, der F&E-Investitionen als die wichtigste Grundlage des amerikanischen Wohlstands herausarbeitete.