(25.01.22) Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert mit einem Forschungsstipendium und seit 2019 mit dem Walter Benjamin-Stipendium die Grundsteinlegung für wissenschaftliche Karrieren durch Finanzierung eines eigenen unabhängigen Forschungsvorhabens im Ausland und seit 2019 auch in Deutschland. Ein großer Teil dieser Stipendien wird in den USA und zu einem kleineren Teil auch in Kanada wahrgenommen, Ausdruck einer in vielen Disziplinen und in besonderem Maße in den Lebenswissenschaften herrschenden Überzeugung, dass es bereichernd für die berufliche Entwicklung sei, in einem Land wie den USA Erfahrungen zu sammeln. In einer Reihe von Gesprächen möchten wir Ihnen einen Eindruck von der Bandbreite der DFG-Geförderten vermitteln. In dieser Ausgabe schauen wir, wer sich hinter der Fördernummer SCHO 1842 verbirgt.
DFG: Liebe Frau Dr. Schölmerich, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch nehmen. Ihr Nachname kommt auf der einen Seite nicht so häufig vor, auf der anderen Seite dürfte er vielen Medizinern in Deutschland geläufig sein. Sind Sie mit dem Rektor der Ruhr-Universität, Axel Schölmerich, oder dem ehemaligen Vizepräsidenten der DFG, Jürgen Schölmerich, verwandt?
Marie Charlotte Schölmerich (MCS): Verwandt nicht, doch Jürgen Schölmerich ist tatsächlich mein Schwiegervater und es ist schön, sich mit ihm über naturwissenschaftliche Themen austauschen zu können. Damit sind aber auch schon die Grenzen der beruflichen Überschneidungen gegeben. Lassen Sie mich aber erst einmal ein großes Dankeschön an die DFG richten, nicht nur für das Stipendium, das mir seit Anfang dieses Jahres hier an der University of California in Berkeley einen Forschungs- aufenthalt als Postdoc ermöglicht, sondern auch für das Interesse an meiner Person und meiner Arbeit.
DFG: Sie führen als Hochschulzugangsberechtigung ein am United World College of South East Asia in Singapur abgelegtes internationales Baccalauréat auf. Für jemanden mit Geburtsort Berlin ist das nicht selbstverständlich. Was hat es damit auf sich, sind Ihre Eltern Diplomaten?
MCS: Nein, keine Diplomaten, aber beide waren Lehrkräfte im deutschen Auslandsschulwesen und haben an der Deutschen Schule Singapur gearbeitet, wo wir als Familie sieben Jahre gelebt haben. Meine Eltern sind danach über Berlin nach New York weitergezogen, während ich mein Studium der Biochemie in Leipzig aufgenommen und später in Frankfurt fortgesetzt habe.
DFG: Kommt Ihr naturwissenschaftliches Interesse von Ihren Eltern?
MCS: Wenn, dann hätten meine Eltern ihre entsprechenden Neigungen gut vor mir versteckt. Sie kommen beide aus der geisteswissenschaftlichen Richtung der Germanistik. Ich hatte schon immer großes Interesse an den Naturwissenschaften – letztendlich habe ich mich für die Biochemie entschieden.
DFG: Sie haben in Leipzig ein wenig umgeschwenkt, von Biochemie auf Mikrobiologie, oder?
MCS: Ich habe die Anfangsphase des Studiums genutzt, um mich zu orientieren und dann meine Leidenschaft in der Mikrobiologie gefunden. Ein Aushang machte mich auf Bachelor-Themen am Umweltforschungszentrum Leipzig aufmerksam und dort bin ich dann in das für mich intellektuell sehr inspirierende und fruchtbare Umfeld der anaeroben Mikrobiologie geraten.
DFG: Wie konnten Sie basierend auf Ihrer Erfahrung in Leipzig Ihre wissenschaftlichen Interessen in Frankfurt fortführen?
MCS: In Frankfurt habe ich in der mikrobiellen Physiologie und besonders in der Stoffwechselphysiologie, deren Regulation und in den genetischen Grundlagen in anaeroben Bakterien meine Passion gefunden.
DFG: Aber nicht die einzige, oder? Sie haben 2017 Ihre Promotion während der Babypause geschrieben, innerhalb eines Jahres und mit einem hervorragenden Ergebnis.
MCS: Ja, in der Tat konnte ich meine Dissertation mit summa cum laude abschließen. Inzwischen ist unser Sohn Johann fünf Jahre alt und wir haben seit vergangenem Jahr auch noch ein Mädchen namens Emma. Mein Mann, Markus Schölmerich, arbeitet ebenfalls als Wissenschaftler und wir sind der DFG ganz besonders dafür dankbar, dass sie die notwendigen Mittel für eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie bereitstellt. Das ist hier in den USA alles andere als selbstverständlich. Es gibt zwar Möglichkeiten der Kinderbetreuung, aber die wären ohne Unterstützung durch die DFG jenseits des Bezahlbaren für eine Familie, deren „Ernährer“ Postdocs sind.
DFG: Sie sind in der Gruppe von Jillian Banfield am Innovative Genomics Institute in Berkeley. Was ist das Besondere an der Gruppe und warum ist sie das ideale Umfeld für Ihre Forschungsarbeiten?
MCS: Im Labor von Jillian Banfield oder „Jill“, wie sie von allen genannt wird, wurde 2004 erstmalig gezeigt, dass es möglich ist, mehrere Genome verschiedener Organismen in einer komplexen mikrobiellen Gemeinschaft zu entschlüsseln
(https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/14961025 ). Sie ist somit Pionierin der „Genome-resolved Metagenomics“, eine Methode, die nun in zahlreichen Laboren weltweit eingesetzt wird. Diese Methode nutze ich, um zunächst CPR-Genome aus eigens gesammelten Umweltproben zu rekonstruieren und dann CPR-spezifische Oberflächenproteine zu identifizieren, anhand derer ich diese Bakterien aus der komplexen Gemeinschaft „herausfische“. Es ist uns also möglich, völlig neue Organismen zu entdecken, die bisher nicht in Laboren kultiviert werden konnten, und auch deren Stoffwechselfunktionen vorherzusagen. Dies führte kürzlich auch zu einer äußerst interessanten Entdeckung: riesige DNA-Elemente, die in Verbindung mit Methan-fressenden Archaeen vorkommen. Diese Elemente wurden „Borgs“ genannt, da sie offenbar DNA dieser Archaeen und anderer Organismen aufnehmen und verändern können. Wir vermuten, dass sie eine Rolle im Methanzyklus spielen, und haben Hinweise, dass sie bisher unbeschriebene Proteine und Mechanismen beherbergen, die möglicherweise Genom-Editing-Tools wie CRISPR hervorbringen könnten. Ich hatte das große Glück, seit Beginn meines Postdocs an dem Projekt mitarbeiten zu dürfen und leite nun die weitere Erforschung dieser sehr faszinierenden Borgs. Durch mehrere von mir bereits geleiteten Expeditionen in Kalifornien und weiteren, auch auf der anderen Erdhälfte geplanten möchten wir das Vorkommen und Potential der Borgs nun noch weiter erforschen.
DFG: Auf BioRxiv, dem Preprint-Server in Ihrem Gebiet, findet sich ein Paper, das in wenigstens zweierlei Hinsicht bemerkenswert ist. Zum einen handelt es von Borgs, die bislang als ein aus dem Delta-Quadranten stammendes kollektives Bewusstsein der Serie „Star Trek“ bekannt waren, zum anderen führt die Liste der Autorinnen und Autoren Jennifer Doudna auf, die ja vor allem für die Entwicklung der Genschere CRISPR/Cas berühmt ist. Wie passt das zusammen?
MCS: Genau, der Name Borgs ist darauf zurückzuführen, dass „unsere“ Borgs, ähnlich wie die Star Trek Borgs, Eigenschaften assimilieren können (in unserem Fall DNA). Dass einige Borgs CRISPR-Cas beherbergen, ist ein Grund, warum wir eng mit Jennifer Doudna zusammenarbeiten. Der andere Grund ist, dass wir gemeinsam nach neuen Genom-Editing-Tools suchen. Dabei ist es uns wichtig, unsere bioinformatisch vorhergesagten Proteinfunktionen durch biochemische Experimente zu validieren. Letzteres wird in Doudnas Labor durchgeführt. Wir arbeiten darüber hinaus aber auch mit anderen Gruppen, da wir durch interdisziplinäre Zusammenarbeit neue experimentelle Möglichkeiten, Perspektiven und somit Fortschritte gewinnen.
DFG: Das Innovative Genomics Institute spielt derzeit für Ihre Arbeit eine große Rolle?
MCS: Ja, da war ich soeben, bevor ich mich für dieses Gespräch wieder zurück in mein Homeoffice begeben habe. Das Zuhause liegt direkt auf dem erweiterten Campus von Berkeley im University Village, wo wir uns dank der Subventionen durch die Universität eine kleine Wohnung leisten können. Ein Teil meiner Arbeit spielt sich derzeit am Institut ab, weil wir dort in selbst gesammelten oder bereits bestehenden Boden- und Wasserproben auf Ebene von DNA und RNA sehr viele Entdeckungen machen können und dies in sehr kurzer Zeit. Da zahlt sich die von Jennifer mitentwickelte Technik aus und sie befeuert hier in Berkeley insgesamt die lebenswissenschaftliche Forschung in erheblichem Umfang. Was hinzukommt, sind die fast ausnahmslos fächerübergreifenden Kompetenzen und Interessen vieler hier arbeitender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jill ist zum Beispiel ihrer Herkunft nach Geowissenschaftlerin und sie arbeitet bei geochemischen Fragestellungen auch gerne mit dem Lawrence Berkeley National Laboratory und Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) zusammen. Am LLNL verbringt derzeit auch mein Mann Markus einen Forschungsaufenthalt als Postdoc an der dortigen National Ignition Facility. Dort lässt sich vieles von dem, was wir als Erbinformationen bestimmen, in seinen physikalischen Aspekten charakterisieren.
DFG: Erzählen Sie bitte noch ein wenig über die Gruppe von Jill Banfield.
MCS: Gerne! Sie ist, wie gesagt, von Hause aus Geowissenschaftlerin und hat einen Teil ihrer bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn in Japan verbracht. Als Geowissenschaftlerin liebt sie zudem das Land so sehr, dass sie ein großes Grundstück nördlich von Berkeley besitzt, wo wir auch schon Bodenproben entnommen haben und wo wir uns einmal im Jahr zu einem Retreat treffen. Wir schlagen dann im wahrsten Sinne des Wortes unsere Zelte bei Jill auf und lassen uns – ebenfalls im wahrsten Sinne des Wortes – erden. Wissenschaftlich ist sie eine der Protagonistinnen der sog. „Metagenomik“, also der gemeinsamen Betrachtung genetischer Informationen von Mikroorganismen bestimmter Biotope. Dieser Ansatz hat dann zu einem der jüngsten Heureka-Momente geführt, nämlich unsere Entdeckung Methan-fressender Bakterien in Bodenproben von Jills Grundstück. Wenn man bedenkt, dass vielleicht nur 1 % bis 5 % des Lebens im mikrobiologischen Bereich schon bekannt ist, könnte man schon von einer Goldgräberstimmung sprechen. Ich war zwar nicht zugegen, als 1848 am Sägewerk von Herrn Sutter das erste kalifornische Gold gefunden wurde, aber die müssen sich ähnlich gefreut haben wie wir.
DFG: Sutter ist ja leider daran wirtschaftlich zugrunde gegangen und wir hoffen nicht, dass die Farm von Jill Banfield nun verödet.
MCS: Nein, das würde Jill nicht zulassen. Was sie allerdings zulässt und nach Kräften befördert sind das Entwickeln und das Verfolgen von Ideen, ganz gleich wie „blue sky“ sie sein mögen. Es ist im Vergleich zu Deutschland und vielleicht auch zur Ostküste der USA schon bemerkenswert, mit welcher Offenheit, welch flachen Hierarchien und mit welchem „can do spirit“ hier Ideen diskutiert werden.
DFG: Was macht Ihnen an Ihrer derzeitigen Arbeit besonders viel Spaß?
MCS: Eigentlich macht mir alles Spaß. Wir entnehmen Bodenproben und analysieren die Proben im Labor. Gegenwärtig sind wir da auf einem regelrechten „Entdeckungs-Trip“, und schließlich analysiere ich Daten am Computer, feile an Konzepten und denke mir Experimente aus. Wir sind alle in der Gruppe mit einem MacBook mit hoher Rechenleistung ausgestattet, die sich hervorragend zum Programmieren eignen.
DFG: Was sind Ihre Pläne für die kommenden fünf Jahre?
MCS: Ich möchte auf jeden Fall im akademischen Bereich der Forschung bleiben. Mein Stipendium wird im Sommer 2023 zu Ende gehen und danach werde ich mich aller Voraussicht nach um eine Stelle als Nachwuchsgruppenleiterin bewerben, wahrscheinlich im Emmy Noether-Programm der DFG. Durch ein Stipendium der Claussen-Simon-Stiftung habe ich 2018/19 im Umfeld von Professor Wolfgang Streit an der Universität Hamburg bereits Erfahrungen mit einer kleinen Junior-Gruppe sammeln können, die mit zwei Publikationen auch entsprechend ertragreich gewesen ist. Ich denke, mit diesem Hintergrund, den neuen Techniken und Ansätzen während meiner Postdoc-Phase hier in Berkeley und den für 2023 zu erwartenden Publikationen werde ich sehr gut für eine Gruppenleitung aufgestellt sein.
DFG: Was würden Sie im Herbst 2023 dann an Kalifornien vermissen, was eher nicht?
MCS: Vor allen Dingen werde ich das fast immer schöne Wetter und die Wärme vermissen. Vermutlich haben die sieben Jahre Singapur tiefere Spuren bei mir hinterlassen als die vorigen zehn Jahre Berlin. Die wirklich sehr netten Leute und die Internationalität hier in Berkeley werde ich wohl auch vermissen. Nicht vermissen werde ich dagegen die Waldbrandsaison, wenngleich wir in diesem Jahr im Vergleich zu 2020 ja noch glimpflich davongekommen sind, aber trotzdem sicherheitshalber schon mal Luftreiniger angeschafft haben. Ganz sicherlich nicht vermissen werde ich die tiefen sozialen Gräben in den USA und das damit einhergehende Fehlen von Fairness. Da ist auch Berkeley keine Ausnahme und Sie sehen gleich außerhalb des Campus, der Insel der Seligen, wenn Sie so wollen, Obdachlosigkeit und Menschen, die nicht einfach nur spaßeshalber in Zelten wohnen. Auch ist die Ausstattung des öffentlichen Raumes für den deutschen und vermutlich auch europäischen Geschmack nur unzureichend finanziert. Sie bekommen zum Beispiel keine für Akademiker bezahlbare Kleinkindbetreuung organisiert, was viele Akademiker in die Industrie treibt.
DFG: Finden Sie außerhalb von Beruf und Familie dann noch Zeit für andere Dinge wie Kunst oder Musik?
MCS: Ja, es ist mir und meinem Mann natürlich wichtig, genügend Zeit für unsere Kinder zu haben. Wir waren mit ihnen kürzlich in einer Ausstellung zu Vincent van Gogh im Mission District in San Francisco. Da hingen nicht nur Bilder an der Wand, sondern man hatte eine Erlebniswelt aufgebaut, in die die Kinder eintauchen konnten. Ich selber habe als Kind Klarinette gespielt und unser Sohn bekommt bald Klavierunterricht, obwohl er nicht mit zweitem Vornamen Sebastian heißt.
DFG: Dann drücken wir die Daumen, dass er dennoch Freude an Bach finden wird. Wenn Sie zum Abschluss unseren mit Kalifornien weniger vertrauten Leserinnen und Lesern noch einen Tipp für einen Besuch an der Westküste geben wollten, wie würde der lauten?
MCS: In konzentrischen Kreisen von Berkeley aus gedacht wäre das erst einmal der wirklich sehenswerte Campus der Hochschule, östlich dann der Tilden Regional Park und weiter östlich der Mount Diabolo im Contra Costa County. Nach Westen liegt die Bay, auf der anderen Seite der Bay der sehr schöne Ort Sausalito und dann am Ozean würde ich Stinson Beach empfehlen und, wenn Sie sich für maritimes Leben interessieren, das Aquarium in Monterey.
DFG: Schließlich: Wo fühlen Sie sich zu Hause, eher in Asien oder in Deutschland oder den USA?
MCS: In erster Linie fühle ich mich natürlich dort beheimatet, wo meine Kernfamilie ist.
DFG: Dann wünschen wir Ihnen, dass Sie mit ihrer Familie ein schönes Weihnachtsfest verbringen können. Für Ihre berufliche und natürlich auch private Zukunft wünschen wir Ihnen alles Gute und bedanken uns für dieses interessante und unterhaltsame Gespräch.