(13.05.22) Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert mit dem Forschungsstipendium und seit 2019 mit dem Walter Benjamin-Stipendium die Grundsteinlegung für wissenschaftliche Karrieren durch Finanzierung eines eigenen, unabhängigen Forschungsvorhabens im Ausland und seit 2019 auch in Deutschland. Ein großer Teil dieser Stipendien wird in den USA und zu einem kleineren Teil auch in Kanada wahrgenommen, Ausdruck einer in vielen Disziplinen und in besonderem Maße in den Lebenswissenschaften herrschenden Überzeugung, dass es hilfreich für die Karriere sei, „in Amerika gewesen“ zu sein. In einer Reihe von Gesprächen möchten wir Ihnen einen Eindruck von der Bandbreite der DFG-Geförderten vermitteln. In dieser Ausgabe schauen wir, wer sich hinter der Fördernummer FO 1347 verbirgt.
DFG: Liebe Frau Fooken, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit dem Nordamerika-Büro der DFG nehmen. Sie sind uns per Video aus Kingston in Ontario zugeschaltet und es ist 10:30 Uhr am Morgen. Wie haben Sie Ihren Tag begonnen und wie sieht ein typischer Tag in Ihrem derzeitigen Leben aus?
Jolande Fooken (JF): Den Dank würde ich sehr gerne und ebenso herzlich direkt wieder zurückgeben, denn ohne ein DFG-Stipendium wäre ein Forschungsaufenthalt in Kanada für mich und meine Familie so nicht denkbar, womit ich gleich bei der Antwort auf Ihre Frage wäre. Mein Mann und ich haben zwei Kinder im Alter von fünf und zweieinhalb Jahren und wir ziehen morgens immer Hölzchen, wer den Kindern die Nachricht vom Ende der Nachtruhe überbringen muss. Heute hatte ich mal den Kürzeren gezogen und kurz vor acht Uhr das morgendliche Aufstehen, Frühstücken, Fertigmachen eingeleitet. Nach dieser Stunde von normalem, familiären Chaos wissen wir die Kinder dann bis 17 Uhr in der Kita bzw. Vorschule in sehr guten Händen und können uns um unsere Arbeiten kümmern. Mein Mann ist Geologe und Informatiker und kann im Wesentlichen von zu Hause aus arbeiten. Bei mir hat sich die Pandemie auch insofern ausgewirkt, als der Alltag im Labor für längere Zeit unmöglich war und ich auch sehr viel von zu Hause aus gearbeitet habe. Das normalisiert sich derzeit allerdings in raschen Schritten und ich verbringe daher meinen beruflichen Alltag wieder zunehmend im Labor.
DFG: Bevor wir mit Ihnen ins Labor gehen, schildern Sie uns doch bitte entlang Ihrer Biografie die Schritte, die Sie von einem Physik-Studium an der RWTH Aachen nun zur Untersuchung von Auge-Hand-Koordination beim Menschen geführt hat.
JF: Das wäre aber eine etwas längere Geschichte.
DFG: Wir haben Zeit.
JF: Die Zeit in der Oberstufe verbrachte ich an einem altsprachlichen Gymnasium, was damals nicht die allerbeste Passung war, denn ich war eher mathematisch-naturwissenschaftlich interessiert und entsprechend begabt. Ich bin dann in der 11. Klasse zu einem Austauschjahr im kanadischen Nova Scotia gewesen, was vermutlich auch meine Abenteuer- und Reiselust entfacht hat. Entsprechend hat sich nach der Rückkehr neben Mathematik noch Englisch als Leistungsfach gesellt. Das wurde auch an einem altsprachlichen Gymnasium toleriert, wahrscheinlich gerade so.
Nach dem Abitur habe ich dann ein halbes Jahr für den Malaysischen Feldhockey-Bund in Kuala Lumpur gearbeitet. Ich war lange Zeit eine engagierte Amateurin im Feldhockey, bin aber seit Pandemiebeginn nicht mehr aktiv. Jetzt schwinge ich nur noch meinen Eishockeyschläger, wenn ich meinen Mann oder meine Kinder auf Schlittschuhen übers Eis jage.
Als ich jedenfalls aus Kuala Lumpur wieder zurück nach Deutschland kam, stand gerade der Beginn des Sommersemesters an und in nur wenigen Fächern konnte man sich seinerzeit zum Sommersemester einschreiben. Durch die nur knapp zwei Wochen Zeit nach Malaysia wurde es eine Einschreibung in Physik an der RWTH Aachen. In der Rückschau hätte ich mir ein organisiertes Gap Year gewünscht, organisiert im Sinne eines Zivil- oder sonst wie sozialen Dienstes, so dass es hinterher nicht als Loch im CV auffällt und die Eltern beruhigt, dass man auf eigenen Füßen steht.
DFG: Was sind denn Ihre Eltern von Beruf?
JF: Mein Vater ist Psychoanalytiker und meine Mutter Psychologin.
DFG: Dann war doch Physik auch aus anderen Gründen gerade die richtige Wahl, oder?
JF: Sind Sie auch Analytiker? Sie mögen Recht haben, und Kinder suchen sich von den Eltern möglichst unabhängige Interessensfelder. Das würde auf Physik wohl zutreffen und auf die berufliche Ausrichtung meines Bruders, der seinen PhD in Australien und im Bereich der Volkswirtschaftslehre gemacht hat. Auf der anderen Seite ist er aber mittlerweile im Bereich der Wirtschaftspsychologie tätig und ich bin eben keine Physikerin geworden.
DFG: Warum nicht?
JF: Zu Beginn des Studiums habe ich Physik wirklich genossen, doch sobald es in Richtung Spezialisierung ging war ich mir meiner Leidenschaft in der fachlichen Ausrichtung deutlich weniger sicher, als es die Mehrzahl meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen war. Für den Bachelor bin ich daher in die Medizintechnik gegangen und habe mit einer Arbeit abgeschlossen, die sich zwar mit physikalischen – in meinem Fall magnetischen – Vorgängen beschäftigte, bei der es aber um eine konkrete medizinische Anwendung ging, nämlich die Anreicherung von Wirkstoffen im Körper an genau den Stellen, wo man sie wirklich haben möchte und wo sie mehr nützen, als giftig zu sein. So etwas funktioniert zum Beispiel mit Nano-Partikeln und magnetischer Manipulation und dazu habe ich meine Bachelor-Arbeit geschrieben.
DFG: Beim Bachelor ist es dann aber nicht geblieben.
JF: Nein, ich hatte Feuer gefangen und mich gleich an der RWTH für die Zulassung zu einem Master in Biomedical Engineering beworben, ein sehr gutes, internationales Programm, vollständig in englischer Sprache und – wie ich feststellen musste – sehr kompetitiv, ich kam nämlich erst einmal nur auf die Warteliste.
DFG: Lange haben Sie aber nicht warten müssen, oder?
JF: Nein, es ging dann doch ohne Lücke an der RWTH weiter, ebenfalls im Bereich der Nutzung magnetischer Effekte bei der Steuerung pharmazeutischer Wirkstoffe im menschlichen Körper.
DFG: Von dort geht es doch nicht auf geradem Weg in die Neurowissenschaften. Wo waren da die Weichenstellungen?
JF: Ich hatte ein Urlaubssemester für einen Aufenthalt bei meinem Bruder in Australien genutzt, als mich meine Mutter auf das Thema Augenbewegung brachte, das sie aus psychologischer Perspektive interessiert, die Augen und deren Bewegung gewissermaßen als Schaufenster der Psyche. Ich fand Interesse an diesem Thema dann aber aus neurowissenschaftlicher Perspektive und habe Miriam Spering an der University of British Columbia mit einer Bewerbung um eine Doktorandenstelle angeschrieben. Sie ist sowohl Psychologin als auch Neurowissenschaftlerin und war für mich die beste Adresse für meine Promotion zur Frage, wie sich die Augenbewegungen beim Menschen als Indikatoren für mentale und kognitive Prozesse deuten lassen. Das ist das grob gesprochen das Thema, das mich seither beschäftigt.
DFG: Sie wollen in Ihrem derzeitigen Forschungsprojekt die Koppelung Augen- und Handbewegungen bei der Manipulation von Gegenständen untersuchen. Ist das nicht schon erschöpfend untersucht?
JF: Ja und nein. Ja, es gibt bereits viele Studien zur Koppelung von Augen- und Handbewegungen und nein, sie reichen bislang noch nicht über vereinfachte Situationen hinaus. Ich schaue mir das Ganze unter Bedingungen an, bei denen gleichzeitig mehrere Aufgaben oder Handlungen ausgeführt werden müssen. Da wird es nämlich spannend, weil die dabei laufend anfallenden Priorisierungen die Komplexität des Ganzen erheblich steigern.
DFG: Das hört sich für Laien an wie die Frage nach der Fähigkeit zum Multitasking, von der es heißt, sie sei manchen Menschen gegeben und anderen nicht.
JF: Ja genau, es geht darum, das Multitasking besser zu verstehen, besonders in Situationen, in denen wir eine motorische und mentale Leistung gleichzeitig vollbringen. Also wenn wir zum Beispiel essen und gleichzeitig einer anderen Person zuhören. Da ist es vielleicht manchmal ganz praktisch zu sagen, dass man nicht so gut ist im Multitasking und deshalb nicht mitbekommen hat, dass man später den Abwasch machen soll, aber im Prinzip können wir alle solche Situationen, in denen um unsere Aufmerksamkeit konkurriert wird, sehr gut meistern. Denken Sie zum Beispiel mal an all die Fußgänger, die es mehr oder weniger erfolgreich schaffen am Straßenverkehr teilzunehmen, während sie an ihrem Handy daddeln.
DFG: Sie erzeugen entsprechende Daten im Labor. Wie dürfen wir uns das vorstellen?
JF: Für jedes Experiment testen wir die Augen- und Handbewegungen von ca. 10 bis 20 Probanden, die zum Beispiel versuchen eine Murmel in eine Röhre zu stecken. Gleichzeitig zeigen wir ihnen auf einem Computerbildschirm eine Abfolge von Buchstaben und unsere Probanden müssen bemerken, wenn sich ein Buchstabe verändert, also ein m zu einem w wird. Die Schwierigkeit besteht also darin, den Blick gleichzeitig auf die motorische und visuelle Aufgabe zu richten. Das geht nämlich nicht, wir können immer nur an einen Ort zu einem Zeitpunkt gucken, weshalb es dann interessant ist, sich die Koordinationsmuster von Auge und Handbewegungen anzuschauen. Wir machen dann unsere Messungen, feilen an unseren Hypothesen, entwickeln neue Hypothesen und so weiter.
DFG: Wo rekrutieren Sie Ihre Probanden und haben Sie auch schon mal Kinder getestet, etwa Ihr eigenes?
JF: In den allermeisten Fällen auf dem Campus der Hochschule, weshalb wir in unseren Daten einen Bias zu eher jungen Menschen haben. Aber wenn man den Bias kennt, dann ist dies kein methodisches Problem. Kinder habe ich noch nicht untersucht. Das wäre möglicherweise reizvoll, vor allem, weil die Augen-Hand-Koordination erst ab einem bestimmten Alter so zuverlässig funktioniert, dass Kinder einen Gegenstand fangen können. Mit Gegenständen (wie z.B. Nahrungsmitteln) herumwerfen können Kinder fast schon unmittelbar nach der Geburt, doch Fangen erfordert die Fokussierung auf einen sich bewegenden Gegenstand und eine entsprechende Koordination der Handbewegung. Unsere Tochter ist jetzt fünf Jahre alt, da beginnt das gerade, aber vielleicht wäre es ja spannend, nach Kindern Ausschau zu halten, die schon im Alter von drei Jahren einen Ball fangen können, also künftige Handballweltmeister.
DFG: Sind Ihre Untersuchungen für den Profi-Sport nicht höchst spannend?
JF: Ja, vor allem, wenn wir uns Bedingungen anschauen, bei denen der Proband mit einem sich bewegenden Objekt interagieren muss. Hier kann es von Vorteil sein, die Bewegung des Objektes zu antizipieren, also sein Auge vor den Reiz zu klemmen. Das ist bei vielen Ballsportarten und auch Kontaktsportarten sehr wichtig. Entsprechend groß ist das Interesse des Leistungssports an den Forschungsergebnissen, vor allem beim Baseball, das wissenschaftlich schon sehr weit durchdrungen ist. Auf der anderen Seite besteht aber immer noch eine erhebliche zeitliche Lücke zwischen Grundlagenforschung mit seinen zeitraubenden Evaluierungs- und Publikationsmechanismen und einer möglichen Anwendung im Sport. Wir verstehen allerdings noch nicht genug, um da schneller sein zu können. Und auch außerhalb des Sports gibt es sehr viele interessante Anwendungen unserer Forschung. Ein großes Anwendungsgebiet ist zum Beispiel die klinische Forschung. Bei vielen neurologischen Störungen kommt es zu Veränderungen der Augenbewegungen und auch der Auge-Hand-Koordination. Besonders bei motorischen Krankheiten wie zum Beispiel Parkinson geht die Fähigkeiten zu motorischem Multitasking verloren.
DFG: Können Sie durch die an den Augen gewonnenen Messergebnisse feststellen, ob Ihr Proband jung ist oder alt, männlich oder weiblich, geschickt oder mit zwei linken Händen ausgestattet?
JF: In gewissen Grenzen geht das, vor allem bei den Ausreißern vom statistischen Mittelfeld, also zum Beispiel bei einem Baseball-Profi. Die brauchen für ihren Sport eine weit überdurchschnittlich gute Augen-Hand-Koordination, wobei sich Ursache und Wirkung kaum auseinanderhalten lassen. Wie in vielen anderen Fällen auch trainiert ein solcher Sport die Koordination, als sie auch eine Voraussetzung dafür ist, den Sport überhaupt ausüben zu wollen. Ein weiteres Merkmal der Athleten ist, dass sie ihre Augen sehr präzise bewegen können, also einen Punkt sehr genau in den Fokus nehmen können. Das ist etwas, das im Alter verloren geht, dann werden Bewegungen um einiges variabler und das kann schon mal zum Stolpern führen. Bei einer Unterscheidung in weiblich oder männlich würden meine Prognosen wohl nicht über der Genauigkeit des Zufalls liegen, vermutlich aber auch, weil ich entsprechende Hypothesen weniger ernstnehmen kann.
DFG: Sie arbeiten mittlerweile nicht mehr in der Gruppe von Miriam Spering in Vancouver, sondern sind an die Queens University nach Kingston in Ontario umgezogen, wo Sie in der Gruppe von John Randall „Randy“ Flanagan forschen. Vermissen Sie nicht das schöne Wetter und die Landschaften von British Columbia und wie sieht Ihr neues Arbeitsumfeld aus?
JF: Vancouver als Stadt am Meer und an den Bergen ist natürlich landschaftlich schwer zu überbieten. Allerdings vermisse ich weder die sechs Monate Regen im Winter noch die unfassbaren Preise des sehr begehrten Wohnraums. “On-terrible“, wie die Kanadier sagen, ist jedoch gar nicht so schrecklich wie angekündigt und hat durchaus seine eigenen Reize, besonders für junge Familien. Der klimatische Wechsel vom tiefsten Winter in den tropischen Sommer ist wirklich unfassbar. Außerdem gibt es unendlich viele Seen in allen Größen, Farben und Temperaturen, die zum Schwimmen und Angeln einladen. Die Gruppe von Randy Flanagan passt also persönlich und akademisch hervorragend für mich und er selber ist sehr involviert in die einzelnen Projekte in seiner Gruppe und er sprudelt nur so vor Ideen.
DFG: Wie wird es dann nach dem Postdoc in Kanada mit Ihrer Karriere weitergehen?
JF: Ich würde sehr gerne in der akademischen Forschung bleiben und mich über die Leitung einer Nachwuchsgruppe für eine Professur qualifizieren. Ein möglicher Weg wäre das Emmy Noether-Programm der DFG, ein anderer wäre das NRW-Rückkehrerprogramm. Es wird ein wenig vom Timing abhängen, wo ich mich letztendlich bewerbe. Weil mein Mann mit seiner Arbeit vergleichsweise unabhängig ist, sind wir hinsichtlich der Orte in Deutschland sehr flexibel. Die in meinem Bereich besten Gruppen sind derzeit in Gießen, Marburg, Bonn und Bielefeld, aber es ist ja nicht immer gesagt, dass der Plan A auch funktioniert.
DFG: Wäre Plan B oder C dann vielleicht die Industrie?
JF: Das will ich nie ganz ausschließen, aber dann eher als Plan „I“ für Industrie. Ich hoffe, niemand ruft nach einem Anwalt, wenn ich sage: Auf keinen Fall Facebook.
DFG: Nein, auch wir bei der DFG finden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten Prinzipien haben. Worauf freuen Sie sich besonders, wenn Sie an die Rückkehr nach Deutschland denken?
JF: Abgesehen von den Veränderungen für meine Kinder, die Nähe zur Familie und zu Freunden vor allem auf Heimspiele beim 1. FC Köln. Wenn Anthony Modeste mal wieder ein Tor schießt und seine Geste macht, mit der er andeutet, den Ball ganz genau verfolgt zu haben, bevor er ihn in die Maschen köpft oder schießt, dann fühle ich mich in den Ergebnissen meiner Forschung irgendwie bestätigt, selbst wenn es bei Modeste ja meistens eine erfolgreiche Auge-Kopf Koordination ist.
DFG: Der 1. FC Köln schnuppert derzeit dank der Tore von Modeste an einem Platz im Europapokal. Wird Köln fußballerisch nun wieder international?
JF: Hoffentlich nicht, denn als sie es das letzte Mal so weit nach oben geschafft hatten, stiegen sie in der Folgesaison in die Zweite Liga ab. Ich möchte in Deutschland den Effzeh in der Bundesliga sehen und dann können sie sich in den kommenden Jahren gerne im oberen Tabellenabschnitt etablieren.
DFG: Lieben Dank für diese Einschätzung und das Gespräch. Dann drücken wir auch in Bonn und natürlich Nordamerika die Daumen für ein gutes Gelingen Ihrer Karriere und den nachhaltigen Erfolg unserer rheinischen Nachbarn im Profi-Fußball.