(26.09.22) Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert mit dem Forschungsstipendium und mit dem Walter Benjamin-Stipendium die Grundsteinlegung für wissenschaftliche Karrieren durch Finanzierung eines eigenen, unabhängigen Forschungsvorhabens im Ausland und seit 2019 auch in Deutschland. Ein großer Teil dieser Stipendien wird in den USA und zu einem kleineren Teil auch in Kanada wahrgenommen, Ausdruck einer in vielen Disziplinen und in besonderem Maße in den Lebenswissenschaften herrschenden Überzeugung, dass es hilfreich für die Karriere sei, „in Amerika gewesen“ zu sein. In einer Reihe von Gesprächen möchten wir Ihnen einen Eindruck von der Bandbreite der DFG-Geförderten vermitteln. In dieser Ausgabe schauen wir, wer sich hinter der Fördernummer BA 7065 verbirgt.
DFG: Lieber Herr Dr. Balke-Want, herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit dem Nordamerika-Büro der DFG nehmen. Ihr Vorname erinnert an eine US-amerikanische Hotelkette und Ihre Biografie vermerkt als Geburtsort Srinagar im indischen Teil des zwischen Indien, Pakistan und China umstrittenen Kaschmir-Tal. Lassen Sie uns daher gleich mit Ihrem Lebenslauf einsteigen, auf welchen Wegen Sie ins wohl deutlich kältere Deutschland gekommen sind.
Hyatt Balke-Want (HB-W): Herzlichen Dank für diese Gelegenheit zu einem Gespräch und natürlich auch allerbesten Dank für die Förderung meines Forschungsaufenthalts hier an der Westküste. Mein Vorname könnte über Ecken mit der Hotelkette verwandt sein. Meine Eltern wollten mir jedoch einen Namen geben, der ihren muslimischen Glauben signalisiert, und da war Hyatt – arabisch für Leben – eine gute Wahl. In der weiblichen Form als „Hayet“ ist der Name wahrscheinlich noch geläufiger, aber trotz der Seltenheit bekomme ich bei der Hotelkette bislang noch keinen Rabatt. Stattdessen wurde ich im Pflegepraktikum von einer Patientin für einen Mitarbeiter der Hotelkette gehalten.
DFG: Die Spannungen zwischen Hindus und Muslims im indischen Teil von Kaschmir waren in den späten 1980er Jahren schon bis hin zu gelegentlichen gewaltsamen Entladungen angestiegen. Wann sind Sie denn von Kaschmir nach Deutschland gekommen?
HB-W: Sehr bald nach meiner Geburt sind meine Eltern nach Deutschland ausgewandert. Hilfreich war dabei, dass mein Großvater im traditionell touristischen, weil wunderschönen Srinagar eine kleine Reiseagentur betrieb und daher auch Kontakte nach Deutschland hatte. Eine Bekannte half dann meinem Vater, in Deutschland Fuß zu fassen, und er hat uns dann rasch nachkommen lassen. In Köln hat sich mein Vater dann als Goldschmied selbstständig gemacht und konnte so für seine Frau und seine zwei Kinder sorgen. Ich habe einen fünfeinhalb Jahre jüngeren Bruder.
DFG: In Ihrem Lebenslauf stehen neben den DFG-Forschungsstipendium noch Förderungen durch die Hertie-Stiftung, die Fulbright Commission, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Studienstiftung des deutschen Volkes vermerkt. Die Förderung durch Hertie war von 2006 bis 2007, also wohl noch vor Ihrem Abitur. Wie sind Sie dazu gekommen?
HB-W: Ich möchte meinen Stipendiengebern nicht zu nahetreten und bin für die Förderung sehr, sehr dankbar, doch entspreche ich auf der anderen Seite auch ziemlich genau dem, was man sich dort als „förderungswürdig“ ausmalt. Ich habe zum Beispiel Migrationshintergrund, ein nicht-akademisches Elternhaus, hatte sehr gute schulische Leistungen und habe mich in meinem Handballverein ehrenamtlich eingebracht. Ich war in der Schule auf ein Faltblatt der Hertie-Stiftung gestoßen, wollte meinen Eltern mit extracurricularen Bücherwünschen nicht auf der Tasche liegen und hatte einen ordentlichen Lesedurchsatz. Da hat die Hertie-Stiftung im Rahmen des START Stipendienprogramms mir sehr geholfen.
DFG: Sie haben sich während des Studiums in Witten und an der Universität Köln in Ihrer Promotion mit der Behandlung von Lungenkrebs befasst. Wie kam dieses Interesse zustande?
HB-W: Kurz vor meinem Studium machte ich ein Pflegepraktikum in der Onkologie an der Uniklinik Köln und etwa zur gleichen Zeit starb mein Großvater in Srinagar an einem Bronchialkarzinom, als Nichtraucher wohlgemerkt. Bei Lungenkrebs unterscheidet man kleinzellige Tumore (SCLC) von den nicht-kleinzelligen (NSCLC). Während man mittlerweile bei Letzterem durch Hochdurchsatz-Sequenzierungsverfahren des Tumorgenoms therapieentscheidende Erkenntnisse gewinnen kann, hat der SCLC – das sind etwa 10 % aller Lungenkrebsfälle und in Deutschland zwischen 7.000 und 8.000 Erkrankungen pro Jahr – derzeit noch eine Fünf-Jahres-Überlebensrate von weniger als 7 %. Das ist brutal und es zu verstehen, erfordert grundlegendere molekularbiologische Einsichten sowie – das habe ich bei der Promotion bei Prof. Dr. med. Roman Thomas gelernt – wirklich gute wissenschaftliche Fragestellungen.
DFG: Sie sind nach Ihrer Promotion dann in Köln geblieben, aber zu Prof. Dr. Michael Hallek gewechselt, um klinisch in der Hämato-Onkologie zu arbeiten. Warum dieser Wechsel?
HB-W: Ich wollte einfach das, was ich im Studium gelernt habe, endlich anwenden und eigenständig Menschen versorgen, die mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben. Und dann war da noch meine Idee, dass ich aus der klinischen Arbeit heraus neue inspirierende Ansätze für meine wissenschaftliche Tätigkeit entdecke. Tatsächlich hatte ich das große Glück, unter der Leitung von Prof. Hallek und Prof. Borchmann Patienten mit einer neuartigen zellulären Immuntherapie behandeln zu können. Diese genetisch modifizierten Zellen nennen wir Chimäre Antigen Rezeptor – oder kurz: CAR-T-Zellen. Trotz oft massiver Vorbehandlungen sehen wir hier ordentliche und dauerhafte Ansprechraten bei rund einem Drittel der Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphomen und B-Zell Leukämien. Dieser immuntherapeutische Ansatz hat die Behandlung einer Reihe von Krebserkrankungen revolutioniert und wenn Sie so einen Tumor nach wenigen Tagen bis Wochen vor Ihren Augen verschwinden sehen, dann wollen Sie natürlich einen solchen Ansatz auch auf andere Tumorarten anwenden.
DFG: Was spricht dagegen?
HB-W: Krebs ist nicht gleich Krebs und die derzeit zugelassenen immuntherapeutischen Medikamente kosten pro Patientin oder Patient fast eine halbe Million Euro. An beiden Problemen forsche ich in Stanford in der Gruppe von Crystal Mackall. Hier arbeitet man an der Optimierung von allen möglichen CAR-T-Zell-Therapien für andere Tumorarten und eben auch daran, die Zelltherapeutika effizienter und dadurch günstiger herzustellen. Bekämen wir eine solche Therapie für vielleicht jeweils 50.000 Euro an den Patienten, könnten wir das Überleben einer Krebserkrankung etwas aus dem derzeitigen Zielkonflikt mit der Finanzierung des Gesundheitssystems befreien.
DFG: Was macht denn Immuntherapie mit CAR-T-Zellen so teuer?
HB-W: Grob gesprochen läuft es so: Sie holen sich mehrere hundert Millionen T-Zellen aus dem Blut des Patienten, reinigen sie auf und manipulieren sie dann mit einem viralen Vektor so, dass sie im Körper des Patienten dann den Tumor bekämpfen können. Dazu brauchen Sie am Ende genügend manipulierte T-Zellen. Das Ganze läuft in der Regel aber nicht vor Ort ab, wo der Patient behandelt wird, sondern das nicht aufgereinigte Blut des Patienten wird erstmal in ein Herstellungszentrum versendet. Zuvor muss das Herstellungszentrum aber über einen Slot zur Herstellung verfügen. Erst dann kann dem Patienten das Blut abgenommen und versendet werden. Nach der Herstellung werden die Zellen wieder an den Behandlungsort zurückgesendet. Was für ein logistischer Aufwand! Und dann kommen noch die Kosten für den viralen Vektor und dessen Testung hinzu. Die Kosten für so eine Charge Virus liegen oft im sechsstelligen Bereich und die Anzahl an Patientenprodukten, die man mit einer Charge herstellen kann, ist nicht immer genau vorhersagbar. Das hängt davon ab, wie konzentriert der Virusüberstand ist, wie potent die Viren sind und wie der Überstand abgefüllt wurde. Wir versuchen gerade, den Schritt über den viralen Vektor durch das CRISPR-Cas9-Verfahren zu ersetzen und die gewünschte DNA-Sequenz ohne Viren in die T-Zellen der Patienten zu integrieren.
DFG: Ist das nicht auch eine Frage von Skalierung und entsprechender Produktion in industrieller Größenordnung? Anders gefragt: Bietet ein CRISPR-Cas9-Verfahren gegenüber dem Vektor-Verfahren wirklich so einen großen Kostenvorteil, wenn beides entsprechend skaliert wäre?
HB-W: Das kann gut sein. Aber wenn Sie aus einem universitären Umfeld heraus einen innovativen CAR oder ein anderes therapeutisches Transgen in einer kleinen Gruppe von Patienten klinisch testen möchten, dann haben Sie nicht eben mal eine Million Euro oder mehr nur für den viralen Vektor. Das ist ein absoluter Innovationskiller. Außerdem erlaubt das CRISPR-Cas9-System, ganz gezielte Modifikationen vorzunehmen. Heutzutage spricht jeder von Präzisionsmedizin – die Virus Transduktion mit einem viralen Vektor ist aus meiner Sicht das absolute Gegenteil hiervon. Wir können nicht kontrollieren, wo wir die Wunschsequenz im Genom einsetzen und überlassen dies aktuell dem Zufall bzw. den Viren. Wir können diese Zelltherapeutika also vielleicht nicht nur günstiger herstellen, sondern auch bessere Versionen generieren.
DFG: Wie sieht Ihr typischer Alltag derzeit aus? Wie hat er zum Beispiel heute ausgesehen?
HB-W: Ich bin eher ein Frühaufsteher und meistens schon um sechs Uhr auf den Beinen. Unsere Tochter schläft ein wenig länger, so dass ich etwas Zeit für mich habe, d.h. mein Müsli zu essen und E-Mails zu schreiben. Wenn es gut läuft, schaffe ich es auch noch, ein Paper zu lesen. Sobald unsere Tochter wach ist, schlüpfe ich sehr gerne in die Vaterrolle, kümmere ich mich also um sie und mache sie fertig für den Tag. Danach schwinge ich mich aufs Fahrrad. Wir wohnen in Redwood City, so zehn Kilometer vom Campus der Stanford University entfernt. Es geht durch Atherton, vorbei an den Domizilen der möglicherweise reichsten Menschen des Planeten. Würde ich die Parallelstraße fahren, ginge es vorbei an Menschen, die im Wohnwagen leben, weil sie die Mieten hier nicht bezahlen können. Welcome to America.
DFG: Sie sind hin- und hergerissen?
HB-W: Ja klar, wer das nicht ist, verschließt entweder aggressiv die Augen, ist nicht empathisch oder gar zynisch oder authentisch blind; das soll es ja auch geben.
DFG: Dann lassen Sie uns über das Hinreißende Ihres Aufenthalts in Stanford sprechen.
HB-W: Liebend gerne, da gibt es zwei wesentliche und vermutlich zusammenhängende Aspekte. Zum einen scheint ein Aufenthalt in Nordamerika für eine lebenswissenschaftliche akademische Karriere in Deutschland immer noch unverzichtbar zu sein, zum anderen hat dies wohl ein Bündel von Gründen: Die Gruppen sind internationaler, spritziger und zu mindestens gefühlt hierarchisch flacher als in Deutschland, es ist relativ noch mehr Geld im System, in absoluten Zahlen ist das System mindestens fünfmal so groß. Hier in Stanford kommt noch hinzu, dass die verschiedenen Disziplinen sehr eng zusammenarbeiten und die Wechselwirkung zwischen Entwicklung von Technologien und Entwicklung von Forschungsfragen mit einer hohen Frequenz pulsiert.
DFG: Liegen die kürzeren Zeiten zwischen „bench and bedside“, also Verständnis und Anwendung, in Nordamerika an einem besseren Unternehmergeist oder ist man einfach nur leichtsinniger?
HB-W: Da bin ich überfragt, denn unternehmerisch grünt es allenfalls hinter meinen Ohren.
DFG: Sie sind im März 2020 zum Postdoc nach Kalifornien gekommen, zeitgleich mit dem ersten Lockdown und den begleitenden Reisebeschränkungen. Wie funktionierte das?
HB-W: Das hätte beinahe meinen ganzen Aufenthalt hier über den Haufen geworfen. Ich war schon vorausgereist und meine Frau und unsere damals drei Monate alte Tochter saßen plötzlich in Deutschland fest. Das war ein mittelgroßes Drama, hier die Vereinbarkeit von Beruf und Familie an einem geografischen Ort wieder zu etablieren. Zusammen mit den anderen Covid-Beschränkungen hat das sicherlich ein halbes Jahr aus dem Bewilligungszeitraum herausgenommen. In Köln würde man aber sagen: „Et hätt noch immer jot jejange“ und dank großzügiger Covid-Regelungen der DFG und ihrer wirklich familienfreundlichen Förderung – herzlichen Dank auch noch einmal dafür – konnte ich mein Forschungsvorhaben zeitverzögert aber im Wesentlichen wie geplant durchführen, werde hoffentlich meinen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten und konnte gleichzeitig meine Rolle als Ehemann und Vater ernst- und wahrnehmen. Meine Frau ist ebenfalls Ärztin und möchte ihre eigenen Karrierepläne nicht endgültig zurückstellen. Sie tut es derzeit und hält mir damit den Rücken frei, doch herrscht Einverständnis zwischen uns beiden, dass dies kein Dauerzustand werden soll.
DFG: Ihre Tochter soll dann einen Professor zum Vater haben?
HB-W: Das ist nicht mein primäres Ziel. Ich kann mich im Rahmen meiner wissenschaftlichen Arbeit selbst verwirklichen und eigene Ideen verfolgen. Was für ein Privileg! Vor allem wenn man dadurch auch noch die Versorgung von erkrankten Menschen verbessern kann. Aber Sie haben schon recht, um auch künftig meiner Arbeit nachgehen zu können, stehen ein paar Meilensteine an: Publikationen, Facharztausbildung beenden und dann vielleicht auch die Habilitation und das alles, ohne meine Ehe vor die Wand zu fahren oder die Beziehung zu meinem Kind schleifen zu lassen. Die Verfolgung ehrgeiziger beruflicher Ziele kann ja auch erhebliche Schäden im privaten Umfeld verursachen.
DFG: Wie lassen sich denn die negativen Effekte im Zaum halten?
HB-W: Kommunikation ist hier der Schlüssel. Wenn alles gut läuft, kann und sollte man das üben, denn wenn es schlechter läuft, braucht man das, damit es nicht noch schlechter läuft. Meine Frau und ich sind da als Internisten beruflich in einer exponierten Situation, denn wir haben es schon mal mit ausweglosen Situationen zu tun und als einziges Mittel steht nur noch das Gespräch mit dem Patienten und den Angehörigen zur Verfügung. Derzeit forsche ich allerdings an der „bench“, bin also nicht an der „bedside“ und entsprechend nicht in solchen existenziellen Situationen. Im Privaten geht es im Alltag um deutlich weniger, aber dennoch sollte man die Kommunikation nicht schleifen lassen. Das müssen wir dringend unserer Tochter beibringen. Meine Frau und ich nennen sie „the commander“, weil ihr derzeit deutlich bevorzugter Kommunikationsmodus der als Wunsch geäußerte Befehl ist.
DFG: Wollen wir abschließend noch gemeinsam in die Kristallkugel schauen? Wo stehen wir in fünf Jahren mit der Immuntherapie, wo stehen Sie persönlich und worüber freut sich dann Ihre fast achtjährige Tochter?
HB-W: Bei unserer Tochter ist das einfach, sie ist insgeheim glücklich über die Einsicht, dass man auch beim besten Willen nicht alles haben kann. Ich bringe meine aktuelle Arbeit an der „bench“ auch in Deutschand an die „bedside“. Gleichzeitig hat meine Frau ihren Facharzt dann schon lange fertig. Nicht so deutlich ist der Blick im Hinblick auf die Fortschritte in der Immuntherapie, also die Frage, welche der vielen Hoffnungen tatsächlich begründet sind. Es ist ein hochspannendes Feld. Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann auf typisch US-amerikanisch: „All of the above“, also für deutlich mehr Krebsarten zu vertretbaren Kosten verfügbare Immuntherapien, berufliche Selbstverwirklichung für meine Frau und mich und eine weiterhin glückliche Tochter. Ein Leben wie auf dem Ponyhof eben.
DFG: Dann möchten wir uns herzlich bei Ihnen für das unterhaltsame und sehr informative Gespräch bedanken und Ihnen und der Entwicklung der Immuntherapie alles denkbar Gute wünschen.