USA-Reise von DFG-Vizepräsidentin Julika Griem: Veranstaltungen in Washington, DC und New York City

Frau Dr. Julika Griem bei der Podiumsdiskussion, National Academy of Sciences

Frau Dr. Julika Griem bei der Podiumsdiskussion, National Academy of Sciences

© DFG

(25.10.22) In der zweiten Septemberwoche hielt sich DFG-Vizepräsidentin Prof. Dr. Julika Griem zu verschiedenen Gesprächsterminen – unter anderem an der Deutschen Botschaft in Washington, beim National Endowment for the Humanities und an der New School for Social Research in New York – an der US-amerikanischen Ostküste auf und nahm an zwei Veranstaltungen teil.



Washington, DC

Am Montag, dem 12. September hatte das Nordamerika-Büro der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gemeinsam mit der National Academy of Sciences (NAS) und der Einstein Stiftung Berlin zu einem Podiumsgespräch über Strategien zur Sicherung und Verbesserung von Forschungsqualität in das Hauptgebäude der NAS eingeladen. Tracey Weissgerber vom Berlin Institute of Health at Charité führte als Moderatorin durch eine dichte Diskussion.

Julika Griem hob hervor, dass das Thema Forschungsqualität mit seinen epistemischen, institutionellen und ökonomischen Dimensionen im neu geschaffenen „Forum Research Culture“ bearbeitet wird. Unter diesem Sammelbegriff befasst sich die DFG intensiv mit guter wissenschaftlicher Praxis, Gleichstellungs- und Diversitätsstandards und dem Publikationswesen, mit Reformen der Bewertung, Vertrauen in die Wissenschaft, Arbeitsbedingungen, Partizipation und Nachhaltigkeit. Griem wies am Beispiel von Open Science auch darauf hin, dass Reformziele in Kulturwandelprozessen der Wissenschaft nicht als Selbstzweck behandelt werden sollten.

(v.l.n.r.) Julika Griem (Vize-Präsidentin, DFG), Martin Zettersten (Princeton University), Tracey Weissberger (Charite-Universitätsmedizin Berlin), Marcia McNutt (Nat’l Academy of Sciences), Arthur Lupia (University of Michigan), Michael Lauer (Nat’l

(v.l.n.r.) Julika Griem (Vize-Präsidentin, DFG), Martin Zettersten (Princeton University), Tracey Weissberger (Charite-Universitätsmedizin Berlin), Marcia McNutt (Nat’l Academy of Sciences), Arthur Lupia (University of Michigan), Michael Lauer (Nat’l Institutes of Health)

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Arthur Lupia (Professor of Political Science an der University of Michigan in Ann Arbor) verwies als ehemaliger Assistant Director bei der National Science Foundation (NSF) auf weitere Maßnahmen zur Qualitätssicherung und hierbei vor allem auf präzisierte Anforderungen an Data Management Plans, welche die Zugänglichkeit und Replizierbarkeit von Daten und Forschungsergebnissen deutlich verbessert hätten.

Michael Lauer (Deputy Director for Extramural Research bei den National Institutes of Health [NIH]) ging bei der Diskussion auf die Anforderungen an einen Data Management Plan speziell im lebenswissenschaftlichen Bereich ein.

Marcia McNutt (Präsidentin der NAS) beleuchtete das Problem der Sicherung von Forschungsqualität von der Seite des enorm gestiegenen Publikationsdrucks und verwies auf noch weitgehend fehlende Anreize, auch Arbeiten zu veröffentlichen, die letztendlich in wissenschaftliche „Sackgassen“ führten. In den verschiedenen Fächern herrschten zudem unterschiedliche Kulturen der Zuschreibung von Leistung bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, die – und dies sei mittlerweile die Regel – von mitunter sehr großen Teams erzielt würden. Man solle sich hier vielleicht ein Beispiel an Kinofilmen nehmen, deren Credits bis in die kleinsten Details hinein ausleuchteten, wer was zum Gesamterfolg beigetragen habe, selbst bei schlechten Filmen.

Martin Zettersten (Postdoc am Department of Psychology der Princeton University) nahm als Vertreter des mit dem Einstein Early Career Researcher Award 2021 ausgezeichneten Teams des Many Babies Project an der Gesprächsrunde teil. Er beleuchtete einen oft noch unterbelichteten Aspekt von Forschungsqualität, nämlich die Konzentration von Forschungsfragen und -objekten auf Realitäten in nur wenigen, hoch entwickelten Ländern. Indem das Many Babies Project einen weltweiten Pool von Beobachtungen zu ihren entwicklungspsychologischen Fragestellungen erschlossen habe, könne man deutlich allgemeinere und damit qualitativ hochwertigere Schlussfolgerungen ziehen.

Die Gesprächsrunde kam nach eineinhalb Stunden eines ertragreichen Austauschs zu „best pratices“ der Sicherung von Forschungsqualität in einem Schlussakkord zusammen, der auf der einen Seite das allgemeine Ziel von möglichst transparenter, reproduzierbarer und nachvollziehbarer Forschung hervorhob, auf der anderen Seite aber auch aufgrund verschiedener Förderkulturen unterschiedliche Wege zum gemeinsamen Ziel als gute Praxis anerkannte.

Mitschnitt der Veranstaltung

New York City

Für den Abend des 14. September hatte das Nordamerika-Büro der DFG gemeinsam mit 1014 Fifth Avenue zu einer Diskussionsrunde über die Rolle von Geistes- und Sozialwissenschaften in der Ausbildung von Ingenieurinnen und Ingenieuren eingeladen. Direkt gegenüber dem Metropolitan Museum of Art bot 1014 mit den Räumlichkeiten im ehemaligen Goethe-Institut einen hervorragenden Rahmen für einen Brückenschlag zwischen sehr unterschiedlichen Fachkulturen.

Kurt Becker (Professor und Vice Dean for Research, Innovation, and Entrepreneurship an der New York University [NYU] Tandon School of Engineering) befragte als Moderator die Panelisten nach ihren persönlich motivierten Interessen am Thema der Runde und traf damit einen Kern des Problems, nämlich die längst nicht immer vermittelbaren Perspektiven und wechselseitig wirksamen Vorurteile im Verhältnis von Natur- und Technikwissenschaften einerseits und Geistes- und Sozialwissenschaften andererseits.

(v.l.n.r.) Georg Bechtold (DFG-Büro Nordamerika), Julika Griem (Vize-Präsidenten, DFG), Ben Bergner (1014 Space for Ideas), Pamela H. Smith (Columbia University), Jelena Kovačević (Dean, NYU Tandon School of Engineering), Myles W. Jackson (Albers-Sch

(v.l.n.r.) Georg Bechtold (DFG-Büro Nordamerika), Julika Griem (Vize-Präsidenten, DFG), Ben Bergner (1014 Space for Ideas), Pamela H. Smith (Columbia University), Jelena Kovačević (Dean, NYU Tandon School of Engineering), Myles W. Jackson (Albers-Schönberg Professor, Princeton University), and Kurt Becker, Vice Dean, New York University’s Tandon School of Engineering)

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Julika Griem berichtete von ihren ersten Jahren als Professorin für Anglistische Literaturwissenschaft an technischen Hochschulen. Als Direktorin des Kulturwissenschaftlichen Instituts (KWI) in Essen profitiere sie von diesen Erfahrungen, auch für die Arbeit am im vergangenen Jahr eingerichteten Rhine-Ruhr Centre for Science Communication. Es gehe allerdings bei der Einbettung von Geistes- und Sozialwissenschaften in die Curricula technisch-wissenschaftlicher Berufe Erfordernisse nicht allein um kommunikative „skills“, sondern auch um ein fundiertes Wissen über Wissenschaft, deren Erkenntnisleistungen in historischen und kulturellen Kontexten verstanden werden müssten.

Pamela Smith (Wissenschaftshistorikerin an der Columbia University und Direktorin des dortigen Center for Science and Society) ergänzte, dass die historische Perspektive von Wissenschaft auch „vor-moderne“ und in gemeinschaftlichem Tun verankerte Formen von Wissen umfassen müsse, Formen, die aus gegenwärtiger Sicht oft als unwissenschaftlich abgetan würden. Bestimmungen von Wissenschaftlichkeit seien historisch gewachsen und damit veränderbar und auf reflektierte Begründungen angewiesen.

Myles Jackson (Professor für Wissenschaftsgeschichte am Institute for Advance Study (IAS) der Princeton University) betonte, dass die Einsicht in die Historizität von Wissenschaft keinesfalls in einen radikalen Relativismus münden müsse. Er verwies auch auf historische Beispiele für Bestrebungen, eine Automatisierung der Wissensproduktion herbeizuführen. Eine zeitgemäße Ingenieurausbildung müsse hingegen darauf achten, keine „Problemlösungsautomaten“ zu produzieren, sondern flexible, phantasiereiche und interdisziplinäre Problemlösungsstrategien zu vermitteln.

Jelena Kovačević (Professorin für Elektrotechnik und Dean der NYU Tandon School of Engineering) bedauerte mit Blick auf ihren eigenen Werdegang und ihre Ingenieurausbildung im ehemaligen Jugoslawien, dass sie wegen eines übervollen Lehrplans auf geisteswissenschaftliche und musische Fächer habe verzichten müssen. Technische Mechanik I-III, Maxwell-Gleichungen, Thermodynamik oder Fourier-Transformation seien wichtig, aber es lasse sich durchaus Platz für geistes- und sozialwissenschaftliche Lehrinhalte im Curriculum finden, zumal dies in den allermeisten US-Bundesstaaten für öffentlich finanzierte Einrichtungen ohnehin gesetzlich vorgeschrieben sei. Ob sich dann allerdings die Studierenden wirklich für die „nicht-technischen“ Inhalte interessierten oder sie nur als lästige Pflicht abhakten, hänge entscheidend davon ab, ob derartige Angebote speziell für Studierende in den Ingenieurwissenschaften gemacht würden oder sie nur einfach Seminare und Vorlesungen mit den sprachlich oft deutlich besser aufgestellten „Spezialisten“ teilten.

Mit der Einbindung des Publikums kam anschließend unter anderem die spannende Frage auf, ob es den Ingenieurfakultäten nicht umgekehrt gelingen könne, Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen mit naturwissenschaftlichen Konzepten vertrauter zu machen, ob also ein kontinuierlicher Brückenbau zwischen den Welten von Natur-, Kultur- und Geisteswissenschaften von verschiedenen Seiten aus betrieben werden könne.

Ein abschließender Empfang und künstlerische Installationen in den oberen Etagen von 1014 boten dem Publikum weitere Gelegenheiten, mit den Panelisten über andere Aspekte des Veranstaltungs-Themas zu sprechen, darunter auch die Notwendigkeit internationaler Erfahrungen für Ingenieurinnen und Ingenieure. Ein transatlantischer Erfahrungsaustausch zu einer zeitgemäßen Ingenieurausbildung müsse auch dies berücksichtigen und die entsprechenden Angebote von Hochschulen, Mobilitätsorganisationen und Forschungsförderern müssten noch besser zugeschnitten werden.