(15.11.22) In einer gemeinsamen Veranstaltung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), des Goethe-Instituts New York, des Thomas Mann House und 1014 Space for Ideas widmete sich der Soziologe und Leibniz-Preisträger Andreas Reckwitz am 25. Oktober in einer von Paul Kottmann (New School for Social Research) moderierten Publikumsveranstaltung dem paradox erscheinenden Gegensatz zwischen Fortschrittsimperativ der Moderne auf der einen Seite und seinen zahlreichen Enttäuschungen durch Statusverluste, Sinnverluste, Kontrollverluste etc. auf der anderen, die sich sogar zu einem Verlust des Glaubens an die Zukunft selbst aufaddieren können.
Reckwitz, dessen Bücher „Die Gesellschaft der Singularitäten“ (2017) und „Das Ende der Illusionen“ (2019) nun auch in englischer Fassung vorliegen und der zurzeit Fellow am Thomas Mann House in Los Angeles ist, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Verlustproblematik in der spätmodernen Gesellschaft. Dieser komme nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Klimawandel, aber auch mit einer allgemein eher katastrophalen Perspektive auf die gesellschaftliche Entwicklung eine außerordentliche Bedeutung zu, eine Bedeutung, die es soziologisch zu erörtern gelte, wenngleich auch unter Verwendung psychologischer oder psychoanalytischer Konzepte.
Eine seiner zentralen Thesen war es, dass es sich dabei um eine paradoxe Konstellation im Sinne einer Fortschrittsimperativen folgenden Gesellschaft handele, die mit dem Anspruch antrete, Verluste zu vermeiden oder wenigstens auszugleichen, gleichzeitig aber – wenn auch oft in anderen Bereichen – Verluste vermehre und emotional, beispielsweise in Form von Nostalgie, oder ökonomisch, etwa im Versicherungswesen, funktionalisiere. Dieser Thesenkomplex führte zu einer angeregten Debatte zwischen Reckwitz, dem Moderator und dem Publikum, wobei Letzteres einem soziologisch definierten Verlust-Begriff nicht immer folgen wollte und stattdessen eine breiter angelegte, etwa um philosophische oder religiöse Aspekte erweiterte Begrifflichkeit bevorzugte.
Aus dieser Reibung erwuchs – nun auch erstmals in New York – ein fruchtbarer Gedankenaustausch zu den komplexen Strukturwandlungen moderner Gesellschaften aus gesellschaftstheoretischen, kultursoziologischen und philosophischen Perspektiven, ein Austausch, den auch 2019 der damalige DFG-Präsident Peter Strohschneider in seiner Laudatio zur Verleihung des Leibniz-Preises an Reckwitz hervorgehoben hatte: „Seit zwei Jahrzehnten besticht und bereichert [Reckwitz] Fachwelt und Öffentlichkeit durch eine Reihe einflussreicher Studien, die weit über die Soziologie hinauswirken und viele Forschungsdiskurse in den Kultur- und Geschichtswissenschaften ebenso mitprägen wie diejenigen von Ästhetik und Kunstwissenschaft.“
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