(18.03.15) Anfang März wurde in Moskau das erste von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte deutsch-russische Internationale Graduiertenkolleg (IGK 1956) in den Geisteswissenschaften eröffnet. Zur Festveranstaltung reiste eine hochrangige Delegation aus Deutschland an - mit den Generalsekretärinnen der DFG, Dorothee Dzwonnek, und des DAAD, Dorothea Rüland, an der Spitze. Neben der deutschen Sprecherin des Nachwuchskollegs, Elisabeth Cheauré, und zwanzig beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Freiburg kam auch Rektor Hans Jochen Schiewer zum Festakt an die Russische Staatliche Geisteswissenschaftliche Universität (RGGU).
Nachdem bereits Ende letzten Jahres an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg das Graduiertenkolleg mit einem Festvortrag von Gernot Erler, Staatsminister a.D. und Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, eingeweiht wurde, folgte nun am 07. März eine Auftaktveranstaltung an der russischen Partnerhochschule. Der Einladung des Rektors Efim Pivovar zur feierlichen Eröffnung des DFG-Graduiertenkollegs an der Moskauer RGGU folgten rund 150 interessierte Personen aus Politik und Wissenschaft. Von russischer Seite wurden u.a. Grußworte überbracht von Mikhail Schwydkoj, dem ehemaligen Kulturminister und Sonderbeauftragten des russischen Präsidenten für internationale kulturelle Zusammenarbeit, und Vladimir Fridlyanov, dem ehemaligen stellvertretenden Wissenschaftsminister und Vorsitzenden der Partnerorganisation der DFG, der Russischen Stiftung für die Geistes- und Sozialwissenschaften (RGNF). Glückwünsche des deutschen Botschafters Freiherr von Fritsch zur Einrichtung des bilateralen Langzeitprojekts bestellte der Leiter der Abteilung für Wirtschaft und Wissenschaft der Deutschen Botschaft Moskau, Wolfgang Dik.
Neben zahlreichen Vertretern von DAAD und DFG, wie dem für die Literatur- und Kulturwissenschaften zuständigen DFG-Programmdirektoren Thomas Wiemer aus der Gruppe der Geistes- und Sozialwissenschaften, waren auch weitere Mitglieder des deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) Moskau anwesend; u.a. der Direktor des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Moskau, Nikolaus Katzer, der als assoziierter Wissenschaftler am IGK beteiligt ist. Zudem konnten die Veranstalter mit Rüdiger Bolz den Leiter des Moskauer Goethe-Instituts begrüßen, der großes Interesse an der Thematik des Kollegs bekundete. Das Thema „Kulturtransfer und ‚kulturelle Identität‘ – deutsch-russische Kontakte im europäischen Kontext“ bietet den Wissenschaftlern des IGK in den nächsten Jahren sicher auch die Möglichkeit für gemeinsame Aktivitäten mit dem Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland, das als „Kulturbotschafter und -mittler“ in Moskau tätig ist.
Das Graduiertenkolleg IGK 1956 untersucht die lange Tradition nationaler, bilateraler und internationaler Forschung zu deutsch-russischen Kulturkontakten, sowie die europäische Dimension dieser Kontakte, und möchte auf dieser Basis ein innovatives Konzept interdisziplinärer und internationaler Kulturtransferforschung entwickeln. Zudem widmet sich der Forschungsverbund der Frage, inwiefern sich Prozesse des Kulturtransfers auf Konstruktionen kultureller oder nationaler Identitäten auswirken. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Am Projekt beteiligen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Freiburg, Moskau, St. Petersburg und Berlin.
Das neu eingerichtete Graduiertenkolleg ist eng mit dem Institut für Russisch-deutsche Literatur- und Kulturbeziehungen (IRDLK) der RGGU verwoben. Direktor des IRDLK und Leiter des dort angesiedelten Thomas-Mann-Lehrstuhls ist Dirk Kemper, der als Ko-Sprecher des Kollegs auf russischer Seite fungiert. Das IRDLK ist ein vom DAAD finanziertes Gemeinschaftsprojekt der RGGU und der Universität Freiburg und dient als Ausbildungs- und Forschungszentrum für die germanistische Literatur- und Kulturwissenschaft in Russland. Zu weiteren forschungsstarken Bereichen der RGGU zählen die Philologien (Linguistik) und die Geschichtswissenschaften.
Die Staatliche Russische Geisteswissenschaftliche Universität (RGGU) ging 1991 aus der Fusion zweier Moskauer Hochschulen hervor, der Moscow Public University (gegründet 1908) und des Moscow State Institute for History and Archives (gegründet 1930). Insbesondere das Institut für Geschichts- und Archivwesen entwickelte sich rasch zu einem der führenden Forschungszentren für das Studium von Primärquellen in der Archäologie und in der Paläographie. An der RGGU sind heute 14.000 Studierende immatrikuliert.
Graduiertenkollegs wie das IGK 1956 sind Einrichtungen an Hochschulen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die von der DFG bis zu neun Jahre gefördert werden können. Im Mittelpunkt steht die Qualifizierung von Doktorandinnen und Doktoranden im Rahmen eines thematisch fokussierten Forschungsprogramms sowie eines strukturierten Qualifizierungskonzepts. Ziel ist es, die Promovierenden auf den komplexen Arbeitsmarkt „Wissenschaft“ intensiv vorzubereiten und gleichzeitig ihre frühe wissenschaftliche Selbstständigkeit zu unterstützen. Darüber hinaus bieten Internationale Graduiertenkollegs die Möglichkeit einer gemeinsamen Doktorandenausbildung zwischen einer Gruppe an einer deutschen Hochschule und einer Partnergruppe im Ausland. Die Forschungs- und Studienprogramme werden gemeinsam entwickelt und in Doppelbetreuung durchgeführt. Für die Doktoranden in den beteiligten Gruppen ist ein sechsmonatiger Auslandsaufenthalt bei dem jeweiligen Partner vorgesehen.
Momentan fördert die DFG rund 200 Graduiertenkollegs, davon gut ein Fünftel als internationale IGKs. Mit dem IGK 1956 zwischen Freiburg und Moskau wurde zum ersten Mal ein deutsch-russisches Graduiertenkolleg im Bereich der Geisteswissenschaften eingerichtet. Bilaterale Kollegs mit Russland werden von der DFG aber bereits seit 2006 gefördert, so zwischen der Moskauer Lomonosov-Universität und den Universitäten Gießen / Marburg im Bereich der Lebenswissenschaften (IGK 1384). Die Kofinanzierung der russischen Seite des Nachwuchsprogramms wird dabei durch die Russische Stiftung für die Grundlagenforschung (RFFI) sichergestellt, deren Vertreter ebenfalls an der Eröffnung des Graduiertenkollegs an der RGGU teilnahmen.