Pressemitteilung Nr. 16 | 27. Mai 2022

DFG fördert neun neue Sonderforschungsbereiche

Themen reichen von virtuellen Lebenswelten über Zellmembrane bis zu Waldökosystemen / 111 Millionen Euro Fördermittel für zunächst vier Jahre

Themen reichen von virtuellen Lebenswelten über Zellmembrane bis zu Waldökosystemen / 111 Millionen Euro Fördermittel für zunächst vier Jahre

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet zur weiteren Stärkung der Spitzenforschung an den Hochschulen neun neue Sonderforschungsbereiche (SFB) ein. Dies beschloss der zuständige Bewilligungsausschuss, der per Videokonferenz tagte. Die neuen SFB werden ab dem 1. Juli 2022 zunächst vier Jahre lang mit insgesamt rund 111 Millionen Euro gefördert. Darin enthalten ist eine 22-prozentige Programmpauschale für indirekte Kosten aus den Projekten. Zwei der neuen Verbünde sind SFB/Transregio (TRR), die sich auf mehrere antragstellende Hochschulen verteilen.

Zusätzlich zu den neun Einrichtungen stimmte der Bewilligungsausschuss für die Verlängerung von 19 SFB um je eine weitere Förderperiode, darunter sechs SFB/Transregio. Sonderforschungsbereiche ermöglichen die Bearbeitung innovativer, anspruchsvoller und langfristig konzipierter Forschungsvorhaben im Verbund und sollen damit der Schwerpunkt- und Strukturbildung an den antragstellenden Hochschulen dienen. SFB werden maximal zwölf Jahre gefördert. Ab Juli 2022 fördert die DFG insgesamt 276 SFB.

Die neuen Sonderforschungsbereiche im Einzelnen
(in alphabetischer Reihenfolge ihrer Sprecherhochschulen und unter Nennung der Sprecherinnen und Sprecher sowie der weiteren antragstellenden Hochschulen):

In den letzten Jahren ist die Leistung von Computern immer stärker geworden. Allerdings reicht Rechenkapazität allein nicht aus, um der aktuellen Datenflut und der Komplexität von Modellen, die naturwissenschaftliche und technische Phänomene beschreiben, adäquat zu begegnen. Selbst etablierte Methoden der Signalverarbeitung, des maschinellen Lernens sowie der numerischen Lösung partieller Differentialgleichungen stoßen an ihre Grenzen. Deshalb müssen in den Daten versteckte Strukturen analysiert und verstanden werden, um zukünftig mit besser angepassten Methoden arbeiten zu können. Konkret sollen Algorithmen entwickelt werden, die in Daten hoher Dimension enthaltene einfache Unterstrukturen (Sparsity) identifizieren und sie zur Lösung von ansonsten nicht lösbaren Problemen nutzen. Diese Algorithmen will der Sonderforschungsbereich „Sparsity und singuläre Strukturen“ insbesondere auf Modelle anwenden, die in gewissen Bereichen singulär sind, also prinzipbedingt nicht überall die physikalische Realität verlässlich beschreiben. (RWTH Aachen, Sprecher: Professor Dr. Holger Rauhut)

Virtualität nicht mehr als Ausnahmezustand, sondern als Normalität zu begreifen, ist der Ausgangspunkt der Forschungsarbeiten des Sonderforschungsbereichs „Virtuelle Lebenswelten“. Dabei sollen unterschiedliche Aspekte wie Infrastrukturen, Affekte und Körperlichkeit, Wissen, Räumlichkeit, Sozialität und Interaktion in den Blick genommen werden. Welche gesellschaftlichen Teilsysteme setzen Virtualität auf welche Weise um? Und welche Folgen hat das für einzelne Subjekte und deren Konstitution, für lebensweltliche und ästhetische Praxen sowie für soziale Organisationen und Operationen? Diese Fragen wollen Forscherinnen und Forscher aus medienwissenschaftlichen, philologischen und literaturwissenschaftlichen Disziplinen sowie aus den Erziehungswissenschaften, Geschichtswissenschaften, der Kunstgeschichte und der Sozialpsychologie und Sozialanthropologie gemeinsam beantworten. (Universität Bochum, Sprecher: Professor Dr. Stefan Rieger)

Das „Stroma-vaskuläre Kompartiment“ (SVK) ist ein essentieller Bestandteil jedes Organs. Es setzt sich unter anderem aus Blut- und Lymphgefäßen sowie Fibroblasten zusammen und bildet die Struktur, in der nach einer Organschädigung Immunzellen aus dem Blut in das geschädigte Gewebe eintreten. Ziel des Sonderforschungsbereichs „Schadenskontrolle durch das Stroma-vaskuläre Kompartiment“ ist es, den Beitrag der verschiedenen SVK-Zellpopulationen bei der Gewebsreparatur im Herzen, im Gehirn und in Blutgefäßen zu verstehen. Der Fokus liegt dabei besonders auf der Analyse der Mechanismen und auf den molekularen Akteuren, die die Reaktion auf eine Verletzung in einem multizellulären Kontext orchestrieren. Mit diesem Ansatz sollen Mechanismen aufgedeckt werden, die zukünftig genutzt werden können, um die Reaktion des SVK auf eine Schädigung zu optimieren, die Erholung des Gewebes zu verbessern und die Resilienz gegenüber Schäden zu erhöhen. (Universität Frankfurt/Main, Sprecher: Professor Dr. Ralf P. Brandes)

Dynamische Proteinverbünde und molekulare Maschinen in Zellmembranen sind für wesentliche Lebensprozesse essentiell. Sie halten die funktional unterschiedlich genutzten Räume innerhalb einer Zelle im Gleichgewicht, wandeln Energie um, verschieben Nährstoffe und Metabolite, steuern die Kommunikation innerhalb und zwischen Zellen und vermitteln Interaktionen mit Krankheitserregern. Allerdings sind sie besonders schwer zu erforschen und trotz ihrer Schlüsselrolle deshalb weitgehend unverstanden. Das übergeordnete Ziel des Sonderforschungsbereichs „Proteinverbünde und Maschinerien in Zellmembranen“ ist es, die damit verbundenen Organisationsprinzipien und Funktionsmechanismen aufzuklären. Damit soll die Grundlage für die tiefergehende Analyse zellulärer Prozesse geschaffen werden. (Universität Frankfurt/Main, Sprecher: Professor Dr. Robert Tampé)

Waldökosysteme üben als Kohlenstoffspeicher eine wichtige regulatorische Funktion im Klimasystem aus. Klimaextreme wie Hitze, Dürre oder Überflutung gefährden jedoch selbst mitteleuropäische Wälder und beinträchtigen ihre Kapazität als Kohlenstoffsenken und ihre Resilienz gegen Trockenheit. Um die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Wälder möglichst genau vorhersagen zu können, braucht es ein verbessertes Prozessverständnis verschiedenster Stoffkreisläufe – doch es fehlen geeignete Mess-, Daten- und Modellierwerkzeuge. Der Sonderforschungsbereich „ECOSENSE – Skalenübergreifende Quantifizierung von Ökosystemprozessen in ihrer räumlich-zeitlichen Dynamik mittels smarter autonomer Sensornetzwerke“ bringt daher in einem interdisziplinären Ansatz Ingenieur- und Lebenswissenschaften zusammen, um mithilfe neu entwickelter Sensortechniken Daten erstmals auf allen relevanten Skalen zur Bewertung von Wald-Ökosystemen erfassen zu können und für kurz- und mittelfristige Vorhersagen zu nutzen. (Universität Freiburg, Sprecherin: Professorin Dr. Christiane Werner)

Der Sonderforschungsbereich „Molekulare Schaltkreise von Herzerkrankungen“ setzt sich mit Fragen zu Entstehung und Verlauf unterschiedlicher Typen von Herzversagen auseinander. Die beteiligten Forscherinnen und Forscher zielen darauf ab, individuelle, maßgeschneiderte Behandlungen für verschiedene Herzerkrankungen anbieten zu können. Sie integrieren dazu das Wissen über spezifische Ursachen, Signalwege und Phänotypen, indem experimentelle Daten und Patientendaten mit systembiologischen und mathematischen Modellierungsansätzen miteinander verknüpft werden. Auf diese Weise wollen sie die zugrunde liegenden „molekularen Schaltkreise“ von Herzerkrankungen entschlüsseln. (Universität Heidelberg, Sprecher: Professor Dr. Johannes Backs)

Die Magnetresonanz (MR) ist die chemisch spezifischste und zugleich vielseitigste Messmethode für detaillierte Informationen über die Struktur und Funktion molekularer Materie und deshalb die grundlegende Technik für chemische, biologische oder materialwissenschaftliche Charakterisierungen. Die geringe Empfindlichkeit der Technik und der für die Anwendung notwendige, relativ hohe Spezialisierungsgrad stehen einem flächendeckenden Einsatz aber im Wege. Der Sonderforschungsbereich „Kompakte Hochleistungs-Magnetresonanzsysteme – HyPERiON“ will die konventionellen Konzepte entlang der gesamten MR-Signalverarbeitungskette hinterfragen, um die Empfindlichkeit, Belastbarkeit und Anwendbarkeit der Methode gleichermaßen zu verbessern. Letztendlich geht es um die Erforschung neuer und aufregender Anwendungen im Bereich der Chemie, der Biologie, bis hin zum Bereich chemischer Verfahrenstechnik. (Karlsruher Institut für Technologie, Sprecher: Professor Dr. Jan Gerrit Korvink)

Weltweit sind Ökosysteme unter anderem durch menschliche Aktivitäten oder den schnellen Klimawandel bedroht. Daran müssen sich Pflanzen anpassen, die für fast alle Nahrungsnetze und damit für das Funktionieren von Ökosystemen von entscheidender Bedeutung sind. Was aber sind die genetischen Grundlagen hierfür? Um diese Frage zu beantworten, untersucht der SFB/Transregio „Ökologische Genetik der Pflanzen“ die unterschiedlichen Fähigkeiten von ausgesuchten Pflanzenarten zur Anpassung an limitierte Ressourcen, abiotischen Stress oder die Konkurrenz mit anderen Pflanzen. Dabei soll mithilfe von Felduntersuchungen und kontrollierten Umweltmanipulationen geklärt werden, ob die Funktionen von Genen zur Anpassung artspezifisch oder über Artgrenzen hinweg konserviert sind. (Universität Köln, Sprecherin: Professorin Dr. Juliette de Meaux; ebenfalls antragstellend: Universität Düsseldorf)

Sogenannte neutrophile Granulozyten sind die häufigsten zirkulierenden weißen Blutkörperchen im Menschen, denen hauptsächlich antimikrobielle Funktionen zugeschrieben wurden. Neuere Erkenntnisse zeigen jedoch, dass ihnen auch unterschätzte vielfältige Funktionen bei chronischen Entzündungen und bei der Tumorentwicklung zukommen. Der SFB/Transregio „Neutrophile Granulozyten: Entwicklung, Verhalten und Funktion“ will die Rolle von Neutrophilen in physiologischen und pathologischen Immunprozessen verstehen und für therapeutische Anwendungen nutzbar machen. Hierzu untersucht er, wie Signale im Gewebe die Produktion und die Funktion von Neutrophilen beeinflussen und wie die intrazelluläre Verarbeitung von Signalen die Neutrophilenfunktion reguliert. Langfristig soll so eine Brücke zur klinischen Anwendung geschlagen werden. (Universität Münster, Sprecher: Professor Dr. Oliver Söhnlein; ebenfalls antragstellend: Universität Duisburg-Essen, LMU München)

Bereits im November 2021 hatte die DFG die Förderung des ersten deutsch-österreichischen SFB/Transregio „Computergestütztes elektrisches Maschinenlabor: Thermische Modellierung, transiente Analysis, Geometriebeschreibung und robustes Design“ beschlossen. Die Entscheidung des österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) stand zunächst noch aus, ist aber Anfang 2022 erfolgt. Der SFB/Transregio widmet sich seit dem 1. März 2022 der Aufgabe, einen neuen integrierten Simulations- und Auslegungsansatz für die Entwicklung moderner elektrischer Antriebe zu erforschen. Dieser Ansatz soll von Anfang an alle wichtigen Aspekte einer Maschine berücksichtigen, etwa Form und Topologie, zeitabhängige Betriebszyklen, komplexes Materialverhalten, Unsicherheiten und Robustheit, neue Kühltechniken, um thermische Grenzen auszureizen, Lärm und Vibrationen sowie Leistungskennzahlen. (TU Darmstadt, Sprecher: Professor Dr. Sebastian Schöps; ebenfalls antragstellend: TU Graz, Österreich, Sprecherin: Professorin Dr. Annette Mütze)

Die für eine weitere Förderperiode verlängerten SFB
(in alphabetischer Reihenfolge ihrer Sprecherhochschulen, unter Nennung der Sprecherinnen und Sprecher sowie der weiteren antragstellenden Hochschulen und mit Verweisen auf die Projektbeschreibungen in der DFG-Internetdatenbank GEPRIS zur laufenden Förderung):

Weiterführende Informationen

Medienkontakt:

  • Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der DFG
    Tel. +49 228 885-2109

Weitere Informationen erteilen auch die Sprecherinnen und Sprecher der Sonderforschungsbereiche.

Ansprechpartnerin in der DFG-Geschäftsstelle:

Ausführliche Informationen zum Förderprogramm und zu den geförderten Sonderforschungsbereichen unter: