Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2020 geht an zwei Wissenschaftlerinnen und acht Wissenschaftler, die vom zuständigen Auswahlausschuss aus 114 Vorschlägen ausgewählt worden sind. Von den zehn Preisträger*innen kommen vier aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, drei aus den Lebenswissenschaften, einer aus den Naturwissenschaften und zwei aus den Ingenieurwissenschaften. Die Ausgezeichneten erhalten jeweils ein Preisgeld von 2,5 Millionen Euro.
Aufgrund der Coronavirus-Pandemie fand die Verleihung der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preise 2020 in diesem Jahr virtuell am 9. November statt. Ein Film stellt die Ausgezeichneten in Videoporträts vor und präsentiert die Laudationes und Grußworte.
Sehen Sie die Filmporträts der Preisträger*innen bei "DFG bewegt" auf YouTub.
Der Leibniz-Preis für Thorsten Bach würdigt dessen richtungsweisende Arbeiten auf dem Gebiet der Organischen Photochemie und insbesondere der lichtinduzierten enantioselektiven Katalyse. Die Organische Photochemie umfasst chemische Reaktionen und Molekülumwandlungen, die durch Licht gesteuert werden. Allerdings galt die Photochemie lange Zeit als grundsätzlich ungeeignet, um chirale Moleküle – also Verbindungen, die sich vom Aufbau her wie die linke zur rechten Hand verhalten – gezielt herzustellen. Mit seiner Forschung hat Bach gezeigt, dass dies möglich ist. Damit hat er ein neues, heute international als Photoredoxkatalyse bekanntes Forschungsgebiet eröffnet. Bach entwickelte zudem einen speziellen Katalysator, der zwischen zwei Enantiomeren unterscheiden kann und es somit ermöglicht, ein racemisches Gemisch selektiv in ein bestimmtes Enantiomer zu überführen. Derartige Deracemisierungsreaktionen sind mit anderen Methoden nicht erreichbar. Sie eröffnen neue Anwendungsfelder in vielen Bereichen der chemischen Synthese wie etwa der Arzneimittelherstellung.
Thorsten Bach studierte Chemie in Heidelberg und Los Angeles und wurde 1991 in Marburg promoviert. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an der Harvard University schloss er seine Habilitation 1996 in Münster ab. Kurze Zeit später folgte er einem Ruf nach Marburg, seit 2000 ist er Lehrstuhlinhaber an der TU München. Für seine Arbeiten erhielt Bach Auszeichnungen der Gesellschaft Deutscher Chemiker, 2015 einen ERC Advanced Grant. Er ist Mitglied der Leopoldina sowie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und engagierte sich zudem als Mitglied des DFG-Fachkollegiums Molekülchemie.
Baptiste Gault erhält den Leibniz-Preis für die Entwicklung neuer Techniken in der Atomsondentomografie. Diese ermöglichen sowohl die räumliche Auflösung auf der atomaren Skala als auch die Quantifizierung von Elementen und erlauben damit eine atomar aufgelöste, dreidimensionale Abbildung von Materialien mit komplexer Mikrostruktur. Bereits während seiner Promotion gelang es Gault, ultraschnelle Laserquellen in eine Atomsonde einzubauen. Dadurch konnten erstmals nicht mehr nur leitfähige Metalle, sondern auch isolierende Materialien, einschließlich Halbleitern, Keramiken und biologischem Material, auf atomarer Ebene charakterisiert werden. Durch weitere Arbeiten zum Einsatz gepulster Laser entwickelte Gault die Atomsondentomografie zu einem für alle Werkstoffe anwendbaren Verfahren, das Materialien atomar aufgelöst dreidimensional abbilden kann. Gaults international anerkannte Erneuerungen der Atomsondentomografie sind für eine Vielzahl von materialwissenschaftlichen Anwendungen von Bedeutung.
Baptiste Gault studierte Physik in Le Havre, Paris und Rouen. In Rouen verfasste er in der Groupe de Physique des Matériaux (GPM-CNRS) seine Dissertation. Danach führten Gault von 2007 bis 2015 Forschungsaufenthalte nach Sydney, Oxford und Hamilton, Kanada. Seit 2016 leitet er die Gruppe Atomsondentomografie am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf, 2018 wurde er mit einem ERC Consolidator Grant ausgezeichnet.
Für seine Standards setzenden kunstgeschichtlichen Arbeiten zur Goethe-Zeit, Romantik und zur Frühen Neuzeit erhält Johannes Grave den Leibniz-Preis. Ausgezeichnet wird er auch für seine interdisziplinär ausgreifende Perspektive, die die Kunstgeschichte insbesondere mit der Philosophie, den Literaturwissenschaften und der Begriffsgeschichte in neuer Weise verbindet. Graves Werk zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Vielfalt von Themen aus. So vermeidet er zum einen die Spezialisierung auf eine Periode oder ein Genre und hält zum anderen seine Arbeiten durch gemeinsame Orientierung an grundlegenden theoretischen und historischen Fragen zusammen. Graves besonderes Interesse gilt den Sichtweisen, ausgedrückt in Titeln seiner Buchpublikationen wie „Architekturen des Sehens” oder „Kunst des Betrachtens” sowie in jüngerer Zeit Aspekten der Zeitlichkeit im Bild. Seine Arbeiten bestimmen in vielen Bereichen – wie zur Renaissance und zur Klassik – international den Forschungsstand. In der Verbindung von Feinheit in der Analyse von Kunstwerken mit begrifflicher Durchdringung kunsttheoretischer Fragestellungen hat er der Kunstgeschichte neue Perspektiven eröffnet.
Sein breit angelegtes Studium in Kunstgeschichte, Mittellatein, Mittelalterlicher Geschichte und Philosophie absolvierte Johannes Grave an der Universität Freiburg. 2005 schloss er seine Promotion in Kunstgeschichte in Jena ab und habilitierte sich 2012 an der Universität Basel. Von 2009 bis 2012 war er zudem stellvertretender Direktor des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris. 2012 folgte Grave einem Ruf an die Universität Bielefeld, seit 2019 ist er Professor für Neuere Kunstgeschichte an der Universität Jena.
Mit Thomas Kaufmann wird einer der international bedeutendsten Reformationsforscher mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet. Sein umfangreiches und vielgestaltiges Werk zur Kirchengeschichte der Reformation und des Konfessionellen Zeitalters hat die Sicht auf die Person Martin Luthers, die komplexe weltgeschichtliche Bewegung der Reformation und die Herausbildung der Konfessionskirchen verändert. So hat er die genuin religiösen Motive im Prozess der Konfessionsbildung auf neue Weise zur Geltung gebracht, ohne zugleich die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verflechtungen außer Acht zu lassen. Nicht zuletzt hat Kaufmann die Reformationsepoche einem breiten Publikum nahegebracht, ohne sie anachronistisch zu verkürzen. Das gilt insbesondere für die historische Gestalt Martin Luthers und dessen Verhältnis zum Judentum. Kaufmanns Buch „Luther und die Juden“ (2014), das dessen Judenfeindlichkeit beschreibt, hat die öffentliche Debatte während des Reformationsjubiläums geprägt. Mit diesem und anderen Werken hat er wesentliche Beiträge nicht nur zur historischen Forschung, sondern auch zur interreligiösen Verständigung geleistet.
Thomas Kaufmann studierte Evangelische Theologie in Münster, Tübingen und Göttingen, wo er 1990 promoviert wurde und sich 1994 habilitierte. 1996 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Kirchengeschichte an die LMU München. Im Jahr 2000 kehrte er an die Universität Göttingen zurück und lehrt dort bis heute. Die Universität Oslo hat ihm 2017 die Ehrendoktorwürde verliehen. Seit 2017 ist Kaufmann zudem Mitglied des Auswahlausschusses Alexander von Humboldt-Professur sowie im Kuratorium der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. In der Selbstverwaltung der Wissenschaft engagierte er sich als Mitglied des DFG-Fachkollegiums Theologie.
Andrea Musacchio erhält den Leibniz-Preis für seine bahnbrechenden strukturbiologischen Arbeiten zu Mechanismen der Chromosomensegregation bei der Zellteilung. Musacchios Fokus liegt dabei auf der Struktur und Funktion des Kinetochors – einer äußerst komplexen Struktur, die bei der Zellteilung für die Verteilung der Chromosomen auf die Tochterzellen eine zentrale Funktion ausübt. Durch die Kombination von Strukturanalysen mit biochemischen und zellbiologischen Studien hat Musacchio grundlegende Einblicke in die Funktion und Regulation des Kinetochors gewonnen und so einen herausragenden Beitrag zum Verständnis der kritischen Phasen der Zellteilung geleistet. Ebenso wichtig war sein Beitrag zur Aufklärung der Regulation der Anheftung der Mikrotubuli an die Chromosomen: Er identifizierte einen entscheidenden Kontrollmechanismus, der sicherstellt, dass die Zellteilung so lange verzögert wird, bis alle Chromosomen angeheftet sind. Mit dem sogenannten Mad2-template-Modell schuf er die Grundlagen, um die Kontrolle dieses Schritts während der Zellteilung zu verstehen.
Nach seinem Studium der Biologie an der Universität Tor Vergata in Rom wurde Andrea Musacchio am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg promoviert. Als Postdoktorand ging er an die Harvard Medical School, ab 1998 leitete er eine Forschungsgruppe am European Institute of Oncology in Mailand. Seit 2011 ist Musacchio Direktor der Abteilung für Mechanistische Zellbiologie am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund sowie seit 2012 Honorarprofessor an der Universität Duisburg-Essen. Musacchio wurde 2009 als Mitglied der European Molecular Biology Organization (EMBO) gewählt. Er hat zwei ERC Advanced Grants erhalten (2009 und 2015) und wird 2020 den Vorsitz der Biomedizinischen Sektion der Max-Planck-Gesellschaft übernehmen.
Der Leibniz-Preis für Thomas Neumann zeichnet dessen international anerkannte Arbeiten zur effizienten Verwaltung und Analyse großer Datenmengen aus. Neumann entwickelte das Datenbanksystem HyPer mit einer ganzen Reihe von Neuerungen, die insbesondere die Nutzung großer Hauptspeicher und zahlreicher Rechnerkerne durch Datenbanksysteme ermöglicht. HyPer zeichnet sich zudem dadurch aus, dass es sowohl Transaktionsverarbeitung mit einem hohen Anteil von Datenänderungen als auch komplexe Datenauswertungen von großen Datenmengen beherrscht. Auf dieser Basis konnte HyPer die weltweit schnellsten konventionellen Datenbanksysteme schlagen. Das auch für Wirtschaft und Gesellschaft relevante Forschungsgebiet der hauptspeicherbasierten Datenbankenbanksysteme hat Neumann mit der Schaffung von HyPer neu ausgerichtet und zudem wichtige Impulse für die internationale Forschung geliefert. Dem Informatiker gelang nicht zuletzt der Transfer seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Wirtschaft: HyPer wurde über einen gleichnamigen Spin-off kommerzialisiert und mittlerweile vom Marktführer für schnelle interaktive Datenauswertung, Tableau Software, übernommen.
Thomas Neumann wurde 2005 in Mannheim im Fach Informatik promoviert, wo er zuvor auch sein Studium der Wirtschaftsinformatik absolviert hatte. Nachfolgend war er als Senior Researcher am Max-Planck-Institut für Informatik in Saarbrücken tätig und habilitierte sich an der Universität des Saarlandes. 2010 wurde er an die TU München berufen und hat dort seit 2017 eine W3-Professur für Datenbanksysteme inne. Neumanns Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt er 2014 den „VLDB (Very Large Data Bases) Early Career Research Contribution Award“. Im Jahr 2016 wurde er mit einem ERC Consolidator Grant ausgezeichnet.
Marco Prinz erhält den Leibniz-Preis für seine herausragenden Arbeiten auf dem Gebiet der Neuroimmunologie, die zu einem grundlegend neuen Verständnis der Immunantwort im Gehirn geführt haben. Er hat wegweisende Beiträge zur Rolle des angeborenen Immunsystems im zentralen Nervensystem geleistet. Seine Entdeckungen haben das bisherige Bild einer überaus heterogenen Population von Immunzellen im Gehirn in Richtung distinkter Zelltypen und Signalwege präzisiert. Diese bestimmen entscheidend die Prozesse der Homöostase sowie von Entzündungsreaktionen. Sie sind damit für die Hirnentwicklung, für die Ursachen für das Entstehen von Krankheiten und den Verlauf entzündlicher und neurodegenerativer Erkrankungen von kritischer Bedeutung. Prinz’ innovative methodische Ansätze beeinflussen die Immunologie und die Neurowissenschaft weit über das eigene Forschungsfeld hinaus. Sie weisen den Weg zu neuen Behandlungsmöglichkeiten entzündlicher und neurodegenerativer Erkrankungen im Zentralnervensystem.
Marco Prinz studierte Medizin an der HU Berlin, wo er auch promoviert wurde. Nach Postdoc-Aufenthalten am Max-Delbrück-Centrum, dem Universitätsspital Zürich und an der Universität Göttingen folgte Prinz 2008 einem Ruf als Professor und Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie an das Uniklinikum Freiburg. Er war Co-Sprecher der DFG-Forschungsgruppe „Brain Macrophages“ (2010-2015) und ist Sprecher des SFB/Transregio „NeuroMac“ (seit 2017). Prinz wurde 2015 mit einem Reinhart Koselleck-Projekt der DFG und 2018 mit dem Ernst Jung-Preis für Medizin ausgezeichnet.
Mit dem Leibniz-Preis wird Markus Reichstein für seine Beiträge in der datengetriebenen Forschung zur Verbindung von Klima und Biosphäre sowie insbesondere zur Wechselwirkung von terrestrischen Kohlenstoff- und Wasserkreisläufen ausgezeichnet. Reichstein gelang es durch die Entwicklung dichter Monitoring-Verfahren und Analysen, erstmals die Rückkopplungen der Kohlenstoff- und Wasserkreisläufe untereinander und mit dem Klima zu entschlüsseln. Diese fundamentalen Erkenntnisse legen den Grundstein, diese Stoffflüsse auf der Erde nicht nur digital zu erfassen, sondern auch verlässlich vorherzusagen. Reichstein konnte zudem aufklären, wie klimatische Extremereignisse mit den Kohlenstoff- und Wasserflüssen interagieren und damit wiederum auf das Klima zurückwirken. Reichsteins Arbeiten ermöglichen es nun, Datennetze und Datenlücken über Stoffflüsse unseres Planeten weiter zu schließen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um die wechselseitigen Einflüsse von Klimawandel und Ökosystemen über Erdsystemmodellierungen vorhersagen zu können.
Markus Reichstein studierte Landschaftsökologie sowie Botanik, Chemie und Informatik in Münster und promovierte 2001 in Bayreuth, wo er zwei weitere Jahre als Wissenschaftlicher Assistent arbeitete. 2003 bis 2006 forschte er als Marie-Curie-Research Fellow am Forest Ecology Lab der Universität Tuscia in Italien. Ab 2006 leitete er eine Gruppe am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, dort wurde er 2012 zum Direktor berufen. Seit 2014 ist er zudem Professor für Globale Geoökologie an der Universität Jena. Reichstein erhielt mehrere Preise, unter anderem den American Geophysical Union Piers J. Sellers Global Environmental Change Mid-Career Award 2018, den Max Planck-Forschungspreis 2013 und einen ERC Starting Grant.
Dagmar Schäfer erhält den Leibniz-Preis für ihre bahnbrechenden Beiträge zu einer umfassenden, globalen und vergleichenden Geschichte von Technik und Wissenschaft. Ihre Arbeiten zu China haben ein neues Licht auf die vom Westen aus diagnostizierte angebliche Stagnation der dortigen Wissensentwicklung geworfen und neue Perspektiven eröffnet für eine Globalgeschichte seit der Periode, die man aus europäischer Sicht „frühe Neuzeit” nennt. Von besonderer Bedeutung sind zwei Werke zu Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik in China während der Ming-Epoche. Mit „Des Kaisers seidene Kleider. Staatliche Seidenmanufakturen in der Ming-Zeit (1368–1644)“, 1998 erschienen, legte Schäfer die Grundlagen für einen Ansatz, in dem Wissens- und Handlungsformen sowohl in ihrem historischen und kulturellen Kontext als auch in den alltäglichen Praktiken untersucht werden. Der Band „The Crafting of the 10,000 Things: Knowledge and Technology in 17th-century China” (2011) entfaltete diese Perspektive. Die Studie war zugleich von grundlegender Bedeutung für die Globalgeschichte, da sie chinesische und europäische Entwicklungen im 17. Jahrhundert ausgewogener miteinander in Beziehung setzte. Damit entwickelte Schäfer neue, im weiten Sinne kulturwissenschaftliche Ansätze und eröffnete so auch vergleichende Perspektiven zu einer umfassenden Globalgeschichte.
Dagmar Schäfer studierte Sinologie, Japanologie und Politikwissenschaften in Würzburg, wo sie 1996 promoviert wurde und sich im Jahr 2005 habilitierte. Sie übernahm 2006 die Leitung einer unabhängigen Forschungsgruppe zur Wissenschafts- und Technikgeschichte Chinas am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und wechselte 2011 auf den Lehrstuhl für China-Studien und Technikgeschichte an der Universität Manchester. 2013 kehrte sie als Direktorin der Abteilung „Artifacts, Action, Knowledge” an das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte zurück.
Juliane Vogel erhält den Leibniz-Preis für Arbeiten, die in historischer und systematischer Hinsicht Maßstäbe setzen für eine kulturwissenschaftlich inspirierte und hermeneutisch ausgerichtete Literatur- und Theaterwissenschaft mit internationaler Ausstrahlung. Vogel hat mit ihren zahlreichen Büchern und Aufsätzen – insbesondere zur deutschsprachigen und vor allem der österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts – Grenzen der theoretischen und methodischen Orientierung, der kultur- und literaturgeschichtlichen Gegenstandsbereiche und der disziplinären Festlegungen überschritten. So analysierte sie Verfahren der symbolischen Performanz, des „Auftritts“ und der „großen Szene“ aus der Geschichte und Systematik von Dramentext und Theateraufführung heraus und bezog zugleich die Bildkunst und die Geschichte der Mode mit ein. Auf diese Weise legte sie auch die Mechanismen politischer Inszenierungen und Narrative offen. In ihrer dramengeschichtlichen Habilitationsschrift „Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der großen Szene in der Tragödie des 19. Jahrhunderts“ (2001) gelang es Vogel, Darstellungen von Weiblichkeit, Macht und Marginalisierung in Verbindung ästhetischer, sozial- und rechtsgeschichtlicher sowie psychologischer Zugänge herauszuarbeiten.
Nach dem Studium der Germanistik und Anglistik in Wien und Freiburg absolvierte Juliane Vogel ihre Promotion und Habilitation in Wien. 2007 wurde sie an die Universität Konstanz berufen. Vogel hat in Wien, Berlin, München, Berkeley, Princeton, Chicago und an der Johns Hopkins Universität in Baltimore geforscht und gelehrt. Von 2013 bis 2019 war sie Mitglied im Vorstand des Konstanzer Exzellenzclusters „Kulturelle Grundlagen von Integration“, 2018 war sie Fellow in der DFG-geförderten Kolleg-Forschungsgruppe „BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik“ der FU Berlin. Von 2018 bis 2019 forschte sie als Fellow am Wissenschaftskolleg.