Der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis 2003 geht an eine Wissenschaftlerin und zehn Wissenschaftler. Sie sind aus 98 Vorschlägen ausgewählt worden. Der mit 1,55 Millionen Euro dotierte Preis wurde am 17. Februar 2003 in Berlin verliehen. Er zeichnet hervorragende Wissenschaftler*innen für herausragende wissenschaftliche Leistungen aus.
Die wissenschaftliche Laufbahn von Winfried Denk ist die eines Grenzgängers. Er begann als Physiker und dürfte jetzt den meisten als Neurobiologe gelten. Seine wissenschaftliche Pioniertat ist die Entwicklung der 2-Photonenmikroskopie zusammen mit W.W. Webb. Dieses Verfahren beruht darauf, die Phasenkohärenz von Laserlicht zu nutzen, um im Kreuzungspunkt zweier kohärenter Strahlen eine doppelte Ausbeute von Photonenenergie zu erhalten. Dies macht es möglich, langwelliges Licht zu verwenden, um Fluoreszenzeffekte zu erzielen, die sonst nur mit sehr viel höherer Energie, also kurzwelligerem Licht, auszulösen sind. Dieses Verfahren bietet Vorteile, die sich vor allem bei der Untersuchung biologischer Strukturen mit großem Gewinn ausnützen lassen. Winfried Denk hat die Vorteile dieses von ihm entwickelten Verfahrens sehr bald zur Lösung biologischer Fragestellungen angewandt. Sein Interesse konzentrierte sich bald auf die Integrationsleistungen von Nervenzellen. Inzwischen hat Winfried Denk sein Verfahren soweit miniaturisiert, dass eine Anwendung am freibeweglichen Tier in greifbare Nähe rückt. Für die Hirnforschung erschließen sich hier völlig neue Zugänge.
Winfried Denk ist derzeit wissenschaftliches Mitglied und Direktor der Abteilung Biomedizinische Optik am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg. Er studierte Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und an der Eidgenössisch-Technischen Hochschule in Zürich. Nach Fortsetzung seines Studiums an der Cornell University in lthaca promovierte er 1989 im Labor von Professor W.W. Webb. Nach einer Postdoktorandenzeit im IBM-Forschungslabor in Rueschlikon wechselte zurück in die USA an die Bell Laboratories in Murray Hill, bis er den Ruf in die Max-Planck-Gesellschaft erhielt.
Mit Hélène Esnault und Eckart Viehweg erhält erstmals ein Ehepaar einen Leibniz-Preis für gemeinsame wissenschaftliche Arbeit. Sie arbeiten seit über 20 Jahren zusammen und haben in dieser Zeit rund 25 substantielle gemeinsame Veröffentlichungen verfasst. Ihr wissenschaftliches Hauptwerk ist eine gemeinsame Leistung, für die sie zusammen mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet werden.
Hélène Esnault und Eckart Viehweg haben zentrale Ergebnisse im Bereich der Algebraischen und Arithmetischen Geometrie erzielt. Die Objekte, die in diesem Gebiet studiert werden, sind Lösungsmengen von Gleichungen; genauer, die Nullstellengebilde von Polynomen. Einfachste Beispiele solcher Objekte sind Kurven (wie etwa Kreise oder Geraden) und Flächen (wie die Erdoberfläche), die überall in der Natur auftreten. Esnault und Viehweg klassifizieren diese Objekte nach ihren Eigenschaften, ein mathematisch höchst anspruchvolles Problem. Die Stärke ihrer Arbeiten liegt in der Verallgemeinerung klassischer Methoden auf höchst abstrakte Weise, ohne dabei den Bezug zu wichtigen Anwendungen auf klassische Probleme in Differentialgleichungen und Zahlentheorie zu verlieren.
Hélène Esnault, geboren in Paris, hat dort Mathematik studiert und folgte nach einer Zwischenstation als Heisenberg-Stipendiatin der DFG am Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn 1990 einem Ruf auf eine C4-Professur an die Universität Essen. Eckart Viehweg studierte in Heidelberg. Nach kurzer Assistentenzeit in Mannheim war er Heisenberg-Stipendiat der DFG und folgte 1984 dem Ruf auf eine C4-Professur an die Universität Essen.
Mit Gerhard Huisken zeichnet die Deutsche Forschungsgemeinschaft einen internationalen Spitzenforscher aus, der im Überschneidungsgebiet zwischen reiner Mathematik und theoretischer Physik arbeitet. Seine mathematischen Forschungsthemen sind die Analysis und die Differentialgeometrie; in der Physik hat er insbesondere herausragende Beiträge zur allgemeinen Relativitätstheorie geleistet. Ein zentrales Problem im Werk von Gerhard Huisken ist die Entwicklung der Form von Flächen im Zeitverlauf, das heißt, er untersucht die Deformation von Flächen, wobei die Regeln dieser Deformation durch die eigene Geometrie der Flächen bestimmt werden. Herr Huisken hat diesen Forschungszweig Mitte der 80er Jahre durch seine Arbeiten über den sogenannten mittleren Krümmungsfluss mitbegründet. Er steht in diesem Gebiet seitdem kontinuierlich an der vordersten Forschungsfront. Die von Gerhard Huisken entwickelte Theorie der Evolution von Flächen führt nicht nur zum Verständnis von Vorgängen, die in der Zeit ablaufen, sie kann auch zur Konstruktion von mathematischen und physikalischen Objekten genutzt werden.
Gerhard Huisken promovierte 1983 in Mathematik an der Universität Heidelberg. Drei Jahre später folgte die Habilitation. Von 1986 bis 1991 arbeitete er an der Universität Canberra in Australien. Gerhard Huisken hat Rufe an viele bedeutende Institutionen, wie die ETH Zürich, Princeton University und Harvard University erhalten. Derzeit ist er Direktor am Albert-Einstein-Institut für Gravitationsphysik der Max-Planck-Gesellschaft in Golm, einem Stadtteil von Potsdam.
Rupert Klein gilt in Deutschland als der führende theoretische Strömungsmechaniker. Seine Forschungsarbeiten werden im Ingenieurwesen wie auch in der angewandten und numerischen Mathematik außerordentlich geschätzt. Von seinen gegenwärtigen Arbeitsschwerpunkten in Potsdam ist die Herleitung völlig neuartiger Mehrskalen-Modelle für die tropische Meteorologie hervorzuheben. Diese Modelle beschreiben die Wechselwirkung mesoskaliger Wolkenbildung und Konvektion mit Gravitations- und Schwerewellen. Dies kann für die Wettervorhersage und Klimaforschung wichtig sein. In der Atmosphäre spielen das hydrostatische und geostrophische Gleichgewicht je nach betrachteten Längenskalen eine zentrale Rolle. Für die Wettervorhersage interessieren aber die Abweichungen von diesen Gleichgewichten.
Rupert Klein studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen in der Vertiefungsrichtung ,,Grundlagen des Maschinenbaus". Promoviert wurde er 1988 über das Thema "Stoßinduzierte Zündung und der Übergang zur Detonation in engen Spalten". Die in der Dissertation begonnenen Studien setzte Rupert Klein in Princeton fort, wo er mit einem DFG- Forschungsstipendium über Ausbreitungsvorgänge von Detonationswellen weiter arbeitete. 1990 kehrte Rupert Klein an das Institut für Technische Mechanik nach Aachen zurück; 1997 folgte er einem gemeinsamen Ruf der FU Berlin und des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung. Rufe nach Princeton, an die Johns Hopkins University in Baltimore sowie an die ETH Zürich lehnte er ab.
Albrecht Koschorke gilt als außergewöhnlich innovativer und produktiver Forscher, der die aktuellen Debatten in den Kulturwissenschaften nicht nur wesentlich mitgeprägt, sondern zum Teil überhaupt erst angestoßen und in Gang gesetzt hat. Seine Arbeiten decken historisch, thematisch wie methodisch ein ungewöhnlich breites Spektrum ab. Dabei kommt eine Vielzahl theoretischer und methodischer Ansätze zum Einsatz: aus der Literaturwissenschaft, Medizingeschichte, Geschichte, Soziologie, Psychoanalyse, Medientheorie. Grundlegend für das wissenschaftliche Werk Albrecht Koschorkes ist die Frage, wie soziale Strukturen, medizinische Menschenbilder, ökonomische Systeme, technische und mediale Erfindungen, Wahrnehmungsmöglichkeiten und Imaginationen miteinander verknüpft sind, wie Körper und Literatur aufeinander bezogen sind. Albrecht Koschorke ist überdies ein begabter Wissenschaftskommunikator und ein akademischer Lehrer, der vor allem Nachwuchswissenschaftler immer wieder zu eigener innovativer Forschung inspiriert und motiviert.
Albrecht Koschorke studierte Neuere Deutsche Literaturwissenschaft, Philosophie, Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaft und Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach der Promotion habilitierte er sich an der FU Berlin. Seit dem Sommersemester 2001 ist er C4-Professor für Deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz.
Roland Lill hat bei seinen Untersuchungen auf dem intensiv bearbeiteten Feld der Mitochondrien-Biogenese eine völlig neue Facette der Mitochondrien-Funktion aufgedeckt. Mit seiner Arbeitsgruppe fand er heraus, dass die Mitochondrien für die Bildung der sogenannten Eisen-Schwefel-Proteine lebensnotwendig sind. Die ursprünglich an Hefen durchgeführten Untersuchungen deckten ein Dutzend mitochondrialer Proteine auf, die für die Biogenese von Eisen-Schwefel-Zentren in Eiweißen der gesamten Zelle von Bedeutung sind. Mutationen in den entsprechenden Transportproteinen beim Menschen sind bereits als Ursachen zweier genetisch bedingter Krankheiten bekannt. Roland Lill hat durch diese Entdeckung ein völlig neues Teilgebiet der Zellbiologie eröffnet und ein überzeugendes Beispiel für die Bedeutung von Modellorganismen in den Biowissenschaften geliefert.
Roland Lill studierte Chemie in Ulm und München, promovierte in Biochemie und war nach einer zweijährigen Postdoktorandenzeit an der University of California in Los Angeles von 1990 bis 1995 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Physiologische Chemie an der Universität München. Seit 1996 hat Roland Lill eine C3-Professur, seit 2002 eine C4-Professur am Institut für Klinische Zytobiologie und Zytopathologie an der Philipps-Universität Marburg inne.
Mit dem Namen Christof Niehrs sind international viel beachtete Antworten auf zentrale Fragen der Entwicklungsbiologie verknüpft. Sie haben die Grundlage dafür gelegt, zusammen mit dem Wissen um die zugrundeliegenden Genome, in Zukunft Beiträge zu noch ungelösten Fragen, wie der nach Form und Größe in der Biologie, anzugehen. Christof Niehrs hat sich auf drei Arbeitsgebieten einen Namen gemacht:
Zu Untersuchungen der Mesodermbildung in Amphibien (Xenopus) hat er einen Genexpressions-Screen für die Analyse der Genaktivität in Xenopus Embryonen entwickelt. Dabei wurden eine Reihe von Kontrollgenen identifiziert, die in der Embryonalentwicklung eine Rolle spielen.
Ein zweiter Arbeitsschwerpunkt liegt in der Funktion des Spemann'schen Organisators, eines Stück Gewebes aus dem Amphibien Embryo, das die Potenz besitzt, nach Transplantation einen ganzen neuen Embryo zu induzieren.
Seine vielleicht spektakulärsten Arbeiten hat Christof Niehrs zum Mechanismus der embryonalen Kopfentwicklung vorgelegt und damit zur Lösung eines Problems beigetragen, das schon in den Spemann'schen Arbeiten eine zentrale Rolle spielte.
Christof Niehrs studierte Biochemie an der Freien Universität Berlin. Nach der Promotion wechselte er als Postdoktorand an die University of California in Los Angeles. Seit 1994 erfolgte der Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Nach seiner Habilitation 1997 erhielt er im Alter von 36 Jahren einen Ruf auf eine C4-Professur für Biochemie an der Universität Bochum. Es folgte ein Ruf an die Universität Karlsruhe und das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg.
Ferdi Schüth gilt als äußerst kreativer und vielseitiger junger Wissenschaftler, mit fachlicher Neugier und großem Gespür für praxisrelevante Fragestellungen. Er ist im breiten Gebiet der Chemie beheimatet. Sein zentrales Interesse gilt der Synthese von Feststoffen mit gezielt einstellbaren Eigenschaften bzw. Funktionen, insbesondere im Hinblick auf deren Einsatz für katalytische Reaktionen. Einen besonderen Schwerpunkt bilden seine Untersuchungen zur Darstellung, Struktur und Funktionalität geordneter mesoporöser Festkörper. Hier hat Ferdi Schüth wesentliche Beiträge zur Steuerung der Morphologie dieser neuartigen Materialien geliefert und bereits viel beachtete katalytische Anwendungen aufgezeigt.
Seit langem beschäftigt sich Ferdi Schüth mit der zentralen Frage nach den Elementarschritten bei der Teilchenbildung aus Lösung. Die Kristallbildung aus Lösung ist einer der wichtigsten Prozesse bei der Herstellung von Festkörpern; das Ziel ist es, die maßgeschneiderten Produkte bereits bei der Kristallisation zu erhalten.
Ferdi Schüth studierte Chemie an der Universität Münster, wo er 1988 mit einer Arbeit in Physikalischer Chemie promovierte. Gegen Ende seines Diplomstudiums widmete er sich zusätzlich dem Jurastudium, das er Anfang 1989 mit dem ersten Staatsexamen abschloss. Postdoc-Erfahrung sammelte er an der University of Minneapolis. Nach der Rückkehr nach Deutschland arbeitete er an der Universität Mainz, unterbrochen durch eine Gastprofessur an der University of California in Santa Barbara und habilitierte sich im Februar 1995 in Mainz für das Fach Anorganische Chemie. Noch vor seinem 35. Geburtstag erhielt er einen Ruf als C4-Professor an die Universität Frankfurt; bereits drei Jahre später wurde er zum wissenschaftlichen Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim berufen.
Hans-Peter Seidel gilt als ein herausragender dynamischer Wissenschaftler, der aufgrund seiner bahnbrechenden wissenschaftlichen Beiträge national und international höchste Anerkennung genießt. So wurde er im Jahre 2001 in das ACM-Siggraph-Award-Commitee berufen, ein Gremium, das lediglich aus sechs Mitgliedern besteht (mit Seidel als einzigem nicht-amerikanischem Mitglied) und das gemeinhin als "Olymp" der Computergraphik gilt. Ein wichtiges Charakteristikum der Arbeiten von Hans-Peter Seidel ist die Entwicklung neuer Algorithmen unter enger Verzahnung mit den Möglichkeiten und Perspektiven moderner Graphikhardware sowie die durchgängige Betrachtung der gesamten Verarbeitungskette von der Datenakquisition über die Modellierung bis zur Bildsynthese. Inzwischen wurde für diese integrierte Sichtweise der Begriff der 3D-Bildsynthese und -analyse geprägt.
Den 1992 neu gegründeten Lehrstuhl für Graphische Datenverarbeitung in Erlangen hat Hans- Peter Seidel aus dem Nichts heraus aufgebaut und in wenigen Jahren zur Weltspitze geführt. Als stellvertretender Sprecher war er maßgeblich am Graduiertenkolleg "3D-Bildsynthese und -analyse" sowie am Sonderforschungsbereich ,,Modellbasierte Analyse und Visualisierung komplexer Szenen und Sensordaten" beteiligt.
Hans-Peter Seidel studierte Mathematik, Physik und Informatik in Tübingen; er promovierte 1987 in Mathematik und habilitierte sich 1989 in Informatik. Seit 1999 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für Informatik und Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.
Hubert Wolf hat sich in kurzer Zeit als führender katholischer Kirchenhistoriker etabliert. Er gilt als der herausragende Vertreter einer jüngeren Generation von Kirchenhistorikern, die ihr Fach aus dem engeren disziplinären Ghetto herausgeführt und in größere interdisziplinäre Zusammenhänge der Politik- und Wissenschaftsgeschichte eingebunden haben. Zu den herausragenden Charakteristika der Arbeiten von Hubert Wolf gehört es, die enormen Quellenmengen der neueren Zeit zu ordnen und effektiv auszuwerten. Als Glücksfall für die Wissenschaft erwies sich, dass er bereits seit 1992 Zutritt zu den Archiven der Inquisition und päpstlichen Indexkongregation hatte und nach der offiziellen Öffnung der Archive 1999 in den international besetzten wissenschaftlichen Beirat des Archivs der Römischen Glaubenskongregation berufen wurde. Mit der Auswertung dieser Archive, die von der DFG in einem Langzeitprojekt gefördert wird, ist die wissenschaftliche Produktion von Hubert Wolf geradezu explodiert.
Hubert Wolf ist über seine wissenschaftlichen Erfolge hinaus ein anerkannter Wissenschaftskommunikator, der sich in zahlreichen Beiträgen in Zeitungen und Zeitschriften, in Hörfunk und Fernsehen zu Wort gemeldet hat. Darüber hinaus gilt er als begabter akademischer Lehrer und Inspirator für Nachwuchswissenschaftler.
Hubert Wolf studierte Katholische Theologie an den Universitäten Tübingen und München, wurde 1995 zum Priester geweiht und 1990 zum Dr. theol. promoviert. Bereits anderthalb Jahre später habilitierte er sich in Tübingen für das Fach Mittlere und Neuere Kirchengeschichte. Im Dezember 1991 erhielt er seinen ersten Ruf auf die C4-Professur für Kirchengeschichte der Universität Frankfurt. Es folgten abgelehnte Rufe nach Wien, Köln und Tübingen sowie der im Mai 2000 angenommene Ruf nach Münster.