Vom 13. bis 15. Juli haben sich zum 17. Mal gut 120 Geförderte und Alumni des Emmy Noether-Programms im Seminaris See-Hotel in Potsdam getroffen und die Gelegenheit zu Austausch und Vernetzung genutzt; rund 20 Mitglieder der DFG-Geschäftsstelle beantworteten offene Fragen. Außerdem waren Vertreterinnen und Vertreter anderer Förderorganisationen vor Ort. Zum Auftakt ermöglichte das Speed-Dating den „Emmys“, neue Kontakte zu knüpfen und die anderen Anwesenden und deren Forschung kennenzulernen.
Neben dem wissenschaftspolitischen Abend, der in diesem Jahr die Facetten von Wissenschaft als Beruf adressierte, und der traditionellen Emmy Noether Lecture am Samstag – diesmal zu Kontinuumsrobotik – gaben zahlreiche Workshops, die teilweise die Teilnehmerinnen und Teilnehmer initiiert und organisiert hatten, im Laufe des Wochenendes Gelegenheit zum Austausch über vielfältige Themen: von „Do’s and Don’ts beim Vorsingen“ oder den „ersten 100 Tagen als Professor/-in“ über die erste eigene Begutachtung bis hin zu „Wie funktioniert die DFG?“.
Die Emmy Noether Lecture von Professorin Dr. Jessica Burgner-Kahrs am Samstagabend war ein hervorragend gelungenes Beispiel dafür, wie sich ein komplexes wissenschaftliches Thema fachfernen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Laien anschaulich vermitteln lässt. Unter dem Titel „Von Rüsseln und Zungen – Roboter kontinuierlich weitergedacht“ berichtete sie aus ihrer Forschung der Kontinuumsrobotik, die sich mit besonderen Robotern befasst, nämlich solchen ohne Gelenke. Die meisten Menschen denken wohl an aus Hollywood-Filmen bekannte Roboter wie Eve oder Wall-E, wenn sie das Wort „Roboter“ hören. Oder an mobile Maschinen wie Staubsaugerroboter, vielleicht auch an Medizinroboter aus dem Operationssaal. Burgner-Kahrs berichtete, dass sie beim Wort „Roboter“ an etwas ganz Anderes denke: nämlich an Elefanten.
Als Wissenschaftlerin fasziniert sie insbesondere der Elefantenrüssel. Dieser sei ebenso beweglich wie multifunktional und mit diesem Körperteil, das keine Knochen oder Gelenke hat, können Elefanten unter anderem riechen, greifen und zufassen. Rüssel sind biegbar und ausfahrbar. Und auch eine andere Inspirationsquelle von Burgner-Kahrs ist in der Tierwelt zu finden: die Zungen von Ameisenbären. Roboter diesen Vorbildern nachzuempfinden, ist das Forschungsfeld von Burgner-Kahrs. Denn sie arbeitet – auch schon in ihrer Emmy Noether-Gruppe – an gelenklosen Roboter, die da zum Einsatz kommen, wo Gelenkroboter scheitern. In ihrem Vortrag stellte sie die Anfänge der Forschung an Maschinen aus flexiblem Material, auch „soften“ Roboter genannt, vor. Der erste wurde 1965 in Stanford gebaut, und seit 2010 sind Kontinuumsroboter kommerziell erhältlich. Doch noch sind sie einerseits zu schwach – sie können nur wenige Kilo heben – und zu groß dimensioniert für die kleinteiligen Aufgaben, die Jessica Burgner-Kahrs im Sinn hat.
Sie sieht Einsatzmöglichkeiten für Kontinuumsroboter an Stellen, die für den Menschen nicht gut erreichbar sind. Momentan arbeitet sie beispielsweise an einem Projekt zum Einsatz bei der Wartung von Flugzeugtriebwerken. Großes Potenzial sieht sie aber insbesondere in der minimalinvasiven Chirurgie. Kontinuumsroboter könnten zum Beispiel bei der Behandlung von Schlaganfällen zum Einsatz kommen – zum Absaugen des Gerinnsels im Gehirn eines Patienten ganz ohne einen Schnitt von außen. Zu den Innovationen aus dem Labor von Burgner-Kahrs an der Leibniz-Universität in Hannover gehören Roboter, die dank „Schuppen“ aus Papier zwischen dem flexiblen und dem starren Zustand wechseln können – hier gibt es mit Schlangen und Schuppentieren wiederum Vorbilder aus der Fauna. Außerdem geht es ihr um eine weitere Miniaturisierung der kleinen Helfer, die sich in Medizin und Technik, vielleicht sogar autonom, überall dahin winden könnten, wo es für den Menschen hilfreich ist.
Jessica Burgner-Kahrs gab mit ihrem Vortrag beim Emmy Noether-Jahrestreffen 2018 gewissermaßen eine „Abschiedsvorstellung“ – im Frühjahr folgt sie einem Ruf auf eine unbefristete Professur an die Universität von Toronto.
Unter dem Titel „Was bedeutet es heutzutage, Wissenschaftler/-in zu sein?“ diskutierten am Freitagabend Professorin Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla (Präsidentin der TU Braunschweig), Professorin Dr. Brigitte Vollmar (Direktorin des Rudolf-Zenker-Instituts für Experimentelle Chirurgie der Universität Rostock und Vorsitzende der DFG-Senatskommission für tierexperimentelle Forschung) sowie DFG-Präsident Professor Dr. Peter Strohschneider. Auf dem Podium ermöglichten zwei freie Stühle den Emmy Noether-Geförderten, sich in die von Cornelia Lossau (DFG) moderierte Diskussion direkt einzubringen. Max Webers 101 Jahre alter Text „Wissenschaft als Beruf“ diente als Anregung zum Gedankenaustausch.
Weber nutzte darin ein eher abschreckendes Vokabular zur Beschreibung des Berufs in der Wissenschaft: „Es ist außerordentlich gewagt, sich den Bedingungen der akademischen Laufbahn auszusetzen.“ oder „Das akademische Leben ist ein wilder Hazard.“. Strohschneider präzisierte, dass Weber sich damit auf die seinerzeit riskante Privatdozentenphase bezog, die heutige Prekarisierung des akademischen Mittelbaus aber ebenfalls ein soziales Risiko für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedeute. Kaysser-Pyzalla gab zu bedenken, dass auch eine Karriere in der freien Wirtschaft ihre Unwägbarkeiten habe. Alle drei Podiumsgäste hoben jedoch hervor, wie spannend der Beruf „Wissenschaft“ sei – auch aufgrund der vielfältigen Aufgaben, zu denen Forschung und Lehre ebenso gehörten wie der Kontakt zur Politik oder Öffentlichkeitsarbeit. Bei einer spontanen Umfrage zeigte sich, dass auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Publikum Wissenschaft mit Leidenschaft betreiben.
Max Webers These „Man sagt, Politik gehört nicht in den Hörsaal.“ war Ausgangspunkt für den weiteren Meinungsaustausch. Kaysser-Pyzalla wies darauf hin, dass Wissenschaft nicht nur Forschung sei, sondern auch Lehre: „In der Lehre kommt die Politik in den Hörsaal, wenn wir für eine weltoffene Hochschule kämpfen. Eine solche ist daher nie unpolitisch.“ Das gelte auch für die wissenschaftliche Selbstverwaltung. Vollmar ermunterte die Anwesenden, auch Aufgaben über Forschung und Lehre hinaus zu übernehmen: „Wenn wir an unseren Strukturen etwas ändern wollen, müssen wir uns in Gremien engagieren.“ Strohschneider betonte, dass Wissenschaft, entgegen Webers Position, keinesfalls wertfrei sei: Wissenschaftliche Werte seien beispielsweise eine saubere Methodik oder das Geltenlassen von Argumenten. „Politik im Sinne von Herstellung von allgemeingültigen Entscheidungen gehört nicht in den Hörsaal und insofern hat Weber Recht“, fügte er aber hinzu.
Die Debatte drehte sich außerdem um die Frage nach dem Sinn der Wissenschaft und ihrem Verhältnis zur Öffentlichkeit. Strohschneider fasste die Funktion der DFG im diversen deutschen Fördersystem zusammen: „Wir fördern Forschungsanträge nach der Qualität, nicht nach ihrem außerwissenschaftlichen Zweck.“ Allerdings werde Wissenschaft mit Steuermitteln finanziert. Hieraus sei – insbesondere in den vergangenen Jahren – ein wachsender Rechtfertigungsdruck auf die Wissenschaftscommunity entstanden. Der medial-öffentliche Druck erstrecke sich dabei nicht nur auf den Einsatz des Geldes, sondern auch auf die konkreten Forschungsinhalte. Hiervon ist insbesondere auch die tierexperimentelle Forschung betroffen. Vollmar stellte in ihrer Rolle als Vorsitzende der DFG-Senatskommission für tierexperimentelle Forschung fest, dass die Forschung durch modernere und genauere Regularien eindeutig verbessert worden sei. Gleichzeitig aber hinterfrage die Öffentlichkeit Tierversuche jedoch stärker. In diesem Kontext zeigte sich auch ein Emmy Noether-Geförderter aus der Biologie besorgt über die Ambitionen der EU, tierexperimentelle Forschung noch stärker zu regulieren und eventuell irgendwann ganz zu verbieten, ohne dass es adäquate Ersatzexperimente gibt. Vollmar warb für die Wissenschaftskommunikation: „Wir müssen objektiv und mit konkreten Beispielen Ängste ausräumen.“ Strohschneider fügte hinzu: „Forschung hat Grenzen und muss sie haben. Die Gesellschaft muss diese Grenzen wissenschaftlich informiert, nicht durch die Wissenschaft entschieden, definieren.“ Nach der Diskussion, in die die Geförderten mehrfach Gedanken und Anstöße einbrachten, ging der Austausch beim Empfang weiter.
Um förderpolitische Themen ging es unter dem Titel „Aktuelles aus der DFG“. Mehrere Mitglieder der Geschäftsstelle berichteten über die jüngsten Aktivitäten. So erhielten die Emmy Noether-Geförderten Informationen über den aktuellen Stand der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder, zum neuen, qualitativen Gleichstellungskonzept der DFG und zum kürzlich erschienenen Förderatlas 2018. Weitere Themen waren die Evaluation des Heinz Maier-Leibnitz-Preises sowie die Studie zur Beteiligung der sogenannten Kleinen Fächer.
Auf besonders großes Interesse stieß der Bericht zum Projekt der Geschäftsstelle „Digitaler Wandel in den Wissenschaften: Positionierung der DFG“. Denn das Thema digitaler Wandel hat Einfluss auf den kompletten Forschungszyklus und alle Wissenschaftsbereiche. Daher hat der Senat der DFG eine Positionierung in Auftrag gegeben, um einerseits die Perspektive der Wissenschaft in der Politik einbringen zu können und andererseits gegebenenfalls das Förderhandeln modernen Anforderungen anzupassen. Weitere Diskussion und Anregungen der Geförderten gab es bei einem entsprechenden Workshop zum Thema.
In einem Vortrag berichtete Martin Hering (Projektträger VDI/VDE-IT) über den Stand der Umsetzung des Tenure-Track-Programms des Bundes und der Länder. Das Programm soll in Deutschland einen neuen Karriereweg zur Professur etablieren. Das Thema führte erwartungsgemäß zu regen Nachfragen und Kommentaren der Geförderten. Insgesamt sehen diese die Entwicklung durchaus positiv, wenn sichergestellt ist, dass die zugesagten 1000 Tenure-Track-Professuren tatsächlich zusätzlich eingerichtet werden.
Insgesamt gab das Emmy Noether-Treffen auch im Jahr 2018 viel Raum für Informations- und Erfahrungsaustausch. Dabei zeigte sich in allen Veranstaltungsformaten der Vorteil der offenen Vernetzung unter den Geförderten und darüber hinaus – zwischen Karrierestufen, Fächern und mit der DFG.