Fünftes Heisenberg-Vernetzungstreffen am 1. und 2. März 2017 in Bonn / Zentrales Thema Verantwortung - auf der Ebene des eigenen Teams, des Wissenschaftssystems und der Wissenschaft für die Gesellschaft / Austausch unter über hundert Heisenberg-Geförderten, erstmals auch in einem World Café
Sie müssten sich in grundsätzliche Entwicklungen der Gesellschaft einbringen und in öffentlichen Debatten klar Stellung beziehen. Zentrale Orte der Bildung und der Debatte seien die Universitäten – allerdings nur, „wenn das Wissenschaftssystem als Ganzes leistungsfähig ist, die Universitäten also institutionell und strukturell in die Lage versetzt werden, auf das zu reagieren, was sich als Herausforderung, Gefährdung oder Chance der offenen Gesellschaft artikuliert“, so Dzwonnek. So müsse, als eine zentrale Herausforderung des Wissenschaftssystems, die universitäre Grundfinanzierung verbessert werden.
Außerdem brauche es begleitende förderstrategische Maßnahmen, so die Generalsekretärin weiter, insbesondere dort, wo es um bessere und verlässliche Karriereperspektiven geht. „Auf lange Sicht kann der Wissenschaftsstandort Deutschland nur gut sein, wenn er auch gute Bedingungen bietet.“ Die DFG unterstütze daher unter anderem mit dem Förderinstrument der Heisenberg-Stipendien und -Professuren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Weg zur dauerhaften Professur. An die Geförderten im Publikum appellierte Dzwonnek: „Auf Sie kommt es in diesen Zeiten auch an! Schalten Sie sich ein in die gesellschaftliche Debatte und diskutieren Sie mit – auch hier bei unserem Treffen – wie man das Wissenschaftssystem im Kleinen und im Großen weiterentwickeln kann.“
Im Anschluss an die Begrüßung berichteten Ulrike Eickhoff, Leiterin der Abteilung Programm- und Infrastrukturförderung, und Richard Heidler, Referent in der Gruppe Informationsmanagement, über aktuelle Entwicklungen und Themen, die die DFG und ihre Geschäftsstelle beschäftigen. Sie stellten unter anderem die Ideen zur Fortentwicklung des Heisenberg-Programms vor: Ein Vorschlag ist dabei, das Programm weiter zu flexibilisieren und stärker als Personenförderung zu gestalten. Heidler stellte neben aktuellen Zahlen zum Heisenberg-Programm auch die ersten Ergebnisse einer umfassenden Studie der DFG zu wissenschaftlichen Karrierewegen vor. Sie zeigt, dass die Heisenberg-Stipendiatinnen und -Stipendiaten allen Grund haben, positiv in die Zukunft zu sehen: Die bislang im Programm geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten sehr gute Chancen auf eine erfolgreiche Karriere in der Wissenschaft, und die Geförderten sind bei Berufungen demnach in einer erfreulichen Ausgangslage.
Einer der wichtigsten Aspekte des zweijährlichen Heisenberg-Vernetzungstreffens ist der Austausch unter den Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie Professorinnen und Professoren.
In diesem Jahr fand der Erfahrungsaustausch erstmals auch in Form eines World Cafés statt, bei dem die Geförderten zu neun zentralen Themen ihres Wissenschaftsalltags Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten diskutierten und teils auch Handlungsempfehlungen ableiteten.
Im Verlauf des Vernetzungstreffens hatten die Heisenberg-Geförderten auch Gelegenheit, sich in Workshops über wichtige Fragen ihres Berufsalltags zu informieren und auszutauschen. Der Deutsche Hochschulverband behandelte die Besonderheiten des Professorendienstrechts wie auch Fragen rund um Berufungsverhandlungen. Einen umfassenden Überblick über die Förderinstrumente der EU gab die Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen. Die DFG-Geschäftsstelle stellte die Möglichkeiten einer Beteiligung an Verbundprojekten vor und bot Beratung für den Übergang vom Heisenberg-Stipendium zur Heisenberg-Professur an. Nicht zuletzt wurde ein Workshop von einem Heisenberg-Stipendiaten selbst angeboten, der neben seiner wissenschaftlichen Arbeit auch als Trainer tätig ist: Alexander Schiller erarbeitete mit seinen Kolleginnen und Kollegen Handlungsempfehlungen zur Kommunikation in interdisziplinären Forschungsprojekten.
Interessant und kurzweilig zugleich war am Abend des ersten Tages der After-Dinner-Vortrag „Mit Heisenberg auf zu neuen Ufern in der Psychologie: Von den molekularen Ursachen der Internet- und Smartphonesucht“. Redner Christian Montag, seit 2014 Heisenberg-Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm, untersucht den Einfluss von Internet, Mobiltelefonen und Computerspielen auf Emotionalität, Persönlichkeit und die Gesellschaft. Den Zuhörerinnen und Zuhörern wurde schnell klar, wo das Problem liegt: Viele verbringen sehr viel Zeit mit dem Smartphone. Was aber passiert im Gehirn bei Suchtverhalten, also übermäßiger Nutzung von Smartphones, Internet oder Computerspielen? Montag präsentierte aktuelle Ergebnisse seiner Studien sowie einige konkrete Anregungen, die jede und jeder mit nach Hause nehmen konnte – beispielsweise das Smartphone aus einigen Lebensbereichen zu verbannen und stattdessen wieder Uhr und Wecker anzuschaffen.
In seinem Vortrag schilderte Montag auch, welche Wege ihm durch die Heisenberg-Förderung eröffnet wurden. So forscht der Psychologe, der frühere Stationen seiner wissenschaftlichen Karriere in Bonn und an der Stony Brook University in den USA verbracht hat, nun auf einem interdisziplinären Gebiet. Durch die Einrichtung seiner Heisenberg-Professur an der Universität Ulm konnte er zudem seine Forschung in der Psychologie zur Schwerpunktsetzung auf die Molekulargenetik von Emotionalität und Persönlichkeit sowie auf die Psychoinformatik weiterentwickeln. Der spannende und von Montag lebhaft dargebotene Vortrag rundete den ersten Veranstaltungstag ab und bildete den Auftakt für den gemeinsamen Abend.
Wer in der Wissenschaft erfolgreich sein möchte, muss Leistungen erbringen. Doch wie lässt sich Forschungsleistung messen?
Die Frage spielt gerade auch bei der Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine wichtige Rolle. Denn besonders leistungsstarke Personen sollen – natürlich – befördert werden, damit sie ihrerseits die Wissenschaft weiter vorantreiben können. Nach welchen Kriterien lässt sich aber Forschungsleistung messen und welche Folgen haben die Bewertungen für die jeweiligen Karriereverläufe? Diese Fragen diskutierten ein Soziologe, eine Germanistin, ein Mediziner und eine Mathematikerin aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive und aufgrund ihrer persönlichen Erfahrung.
David Kaldewey, Juniorprofessor für Wissenschaftsforschung und soziologische Theorie an der Universität Bonn, sah sich in einer „Doppelrolle als Fachmann und Betroffener“. Als Fachmann sprach er sich dafür aus, quantitative und qualitative Bewertungssysteme immer aufeinander zu beziehen. Als Nachwuchswissenschaftler, der noch keine unbefristete Professur erlangt hat, schien ihm ein gewisses Maß an stärker strategisch als wissenschaftlich ausgerichteter Publikationspraxis für das berufliche Fortkommen unerlässlich.
Er erfahre den Druck auch bei seinen Promovierenden, die bereits mehr auf Publikationen vor der Dissertation achteten, als er selbst es zehn Jahre zuvor getan habe. Dem hielt DFG-Vizepräsidentin und Mathematikerin am Karlsruher Institut für Technologie, Marlis Hochbruck, entgegen: „Das darf ich als Mathematikerin sagen: Zahlen sind eben nur Zahlen.“ Es sei wichtig, die eigenen Ideen sorgfältig auszuarbeiten und sie an ein passendes Journal zu schicken – und nicht an das, das sich besser im Lebenslauf mache. „Die Zahlen kann man natürlich nicht ganz außer Acht lassen. Gerade als Lehrstuhlinhaberin muss ich aber Vorbild sein und meine wissenschaftlichen Werte hochhalten“, so Hochbruck.
Besonders wenige Kennzahlen gibt es in den Geisteswissenschaften. Beate Kellner, Inhaberin des Lehrstuhls für Germanistische Mediävistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sah es daher als umso wichtigere Aufgabe der Lehrenden an, wissenschaftlich und persönlich geeignete Personen während des Studiums zu identifizieren und sie in das System einzubinden. Als Leitungsperson müsse man gegenüber den Studierenden eine Balance aus Betreuung und Erziehung zur Selbstständigkeit halten und im Zweifelsfall auch offen sein: „Vor allem nach der Promotion muss man noch genauer schauen, wen man ermutigt – und den anderen ehrlich sagen, dass sie nicht geeignet sind und ihnen alternative Wege aufzeigen.“ Denn gerade in den Geisteswissenschaften nähmen die Berufschancen ab, wenn man zu lange an der Universität bliebe. Als wichtige Kriterien zur Einschätzung von Forschungsleistung nannte Kellner für ihren Wissenschaftsbereich die Dissertation, Habilitation oder auch „das zweite Buch“ sowie Aufsätze in einschlägigen Fachjournalen.
Für die Medizin nannte Hans-Jochen Heinze, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Magdeburg, „Wissen und Kompetenz“ als zentrale Voraussetzungen für eine gute Forscherin, einen guten Forscher beziehungsweise für eine gute Ärztin, einen guten Arzt. Es sei allerdings schwierig zu bewerten, wie Wissen in Können umgesetzt werden kann. Eine Möglichkeit seien Bewerbungssymposien: Dort könne man die Menschen umfassender beurteilen als nur aufgrund der Zahlen auf dem Papier. Zum viel diskutierten „Dr. med.“ sagte Heinze, dass der Abschluss mit anderen Dissertationen nicht vergleichbar, gesellschaftlich aber unverzichtbar sei. Eine Lösungsmöglichkeit sei es daher, einen „Berufsdoktor“ einzuführen. Heinze forderte überdies bessere Bedingungen für den medizinischen Forschernachwuchs: „Was wir brauchen sind gute Clinician Scientists“, für sie fehlen günstige strukturelle Bedingungen an den Universitätskliniken. Unsere Leute ertrinken in der Patientenversorgung und kommen häufig nicht zur Forschung.“ Darüber hinaus müssten die besonders hierarchischen Stellengefüge verändert und verantwortliche Stellen unterhalb des „Gottes an der Spitze“ einer Klinik geschaffen werden.
Der von Kaldewey eingangs geäußerte Zweifel, dass es für die Karriere nicht nur förderlich sei, sich streng an wissenschaftlichen Werten zu orientieren, spiegelte sich auch in den Beiträgen aus dem Publikum wieder. So bezeichnete ein Heisenberg-Stipendiat die erste Runde von Berufungsverfahren als „Knackpunkt“ der wissenschaftlichen Karriere, bei dem auf der Grundlage von Bewerbungsunterlagen unter einer Vielzahl von Personen ausgewählt werden muss – hier werde eben doch eher auf Zahlen als auf die Qualität einzelner Publikationen geschaut. So setzten die Anwesenden auf dem Podium und im Plenum – je nachdem, ob sie bereits eine Lebenszeitprofessur erreicht hatten oder sie noch anstreben – bis zum Ende der Diskussion unterschiedliche Akzente bei der Einschätzung, wie sehr man sich auf dem Weg zur Professur dem Druck der Kennzahlen beugen solle. Schlussendlich lagen die Positionen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor und jenseits der Berufung aber nicht so weit auseinander, wie eine abschließende Aussage Marlis Hochbrucks deutlich machte: „Sicherlich sind auch strategische Erwägungen wichtig – nur sollte man nichts tun, was aus wissenschaftlicher Sicht nicht überzeugend ist.“
Nach Abschluss der Podiumsdiskussion dankte Dorothee Dzwonnek allen Beteiligten für die vielfältigen und intensiven Diskussionen während des zweitägigen Heisenberg-Vernetzungstreffens. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage nach der Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems im Kleinen wie im Großen habe sich das Thema Verantwortung als ein roter Faden durch die Diskussionen gezogen. „Sie als Heisenberg-Geförderte sind bereits Vorbilder für ihren wissenschaftlichen Nachwuchs“, sagte die DFG-Generalsekretärin. Es gehe daher um Verantwortung auf der Ebene des eigenen Teams, wodurch auch Einfluss auf das Wissenschaftssystem als Ganzes ausgeübt würde. Die Heisenberg-Geförderten übernähmen damit Verantwortung für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems und hätten Teil an der Verantwortung der Wissenschaft für die Gesellschaft. „Die DFG wird weiterhin alles tun, um Ihnen dabei zu helfen, dieser Verantwortung gerecht zu werden und Ihren beruflichen Weg erfolgreich zu beschreiten“, so Dzwonnek.